Dr. Dirk Fischer, Vorsitzender vom Wirtschaftsrat des 1. FC Union e.V., Prof. Lutz Engelke, Gründer und Geschäftsführer der DenkRaumOst gUG und Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin der DenkRaumOst gUG, sind wichtige Impulsgeber für Ostdeutschland. Sie setzen sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag sind sie auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
Denke ich an Ostdeutschland … Aus Sicht von DenkRaumOst (DRO) und des Wirtschaftsrates des 1. FC Union Berlin ist die Zukunft Ostdeutschlands sehr viel positiver und vielversprechender als so mancher in den Medien derzeit prophezeit.
Was motiviert uns, aktiv zu werden?
Das Motto von DRO heißt: „Neue Geschichten braucht das Land“. Der Name DenkRaumOst ist Programm und gleichzeitig Synonym für den Teil Deutschlands, der das Gebiet der ehemaligen DDR umfasst und historisch immer wieder grundlegenden Wandel erleben musste. Der Arbeitsclaim lautet: „Verbinden und gestalten“. Wir wollen alle positiv denkenden, alle konstruktiv gestaltenden Akteure und Projekte verbinden und die Vielfalt zeigen, die diesen Teil Deutschlands auch in Zukunft zu einem lebenswerten und attraktiven Ort machen.
Wir sind engagierte Akteure aus Wirtschaft, Politik, Kultur und Verwaltung mit ostdeutscher und westdeutscher Herkunft. Wir haben einen persönlichen Bezug zu Ostdeutschland, denn wir leben und arbeiten hier. Auch wir kennen die sorgen- und furchterregenden Entwicklungen, die von den Medien in den Vordergrund gestellt werden und die zum Grundtenor von Heinrich Heines „Nachtgedanken“ passen: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“. Doch wir erkennen uns selbst und viele Kollegen, Freunde, Nachbarn in diesen negativen Bildern nicht wieder. Wir jammern nicht, wir wollen handeln, die Zukunft positiv mitgestalten. Wir stecken den Kopf nicht in den Sand, lassen uns weder Hass noch permanente Schwarzmalerei von irgendjemandem aufzwingen.
DRO zeigt die Macher, die Pioniere von neuen Ideen, Projekten und Ansichten für eine lebenswerte Zukunft – eben die andere, die größere Hälfte Ostdeutschlands. Unser Anliegen ist es, einen Beitrag zu leisten, um die Balance zwischen optimistischen und pessimistischen Perspektiven in der öffentlichen Wahrnehmung wiederherzustellen. Dafür veranstaltet DRO öffentliche Denkräume, Diskussionen und Sonderformate. Ein Beispiel sind die Stadiongespräche mit dem Wirtschaftsrat des 1. FC Union Berlin. Denn der Verein fördert gesellschaftliche Debatten. Seine Ziele und Werte sind denen von DRO sehr nah.
‘Um uns müssen wir uns selbst kümmern‘, das war und ist Richtschnur des Handelns eines jeden Unioners.”
DRO – Eine gemeinnützige Initiative
Unser Ansatz ist eine Win-win-win-Situation – ganzheitlich, nachhaltig, zukunftsweisend. Alle Mitstreiter bringen ihr Wissen, ihr Know-how und ihre Netzwerke ein, um aktiv bei der erneut anstehenden, nächsten Transformation zu unterstützen – digital, ökologisch, ökonomisch und sozial. Als Think-and-do-Tank kreieren wir eine Art Kreislaufwirtschaft der Ressourcen Wissen, Erfahrung und Kompetenz. Damit gerade kleine Firmen und deren Belegschaft Zugang zu interdisziplinären Experten und Gleichgesinnten bekommen. Teilnehmende Unternehmen investieren so in die eigene Zukunftsfähigkeit und zugleich in zivilgesellschaftliches Engagement, denn DRO bereitet die Themen öffentlichkeitswirksam auf. Mit der positiven Medienpräsenz und öffentlichen Wahrnehmung ostdeutscher Themen und deren Potenziale wächst auch das Selbstbewusstsein vieler Ostdeutscher, die seit den 90er-Jahren negativ bewertet wurden.
Die Erfolgsgaranten für einen gelungenen Wandel sind dabei dieselben wie die einer gut funktionierenden Demokratie: Akzeptanz, Bereitschaft für Veränderungen, Geduld, Zusammenhalt und Vielfalt. So versteht sich DRO als Non-Profit-Organisation mit Praxisbezug: Gemeinnützigkeit verbindet Wirtschaft, politische Bildung und Gesellschaft. Mit unserem Transformationscheck helfen wir Organisationen direkt vor Ort, in einem sechsmonatigen Programm die Schätze des Wandels zu heben.
Die vier Himmelsrichtungen des Ostens
Aus vielen Begegnungen und der Beschäftigung mit der Thematik Ost-West in den letzten drei Jahren trägt uns folgende Vision mit Zuversicht für die Zukunft Ostdeutschlands: Der Osten wird anders bleiben. Er hat viele Schätze zu bieten, die es zu heben gilt. Wir nennen sie die vier Himmelsrichtungen des Ostens.
Freiheit – erkämpft und nicht geschenkt: Die Menschen in Ostdeutschland, die ihre Freiheit selbst erkämpft haben und in den folgenden Jahrzehnten wieder erlernen mussten, sehen viele politische Versprechungen und Entscheidungen kritisch. Einschränkungen ihrer Freiheit, die an Erlebtes aus DDR-Zeiten oder den 90er-Jahren erinnern, stehen sie höchst skeptisch gegenüber. Sie fragen stets nach der konkreten Machbarkeit – materiell wie ideell.
Demokratie – Gesellschaft selbst gestalten: Im Ländlichen ist die Distanz zur Hauptstadt augenscheinlich erlebbar. Es sind die Macher vor Ort, die die Zivilgesellschaft gestalten und die Vorteile der Demokratie nutzen wollen. Darum werden bürgernahe Initiativen und Politiker (immer häufiger parteilos) stets Unterstützung gegen die schwerfällige Bürokratie einfordern, um ein lebendiges Gemeinwesen zu erhalten.
Wandel – Treiber für Zwischenräume mit hoher Transformationskompetenz: Mit der allerorts debattierten Transformationsgesellschaft wird klar, dass der Osten Veränderung kann. Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt werden zunehmend als Innovationsstandorte wahrgenommen. Veränderung erzeugt Angst, setzt aber auch Kreativität frei. Im Wandel zeigen sich Schätze wie Improvisationsfähigkeit und eine Offenheit, Neues auszuprobieren, sowie eine besondere Beobachtungsgabe für anstehende Veränderungen in Organisationen und Gesellschaft. In der Summe führen diese Kompetenzen zu höherer Resilienz. Stetig ist nur der Wandel – davon kann jede Generation im Osten ein Lied singen.
Zusammenhalt – anstelle von Vereinzelung: Der Wandel der letzten 35 Jahre hat zwar Menschen auseinandergerissen, aber auch eine neue Form der Solidarität gefördert. Menschen helfen sich in Krisenzeiten und sind stolz auf Erreichtes in ihren Regionen. Neue Identitäten formen sich durch gemeinsame Werte. Die Menge derer wächst, die den Osten attraktiv finden und sich für die Neugestaltung ebenso wie für die Wiederherstellung und Restauration alter Industrie- und Kulturgüter einbringen.
Der Osten bleibt Avantgarde, weil man hier anders über Gegenwart und Zukunft nachdenken muss. Der Osten wird auch in Zukunft nicht Mainstream sein, sondern ein Ort, an dem
- Neues ausprobiert wird, weil man anders nicht überlebt,
- das Miteinander mehr wert ist als die individuellen Bedürfnisse Einzelner,
- freiheitliches und kritisches Gedankengut gedeiht – mit der Intention der Verbesserung des gesellschaftlichen Systems, nicht der Abschaffung,
- Menschen zusammenfinden, die kreativ, gestaltend, politisch und zivilgesellschaftlich aktiv sind und
- es weniger perfekt, aber umso authentischer ist.
Darum ist der Wirtschaftsrat 1. FC Union der perfekte Partner für unsere Initiative. Das Motto unserer gemeinsamen Gesprächsreihe lautet „Was macht den Osten so attraktiv?“ Die Antwort: Genau das.
Teil einer starken Gemeinschaft
Der 1. FC Union Berlin hat in Ostdeutschland Erfolgsgeschichte geschrieben. Für den Verein ist die Teilnahme an der nun sechsten Bundesligasaison in Folge keine Selbstverständlichkeit – und wird es auch nie sein.
Fragt man nach den Gründen für die beeindruckende Entwicklung des Vereins seit 2004, so liegen gute Vereinsführung und umsichtige Strukturen, wie „in Steine und Beine“ zu investieren, nahe. Doch das Besondere, das den Verein bis heute prägt, sind die Initiativen und die Kraft, die aus der Mitte der Fans und Mitstreiter kommen. Der Verein ist deshalb so stark geworden, weil er auf aktive Mitstreiter zählen kann. „Um uns müssen wir uns selbst kümmern“, das war und ist Richtschnur des Handelns eines jeden Unioners. Und so haben das Weihnachtssingen, der Einsatz der Fans beim Umbau des Stadions sowie die überragende Fankultur entscheidenden Anteil an der Entwicklung des Vereins. Das Heft des Handelns in die eigene Hand zu nehmen war stets der entscheidende Antrieb.
Im Frühjahr 2004 war der 1. FC Union Berlin in eine existenzbedrohende Krise geraten. Dem sportlichen Abstieg aus der Zweiten Fußballbundesliga folgte eine wirtschaftliche Talfahrt. Der Verein stand kurz vor dem Aus. Aus diesem Grund fanden sich engagierte Mitglieder, Fans und Vertreter aus der Wirtschaft zusammen, um dies mit Nachdruck zu ändern. Zunächst in der Lizenzkampagne „Bluten für Union“: Elf langjährige Sponsoren gründeten den Wirtschaftsrat 1. FC Union e.V. mit dem Ziel, weitere Sponsoren zu gewinnen und dem Verein wieder funktionsfähige Strukturen zu verleihen: wichtige Positionen mit geeigneten Personen zu besetzen sowie den 1. FC Union Berlin wieder für Wirtschaft und Politik interessant zu machen. Ganz bewusst wurde der Wirtschaftsrat als eigenständiger Verein gegründet.
Es gelang dem Wirtschaftsrat, Akzente zu setzen. Sei es durch die Besetzung von Schlüsselpositionen (unter anderem Dirk Zingler als Präsident), durch Netzwerk- und Fortbildungsveranstaltungen oder das unermüdliche Werben für den 1. FC Union Berlin auf wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sportlichen Ebenen des Landes Berlin. Es entstanden Veranstaltungs- und Aktionsideen wie die „Stadiongespräche An der Alten Försterei“, das Literaturformat „Seitenwechsel“, die Reihe „WirtschaftsRAT“, Ausstellungen in der „Galeria Balletage“, aber auch das „Eiserne Business Frühstück“ oder die „Clubkonzerte Hautnah“ sowie Publikationen und vieles mehr.
Heute sieht der Wirtschaftsrat – er hat fast 50 Mitglieder – seine Aufgabe auch darin, Menschen, nicht nur fußballliebende, miteinander ins Gespräch zu bringen. Vorzugsweise im Stadion, dem Ort, an dem Menschen unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Status zueinanderfinden. Gerade hier können Gesprächs- und Denkräume geschaffen werden, die verschiedene Perspektiven miteinander in Austausch bringen, um nicht aus- oder abzugrenzen, sondern das Gemeinsame zu fördern – auch wenn man in der Sache streitet. Die Schnittstelle zu DenkRaumOst ergibt sich geradezu folgerichtig. So will DenkRaumOst Anker und Impulsgeber in der Gesellschaft sein – ebenso wie Vereine, Parteien oder Sport. Jeder, dem der Ansatz gefällt und der Gleichgesinnte sucht, ist eingeladen mitzumachen.
Wirtschaftsrat 1. FC Union e.V.
GEGRÜNDET: 2004/Ostberlin
STANDORT: Ostberlin
WEBSITE: fc-union-wirtschaftsrat.de
DenkRaumOst gemeinnützige UG
GEGRÜNDET: 2022/Caputh
STANDORT: Ostberlin
WEBSITE: denkraumost.de
BUCHTIPP:
„Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |