Marina Heimann, Strategin, Gründerin, Vorständin und Investorin, vormals CEO futureSAX, ist eine wichtige Impulsgeberin für Ostdeutschland. Sie setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist sie auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
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Marina Heimann, Strategin, Gründerin, Vorständin, Investorin, vormals CEO futureSAX. Abbildung: marina-heimann.de
Wenn ich an Ostdeutschland 2030 denke, sehe ich Gestaltungskompetenz. Dann sehe ich eine Zukunft, die wir in der Hand haben: Entscheidungsmacht statt Abwarten. Ich bin überzeugt, dass die Generation „WOST“ (ostdeutsche Wurzeln mit westdeutschen Flügeln) Brückenbauer ist, eine Chance und Verpflichtung für mehr Selbstwirksamkeit.
Meine Vision:
- eine gesamtdeutsche Struktur, die selbstverständlich Vielfalt lebt und Perspektiven aus Ostdeutschland nutzt,
- Menschen, die stolz und engagiert ihre Transformationserfahrung einbringen, als Vordenker und Macher,
- viel unternehmerisches Handeln und aufstrebende große Unternehmen, die aus Ostdeutschland Zukunft gestalten, sowie
- eine Kultur, die Veränderung als Chance versteht.
Wenn ich an 2030 denke, dann sehe ich klar die Mission einer systemischen Organisationsentwicklung, eine gelebte intelligente Spezialisierung und Diversifizierung im Handeln. Ich sehe regionale Identität in Entscheidungspositionen und moderne agile Strukturen mit dem Ziel, gesamtdeutsch verantwortungsbewusst zu wirken.
Ich bin überzeugt, dass die Generation ‚WOST‘ (ostdeutsche Wurzeln mit westdeutschen Flügeln) Brückenbauer ist, eine Chance und Verpflichtung für mehr Selbstwirksamkeit.”
Basis der Gegenwart & Quelle der Zukunft
Why? Weil Gemeinschaft Kraft ist: Geschichte das Fundament, Veränderung Fortschritt, Vielfalt Bereicherung. Meinen Kindern vermittle ich es mit meinem Weg. Meine Werte der Kindheit bestehen aus fast zehn Jahren Prägung in der DDR, in denen neben musischen, sportlichen und praktischen Kompetenzen auch die Basis für Verhalten und Leistung gelegt wurde. Eine Zeit, die mir eine zweifellose Gleichberechtigung zwischen Jungs und Mädchen vermittelte, egal ob in Nadelarbeit, Schulgarten, Werken oder dem frühkindlichen Auswahlprozess im Sport: Fleiß- und Leistungsorientierung mit dem Bedürfnis, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben. Als Jungpionier lebte ich gute Taten: Helfen in der Gemeinde, Unterstützung älterer Menschen beim Einkauf etc. Erlebte aber auch früh, dass Gleichberechtigung und Gerechtigkeit verschiedene Dinge sind. Dass unterschiedliche Zustände wie Alter, Krankheit oder auch andere Ansichten relevant sind. Einmal erhielt ich zum Beispiel beim Hofappell das Kosmonauten-Buch als Bestenauszeichnung nicht – zu viel eigene Meinung, zu viel Ungewolltes gesagt in der Öffentlichkeit (Klasse).
Meine Erlebnisse während des Teenagerseins verteilen sich auf zehn Jahre Ausbildung im neuen System, bei steter Veränderung meiner kindlichen Welt. Nicht nur im Innen, sondern auch im Außen, sodass früh ganzheitliche Betrachtung, Neugier, Offenheit und das Erkunden von Grenzen in den Mittelpunkt rückten. Alle zwei Jahre änderte sich mein Umfeld durch strukturellen Wandel. Eine harte und zugleich starke Erfahrung, die mir bis heute Lust auf Neues macht, weil mich meine 1914 geborene Oma mit ihrer Transformationserfahrung motiviert hat, das Positive zu sehen. Das hat die Basis für meinen Entdeckerdrang und das offene Zugehen auf Menschen gelegt. Mein Umfeld konnte mir die „neue“ Welt wenig erklären oder bei Zukunftsfragen mit Erfahrungswissen zur Seite stehen. Also entschied ich mich als 16-Jährige selbst für eine duale Ausbildung, dafür, das Gymnasium zu verlassen und nach der Bankausbildung doch das Wirtschaftsabitur abzulegen.
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Verbindung von Tradition und Moderne: Systeme, Strukturen, Menschen brauchen Veränderung, Transformation. Abbildung: privat, Frank Grätz
Chancen und Anstrengungen
Zehn Jahre Selbstreflexion und Wissensaufbau: „noch eins draufsetzen“, das Erlernte durch Studium untermauern, Beruf als Entwicklungsprozess verstehen. Hierbleiben, sich „im Osten“ durchsetzen, wo die Aussichten begrenzt waren. Ich war überrascht, dass Vorgesetzte erstaunt waren, was eine junge Frau aus dem Osten kann. Für die „Karriere“ gab es viele Möglichkeiten – im Westen. Aber ich wollte in meiner Heimat agieren. Sicher der Grund, warum ich mit 18 einen Verein mitgründete, als Schatzmeisterin sowie Trainerin und bis heute als Vorstandsvorsitzende aktiv bin. Eine Struktur, die ich aktiv gestalten kann: Kindern außerhalb von Prestige und Mainstream soziale Kompetenzen und Zielorientierung vermitteln. Und Systeme hinterfragen/ändern: ob im Sport oder beruflichen Kontext. Mein Treiber? Stetes Lernen – betriebswirtschaftlich, juristisch und auch immer die weichen Faktoren rund um den Menschen.
Schließlich meine Dekade des Unterschieds, persönlicher Weiterentwicklung und Gestaltungskraft – besonders im Bereich Netzwerk und Kapitalstock – als Frau aus dem Osten, die drei Kinder hat. Den Ehrgeiz, es dennoch zu „schaffen“: mit dem Fokus auf Zielerreichung. Meine Passion für verschiedene Perspektiven, Kreativität, menschliche Entwicklung sowie neue Zusammenhänge bündelte sich bei Innovation, in der Ökosystementwicklung und Ermöglichungskultur. Das Ziel: aktiv gestalten, Verantwortung übernehmen, strategisch wirken und Wissen teilen, um „Team Ost“ zu stärken: als Mentorin, Sparringspartnerin, in Gremien und Veränderungsprojekten. Bis zur Innovationsplattform, um Menschen und damit die Innovationskultur in den Mittelpunkt zu rücken. Entwicklung und Veränderung brauchen Mindset, brauchen Skills, brauchen Passion und Mut – vor allem in etablierten Strukturen. Hier heißt es regelmäßig, die Komfortzone verlassen, um Veränderung zu bewirken. Die Grenzen sind meist Macht mit Verlustangst und in der Folge gravierend veränderungshemmende Entscheidungen – ein Widerspruch zu meinem „self driven purpose“, meinem Ikigai (Lebensphilosophie aus Japan für ein sinnerfülltes Leben).
Und jetzt? Die Basis für Zufriedenheit und Schaffenskraft – das eigene „Why“ leben. Für mich: Systeme selbstwirksam entwickeln, Fortschritt ermöglichen und dafür Entscheidungspositionen nutzen und nachhaltig wirken. Systeme, Strukturen, Innovationen und Erfolge hängen von Menschen ab. Wie selbstwirksam und zufrieden Menschen sind, hängt von Entscheidungen ab, die sie selbst bzw. andere für sie treffen oder auch nicht. Die Verantwortung, damit umzugehen, liegt bei jedem selbst.
Wenn ich also an Ostdeutschland denke, denke ich an meinen Lebensweg, der exemplarisch für Menschen steht, die beide Welten und die damit verbundenen Chancen und Anstrengungen kennen. An Menschen, die Erfahrungswissen haben mit dem Wunsch eines selbstverständlichen Miteinanders, einer gelebten Symbiose harter und weicher Faktoren sowie Lösungsorientierung. Und ich denke an starke, bereichernde Menschen, die dies erkennen und leben. Ich denke an jeden, der hier geboren ist und jeden, der in und für Ostdeutschland lebt und wirkt. An Menschen, die Veränderung vorantreiben und die Entscheidungen treffen: Gemeinschaft ist Kraft, Geschichte Fundament, Veränderung Fortschritt, Vielfalt Bereicherung.
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Sichtbarkeit und Impulsgebung im Osten: Sächsische Innovationskonferenz 2023 – Kollaboration und Kooperation als Mix aus Trend und Erfahrung. Abbildung: futureSAX GmbH
Mein Fazit
Machen statt reden. Denn jeder kann seine Zukunft aktiv durch Nutzung des Potenzials im Osten gestalten. How? Der Schlüssel liegt für mich im Tun, im menschenzentrierten Handeln, einer klaren Strategie, kluger Verteilung von Entscheidungsmacht, zukunftsgewandter Managementkompetenz und zielgerichteter Kommunikation: im Innen und Außen. Dafür wünsche ich uns mehr Bewusstsein für die Power von Ermöglichungskultur, lebenslangem Lernen und Selbstwirksamkeit, von Passion und Innovation und von konkretem Handeln und Entscheidungsstärke. Denn über den Zeitgeist entscheidet unsere Kultur. Neben fachlicher Qualifizierung und sozialer Kompetenz ist das der Mut jedes Einzelnen mitzumachen und die Praxis, wer wo welche Entscheidungen trifft. Das Fundament dafür ist die Kombination aus Wissen, Erfahrungen und Werten. Dankbar für die wertvolle Verknüpfung aus zwei Welten sehe ich deshalb die Generation „WOST“ (die DDR erlebt, noch rund 20 Jahre berufstätig) in prägender Rolle: als Brückenbauer zwischen Generationen, Erfahrungsträger für Veränderung, Mitgestalter politischer/wirtschaftlicher Zukunft, Impulsgeber für Dialog/Verständnis und Sinnbild für Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Rolle der Frau ist dabei entscheidend, nicht nur im Kontext von VUCA und BANI, sondern auch zur nachhaltigen Entwicklung einer selbstwirksamen Gesellschaft: Perspektiven/Resilienz, Einheit von Familie und Beruf, Bildung/Erziehung, Innovationskraft/Kreativität (Adaptabilität) – auf allen Ebenen.
Zukunft gestaltet sich am besten durch Anpassung/Veränderung – durch Innovation. Diese entsteht in den Köpfen von Menschen: mit Passion/Engagement (Wollen), mit Bildung/Erfahrungswissen (Können) in zielgerichteten Rahmenbedingungen (Dürfen). Ein Gleichklang von Bereitschaft (Mindset), Fähigkeit (Kompetenzen) und Möglichkeit (Strukturen) stärkt Ausgewogenheit und Zufriedenheit. Dies ist vor allem erfolgreich, wenn Sektoren übergreifend kollaborativ wirken: wie Cross-Innovation oder im Sport beim Cross-Training. Das erfordert eine dauerhaft und aktiv gelebte Kultur, welche systemisch geprägt wird: Entscheidungsebenen, die sich mehr durch ein historisch geprägtes Mindset auszeichnen und diese positive Kraft reduzieren oder sogar eliminieren, müssen verändert werden. Die Betonung positiver Entwicklungen und aktive Einbindung in Entscheidungsprozesse schafft nachhaltige Identität, die von Respekt, Verständigung und Chancen geprägt ist. Die Kollaboration von „Neuem“ und „Erfahrenem“ (Start-ups – Mittelstand, Gen Z – Babyboomer, Thinktanks, Gremien – Großstrukturen etc.) ermöglicht gegenseitige Bereicherung und Weiterentwicklung, wenn gewollt. Gemeinsam schafft man bekanntlich mehr.
Es wurde viel über Vergangenheit gesprochen – das ist gut und vielleicht noch abzuschließen. Aber die Analysephase ist vorbei. Wir müssen mehr ins Tun kommen, Stärken nutzen, Entscheidungen treffen, konkrete Maßnahmen ergreifen bzw. umsetzen. Der Osten kann eine einzigartige Position in der Gesellschaft einnehmen und Symbol für positive Veränderung und Fortschritt sein. Meinen Kindern sage ich: „Ihr könnt alles, was ihr wollt, wenn ihr fokussiert und reflektiert seid und Verantwortung für euer Handeln übernehmt. Denkt als Familie (Gemeinschaft): Achtest Du auf andere, achtest Du auf Dich selbst, vice versa. ... Wenn Du weißt, was Dein Why ist, dann wirst Du gute Entscheidungen treffen und immer einen Weg finden, um zufrieden und glücklich zu sein.“
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Kapitaltransfer und Strukturveränderung im Osten: Sächsischer Investorentag 2022 mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (rechts). Abbildung: futureSAX GmbH
Marina Heimann
GEBOREN: 1981/Dresden
WOHNORTE (aktuell): Dresden
MEIN BUCHTIPP: Leonhard Zintl: „Zukunft einfach machen“, 2020
MEIN FILMTIPP: „Der rote Kakadu“, 2006
MEINE URLAUBSTIPPS: Sächsische Schweiz, Poetenweg im Vogtland, Purple Path um Chemnitz (speziell 2025), Ostern in der Oberlausitz
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |