Hans-Joachim Münch, Gründer und Prokurist der Sonotec GmbH, ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.

Hans-Joachim Münch, Gründer und Prokurist der Sonotec GmbH. Abbildung: Mitteldeutsche Zeitung/Andreas Stedtler
Ich bin 1955 in Halle (Saale) geboren und dort auch groß geworden. Mein Vater war Fleischermeister und später Vorsitzender der Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH), meine Mutter Buchhalterin. Meine Eltern waren Vorbilder für mich. Als Handwerkersohn war man in der DDR nicht privilegiert. Ich entwickelte mich zu einem guten Schüler, so schaffte ich den Zugang zu einer Erweiterten Oberschule (EOS) ohne Probleme und legte 1974 ein sehr gutes Abitur ab. In meiner Freizeit war ich Leichtathlet, was mich ebenfalls stark prägte. Ich interessierte mich für Geschichte und für Sport – die besten Voraussetzungen, um Lehrer zu werden. Aber Prof. Dr. Rudolf Millner, im Ostblock der „Papst“ auf dem Gebiet der Physik des Ultraschalls und Jugendfreund meines Vaters, lud mich zu einem Praktikum in seinem Physikinstitut ein und motivierte mich dann, Physik zu studieren.
Ich begann mein Physikstudium nach dem 18-monatigen Grundwehrdienst. Meine Stärken und Interessen lagen dabei in der experimentellen Physik. Ab dem dritten Studienjahr durfte ich am Ultraschallinstitut lernen und machte dort mein Diplom zum Thema Modellierung von Ultraschallsensoren. Ich hatte großes Glück, nach dem Studium 1981 einen Job in der Entwicklungsabteilung des VEB Ultraschalltechnik Halle zu bekommen. Die medizinische Ultraschalldiagnostik entwickelte sich in dieser Zeit rasant. Von großer Bedeutung war das Staatsplanthema „Entwicklung des ersten Schnittbildgerätes SB30 für die klinische Sonografie“. Wir waren im Betrieb ein tolles Entwicklerteam. Mein Part war die Sensorentwicklung. Als der Prototyp 1983 fertig war, konnten wir unsere Tochter im Bauch meiner schwangeren Frau sehen. Der Moment, in dem wir die Herzschläge zu sehen und zu hören bekamen, war damals sehr emotional für uns und eine enorme Motivation für mich, immer bessere Sensoren zu entwickeln.
Unser Team hatte bis 1985 recht schnell den Anschluss an die Weltspitze erlangt, allerdings unter schlechten Bedingungen, was Literatur und Materialien betraf. Ab 1986/87 haben wir den Technologiewettlauf mit den westlichen Herstellern verloren. Deren schnelle Schaltkreise und Prozessoren für die Bildverarbeitung bestimmten von nun an den technologischen Fortschritt. Die kleine DDR kam mit der Schaltkreisproduktion nicht mehr mit. Das bewirkte natürlich auch erheblichen Frust bei unserem unglaublich leistungsstarken Entwicklerteam. Um meine Leistungsfähigkeit zu aktivieren und den seelischen Druck des technisch Abgehängten etwas abzufedern, nahm ich 1987 eine nebenberufliche Promotion auf.
Ich möchte unserer Gesellschaft, die mir die unternehmerische Entwicklung ermöglicht hat, etwas zurückgeben.”
Aufregende Wendejahre
Dann kam die Wende: Unsere DDR-Sonografiegeräte brauchte niemand mehr und die westlichen Hersteller hatten freie Fahrt im neuen Markt Ostdeutschland. Allerdings kam auch der Sonografiegeräte-Markt in Bewegung. Deutschland, bis dahin Innovator Nummer eins in der Welt, verlor die Produktion nach Asien und in die USA. Unser VEB hatte ab Juli 1990 Null-Stunden-Kurzarbeit. Damit verbunden waren eine große Unsicherheit und Zukunftsängste bei vielen unserer Kollegen. Mein Gruppenleiter Dr. Santer zur Horst-Meyer und ich wurden Anfang 1990 von unseren Kollegen in den neuen Betriebsrat gewählt, da wir parteipolitisch „unbefleckt“ waren. Wir erkannten sehr schnell, dass der VEB Ultraschalltechnik Halle in dieser Form und Struktur keine Zukunft in der Marktwirtschaft haben wird. Zunächst waren Santer und ich Arbeitskollegen im VEB. Durch unsere Zusammenarbeit in der Entwicklung und Gestaltung der Sonotec, das Lösen unendlich vieler Probleme und das gemeinsame Genießen der Erfolge sowie das große Vertrauen zueinander hat sich eine wunderbare Freundschaft entwickelt, die bis heute anhält. Unser Traum von der Selbstständigkeit verfestigte sich im Sommer 1990 zunehmend.
Welche Voraussetzungen hatten wir beim Start? Zunächst die Unterstützung meiner Frau, diesen Weg zu gehen. Sie hat als Lehrerin im ersten Jahr mit ihrem Gehalt die Familie über Wasser gehalten. Denn jede D-Mark, die wir mit der Sonotec verdienten, wurde in die Firma investiert. Besonders wichtig waren für uns eine hervorragende Ausbildung in der Schule und an der Martin-Luther-Universität. Dazu kam enormes theoretisches sowie praktisches Wissen zum Thema Ultraschall. So konnten wir die Technologie in neuen Nischen etablieren. Diese Nischen wurden durch Recherchen und durch Besuche bei potenziellen westdeutschen Kunden entdeckt. Ultraschall ist eine Querschnittsmesstechnologie und es gibt daher Anwendungen in vielen Marktsegmenten.

Start im Kellerlabor 1991 – Sonotec-Entwicklerbüro in der Wilhelm-Külz-Straße von Halle (Saale). Abbildung: Sonotec GmbH
Es gab also viele Chancen, aber natürlich waren auch Risiken da. Wir waren Techniker – ohne Kenntnisse über Markt- und Betriebswirtschaft. Eine Schulung war zwingend notwendig. Ab September 1990 nahmen wir deshalb an Seminaren in Naumburg teil, die durch das Forschungszentrum Jülich im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) durchgeführt wurden. Ziel der Strategen in der Bundesregierung war es, einen Technologiemittelstand in Ostdeutschland zu etablieren. Forschung und Entwicklung gab es in der DDR ausschließlich in den VEB und Kombinaten sowie an den staatlichen Unis und Instituten. Das Förderprogramm „Technologieorientierte Unternehmensgründungen (TOU)“ wurde für Ostdeutschland aufgelegt. Die Antragshürden zur Teilnahme an dem Programm waren hoch. Mit Unterstützung unseres Technologieberaters Albert Dreyling aus Jülich schrieben wir unseren ersten Businessplan und den TOU-Antrag. Die Prüfung durch den Projektträger VDI in Berlin war sehr umfangreich. Wir mussten uns Vorstellungsgesprächen unterziehen, ob wir zu solch einer anspruchsvollen Gründung auch fähig wären. Anfang 1992 erhielten wir den Zuwendungsbescheid. Damit war nun auch die Einstellung von weiteren Ultraschallexperten möglich. Zunächst hatten wir den Status eines Ingenieurbüros. Unser Ziel aber war von Beginn an, unsere Entwicklungsergebnisse selbst auch zu produzieren und weltweit zu vermarkten. Zwischenzeitlich hatten wir bereits am 5. Februar 1991 die Sonotec gegründet.
Es gab damals keine Gewerberäume oder Technologie- und Gründerzentren. Anders als Bill Gates in der Garage begann unser Geschäftsbetrieb im selbstausgebauten Kellerbüro in Halles Innenstadt. Als wir beim Gewerbeamt die Anmeldung machten, lautete der Unternehmenszweck: „Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Ultraschallsensoren und akustischen Sondermaterialien“. Da fragte mich die bearbeitende Kollegin vom Amt: „Saren Sie ma, kammern davon läm?“ Das wussten wir natürlich auch nicht, aber unsere Vision war geboren. Die Aufträge, die wir zunächst bekamen, erhielten wir ausschließlich von Firmen in Süd- und Westdeutschland. Wir entwickelten für sie Sensorkonzepte und Prototypen für neue technische Anwendungen. In den 1990er-Jahren schufen wir neue Produkte für die Prozessmesstechnik und erarbeiteten dazu viel neues technologisches Know-how.
Erfolgreich in die Zukunft
1999, acht Jahre nach der Gründung, war es an der Zeit, das bisher Erreichte und die Möglichkeiten des weltweiten Marktes zu analysieren. Ein neuer Businessplan entstand. Sonotec sollte sich ab da zu dem Spezialisten für kundenspezifische Ultraschallsensorlösungen entwickeln und wuchs kontinuierlich. Ein neues Gebäude wurde erworben und saniert. Die Entwicklungsabteilung, die Produktion und der Vertrieb wurden ausgebaut.
Eine wichtige Erkenntnis in dieser Zeit war ein Überblick über die weltweite Technologieszene. Mittelständler mit Hochschulen und Instituten thematisch in Netzwerken zusammenzubringen und gemeinsame Entwicklungsprojekte durchzuführen, ist ein probates Mittel, um Firmen zu stärken und an den Hochschulen die Praxisnähe zu entwickeln. Wir gründeten das Net.US (Netzwerk Ultraschall) und daraus 2013 gemeinsam mit vier mittelständischen Unternehmen das gemeinnützige Forschungszentrum Ultraschall (FZ-U). Persönlich war für mich wichtig, die Erfahrungen, die wir als Technologiefirma gesammelt haben, ehrenamtlich in die Breite zu tragen und so andere Gründer zu motivieren, es uns gleich zu tun. So arbeitete ich im Vorstand des Verbandes Innovativer Unternehmen (VIU) und im Senat der Forschungsgemeinschaft „Konrad Zuse“ mit.
Besonders am Herzen liegen mir natürlich immer meine Heimatstadt Halle und Mitteldeutschland. Seit vielen Jahren arbeite ich aktiv in der IHK Halle-Dessau in verschiedenen Ausschüssen und Arbeitskreisen. Seit 2018 leite ich den Arbeitskreis Innovation und Technologietransfer. Warum mache ich das alles? Ich möchte unserer Gesellschaft, die mir die unternehmerische Entwicklung ermöglicht hat, etwas zurückgeben.
Ein wichtiger Schritt zur Internationalisierung unserer Firma war 2013 die Gründung der Sonotec US auf Long Island bei New York. Es folgte der Ausbau unserer Sensorpalette in der Biotechnologie, der Instandhaltung, der Halbleiterindustrie, dem Maschinenbau und der Medizintechnik. Thematisch sind wir oft in der Vorreiterrolle. Mein Anspruch ist: In den Nischen, in denen Sonotec unterwegs ist, wollen wir weltweit Nummer eins werden, sein und die Position verteidigen.
Sonotec entwickelte sich vom Zweimannbetrieb 1991 zu einem mittelständischen Technologieunternehmen mit heute weit mehr als 200 Mitarbeitenden weltweit. Davon arbeiten 50 in der Entwicklung und Technologie. Der Kreis schließt sich – Santer und ich haben die Unternehmensnachfolge erfolgreich gelöst. Nach einem rechtlich komplizierten Nachfolgeprozess wurden 2019 die Verträge unterzeichnet. Santer stieg aus der operativen Leitung aus. Meine Kinder sind seither Geschäftsführer. Das Wachstum der Sonotec ging trotz Pandemie kontinuierlich weiter. Am 31. August 2023, meinem 68. Geburtstag, zog ich mich aus der Geschäftsführung zurück. Heute unterstütze ich meine Kinder – auf dem Gebiet der Innovation und Entwicklung neuer Produkte – ganz freiwillig und ehrenamtlich. Das Wichtigste: In den mehr als 30 Jahren als Unternehmer bin ich jeden Tag gern und mit Freude zur Arbeit gekommen. Meine Tätigkeit ist für mich Erfüllung und ich trage ein Stück zur Entwicklung unserer Gesellschaft bei.
Hans-Joachim Münch
GEBOREN: 1955/Halle (Saale)
WOHNORT (aktuell): Halle (Saale)
MEIN BUCHTIPP: Ulrich Plenzdorf: „Die neuen Leiden des Jungen W.“, 1972
MEIN FILMTIPP: „Die Söhne der großen Bärin“, 1966
MEINE URLAUBSTIPPS: Wörlitzer Park mit Wittenberg, Dessau, Dübener Heide
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |