Dirk Nerling, der Geschäftsführer der PDV GmbH, ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
In der aufregenden Wendezeit entwickelte der Leiter des Rechenzentrums des Kombinats Mikroelektronik, Wolfgang Schulz, die abenteuerliche Idee, ein IT-Unternehmen in Erfurt zu gründen. Im Jahr 1990 wurde die „pdv-systeme erfurt Gesellschaft für Systemtechnik mbH“ eingetragen. Der Name der Zwei-Mann-Firma klang bedeutungsvoll. Von einem Unternehmen konnte man damals noch nicht sprechen. Gehandelt wurde zunächst mit Hardware und fairerweise wurden der kleinen Firma Zahlungsfristen von mehreren Wochen eingeräumt. Das funktionierte gut. So konnten bald die ersten Mitarbeitenden eingestellt werden. Da der Gründer davon überzeugt war, dass Support und Dienstleistungen an Relevanz gewinnen würden und seine Mitarbeitenden über umfangreiche Softwareerfahrungen verfügten, wurde parallel der Softwarebereich entwickelt.
Im Jahr 1994 – ich war gerade mal 23 Jahre alt – kam es zu meiner ersten Begegnung mit dem Erfurter Unternehmen. Der Vertrieb von Hard- und Softwareprodukten bildete zu diesem Zeitpunkt das Kerngeschäft. Nach mehreren Gesprächen mit Wolfgang Schulz, dem Gründer und Geschäftsführer der damaligen PDV-Systeme GmbH, wollte ich unbedingt in diesem aufstrebenden Unternehmen arbeiten, zumal ich in Thüringen verwurzelt war. Die Dynamik und Aufbruchstimmung von Wolfgang Schulz mit seinem erst 13-köpfigen Team, gepaart mit innovativen Technologien, haben mich sofort begeistert. Die Tätigkeiten waren sehr abwechslungsreich. Das Spektrum reichte von einfachen Logistikaufgaben bis zur Konfiguration kompletter Workstations. Die Arbeit machte Spaß und ich habe viel dabei gelernt. Nach meiner Überzeugung ist eigenverantwortliches Agieren die beste Strategie, um das Unternehmen und die eigene Persönlichkeit voranzubringen. Die Möglichkeit dazu habe ich bei der PDV frühzeitig erhalten.
Nach meiner Überzeugung ist eigenverantwortliches Agieren die beste Strategie, um das Unternehmen und die eigene Persönlichkeit voranzubringen.”
Der Einstieg ins Softwaregeschäft
Es gibt viele Beispiele, die zeigen, wie fortschrittlich und flexibel die PDV zu unterschiedlichen Zeiten auf ihren Märkten agiert hat. Der Begriff Verwaltungsinformationssystem (VIS) wurde im Rahmen von Projektlösungen Mitte der 1990er-Jahre von ihr kreiert. 1998 kam im Auftrag des Unternehmens Compaq unter dem Namen VISkompakt 1.0 erstmals ein Standardprodukt für digitales Dokumentenmanagement für den Public Sector auf den deutschen Markt. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium Bayern war eine nahezu marktreife Lösung für die speziellen Anforderungen der deutschen Verwaltung entwickelt worden. Compaq, nach Übernahme von DEC zu einem Big Player avanciert, wollte um die Jahrtausendwende sein Hardwaregeschäft durch vorinstallierte Software in der öffentlichen Verwaltung pushen. Dass es so ein Produkt wie VISkompakt in das Portfolio von Compaq schaffte, war schon ein Kuriosum. Die mit Compaq vertraglich fixierten Termine waren äußerst sportlich. Die Herausforderung wurde für mich zu einem weiteren beruflichen Meilenstein. Ich durfte die Taskforce übernehmen. Dank klarer Strukturen, einer straffen Projektorganisation und vor allem des Engagements meiner Mannschaft haben wir alle Termine gegenüber Compaq einhalten können. Mit diesem Erfolg bin ich dann in das Softwaregeschäft eingestiegen. Nachdem die PDV die alleinigen Rechte an dem DMS-Produkt VISkompakt von Compaq erworben hatte, wurde das Innenministerium Thüringen mein erster großer Kunde im Public Sector.
Die Entwicklung des Unternehmens wurde durch das Konzept für Dokumentenmanagement und elektronische Archivierung in der öffentlichen Verwaltung DOMEA wesentlich vorangetrieben. Bei wichtigen Ausschreibungen waren DOMEA-zertifizierte Produkte gefragt, die das Erfurter Unternehmen als einer der ersten Anbieter vorweisen konnte. So wurde die PDV-Systeme zu einem führenden Unternehmen im deutschen E-Government-Markt, das Verwaltungssoftware herstellt, Lizenzen vergibt und zugleich Softwareservices anbietet.

Präsentation der VIS-Suite als ECM-Plattform auf der Computermesse Cebit in Hannover 2018. Abbildung: PDV GmbH
Die Krisenjahre 2007 bis 2009
Die weltweite Bankenkrise im Jahr 2007, gefolgt von einer Wirtschaftskrise in den folgenden zwei Jahren, ging trotz Konjunkturpaketen der Bundesregierung auch am Mittelstand und dem Public Sector nicht spurlos vorüber. Die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung verzögerte sich. Gerade erst hatte die PDV-Systeme die Ressourcen im Projektmanagement und in der Entwicklung für sehr große Landesprojekte deutlich erweitert, als die vereinbarten Dienstleistungen plötzlich nicht mehr abgerufen wurden. Es war bitter. Zudem musste sich die Unternehmensleitung damals von vielen Mitarbeitenden trennen. In dieser für das Unternehmen schweren Zeit übertrug mir Wolfgang Schulz die Leitung des Vertriebs. Die Kunden hielten uns die Treue. Neue große Aufträge aus Bayern, Sachsen und Thüringen ließen Umsatz und Gewinn deutlich steigen. Das Unternehmen befand sich wieder auf Wachstumskurs.
Im Zuge einer langfristig vorbereiteten Nachfolgeregelung verabschiedete sich Ende 2015 der Gründer nach 25 Jahren in den Ruhestand. Ich war inzwischen Geschäftsführer. Eine Gesellschaftergruppe erwarb Anteile an dem Unternehmen und ich durfte mich ebenfalls beteiligen. Die neuen Gesellschafter setzten von Anfang an auf eine langfristige Weiterentwicklung des Unternehmens. Die Marktposition als führendes Unternehmen im Bereich der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sollte mit Standardprodukten und Dienstleistungen kontinuierlich ausgebaut werden. Umfangreiche Investitionen flossen in die Produktentwicklung sowie in die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.
Zuvor hauptsächlich mit der Digitalisierung der allgemeinen Verwaltung befasst, gelang uns nach einer Landesausschreibung in Baden-Württemberg der Einstieg in den Justizbereich. Innerhalb weniger Jahre wurde die Branchenlösung VIS-Justiz in weiteren Bundesländern eingesetzt. Sie ist heute an digitalisierten Richterarbeitsplätzen ein weitverbreitetes System. Bei der Entwicklung der elektronischen Gerichtsakte wurde gemeinsam mit unserem Kunden in Baden-Württemberg frühzeitig auch am Datentransfer zwischen der Justiz und Polizei gearbeitet. Seitdem wird die Branchenlösung VIS-Polizei stetig weiterentwickelt.

Vertragsunterzeichnung mit dem Thüringer Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Dieter Lauinger 2016. Abbildung: PDV GmbH
Erschließen neuer Geschäftsfelder
Mitunter eröffnen sich unerwartet neue Geschäftsmöglichkeiten in bereits bestehenden Märkten. Mitte des vergangenen Jahrzehnts änderte ein etablierter Hersteller von Texterkennungssoftware sein Lizenz- und Wartungsmodell signifikant, sodass es für zahlreiche Kunden im Public Sector unattraktiv wurde. Wir haben die Chance erkannt und präsentierten nach wenigen Monaten intensiver Entwicklungsarbeit auf der Cebit 2017 erstmals eine eigene Scanlösung. Mit VIS-Scan offerierten wir der öffentlichen Verwaltung ein einfach zu bedienendes, den gültigen technischen Richtlinien entsprechendes und zugleich kostengünstiges System zum intelligenten Scannen „Made in Ostdeutschland“.
Die Cebit in Hannover markierte in der Firmengeschichte mehrfach wichtige Meilensteine. Auf der (leider) letzten Computermesse im Jahr 2018 stellten wir dem Fachpublikum auf einer riesigen Standfläche erstmals die VIS-Suite als ECM-Plattform speziell für den Public Sector vor. Wir trafen damit den Nerv der öffentlichen Verwaltung, da Geschäftsprozesse möglichst komplett digitalisiert werden sollten. In der Folge gelang es uns, weitere große Landesaufträge zu gewinnen. Die PDV ist gegenwärtig in sieben Bundesländern mit der VIS-Suite vertreten. Der Erfahrungsaustausch zwischen Anwendern und der PDV sowie die Mitwirkung der Kunden an der Weiterentwicklung von Produkten und Services sind wichtige Erfolgsfaktoren für das Unternehmen. Der Funktionsumfang, gepaart mit der leichten Bedienbarkeit des Produkts und den soliden Serviceleistungen, haben dazu geführt, dass die VIS-Suite seit 2016 von den Nutzern wiederholt zur besten E-Akte-Lösung gekürt wurde.
Schnelles Wachstum
Die Zahl der Mitarbeitenden des Unternehmens, welches seit 2018 als PDV GmbH firmiert, stieg innerhalb weniger Jahre von etwa 100 auf heute über 300. Gleichzeitig erhöhte sich die Anzahl der Kunden im Public Sector von etwa 120 auf heute 764 Institutionen mit 197.000 produktiven Nutzern. Die Entwicklung verlief nahezu exponentiell mit allen damit verbundenen Freuden und Schmerzen. Die Schmerzen des schnellen Wachstums haben uns gezeigt, an welchen Stellen wir nachbessern mussten. Es galt, eine zweite Führungsstruktur aufzubauen und die Führungskräfte zur eigenverantwortlichen Arbeit zu qualifizieren. Einen wesentlichen Meilenstein in der Organisationsentwicklung markierte die Gründung von PDV-Niederlassungen in sieben weiteren Bundesländern. Mit den 150 Beratern, Entwicklern und Projektmanagern in den Niederlassungen können nunmehr in den jeweiligen Regionen nah am Kunden Aufgaben autonom, schnell, kompetent und ressourcenschonend bearbeitet werden.
Die strukturübergreifende Digitalisierung von Verwaltungsprozessen erfordert mehr denn je, die Synergieeffekte starker Partner zu nutzen. Wir haben unser Portfolio insbesondere im kommunalen Markt durch den Erwerb der Unternehmen adKomm GmbH in Stammham, CC e-gov GmbH mit Sitz in Hamburg und comundus regisafe GmbH in Waiblingen deutlich erweitert. Die innerhalb der PDV.group agierenden Unternehmen sind ausgewiesene Digitalisierungsexperten auf dem deutschen Markt. Das aufeinander abgestimmte Produkt- und Leistungsportfolio wird es den Unternehmen künftig noch besser als bisher ermöglichen, staatliche Stellen komplett aus einer Hand zu bedienen.
Die klaren Strukturen mit den Geschäftsbereichen Föderal, Kommunal und Softwareentwicklung mit definierten Prozessen innerhalb der PDV sind etabliert und die Zusammenarbeit mit den Gesellschaftern funktioniert hervorragend. Die Prognose für die Zukunft fällt sehr positiv aus. Die PDV entwickelt sich mehr und mehr zum Digitalisierungspartner, denn die Digitalisierung der Verwaltung beginnt gerade erst richtig. In den kommenden Jahren muss ein Großteil der Geschäftsprozesse in der öffentlichen Verwaltung automatisiert werden. Mit neuen Technologien wie KI entstehen dafür völlig neue Möglichkeiten. Bis 2027 wollen wir mit der PDV.group 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaften. Es gibt für uns viel zu tun.
PDV GmbH
GEGRÜNDET: 1990/Erfurt
STANDORTE: Erfurt, Berlin, Chemnitz, Dortmund, Hannover, Kiel, München, Stuttgart
MITARBEITENDE: 300
WEBSITE: pdv.de
Dirk Nerling
GEBOREN: 1971/Erfurt
WOHNORT (aktuell): Thüringen
MEIN BUCHTIPP: Liselotte Welskopf-Henrich: „Die Söhne der großen Bärin“, 1951
MEIN FILMTIPP: „Spur der Steine“, 1966
MEIN URLAUBSTIPP: Rügen
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |