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Gabor Halasz: Mehr 1989 wagen. Warum es jetzt ostdeutschen Optimismus braucht

Der Jour­na­list Gabor Halasz ist ein wich­ti­ger Impuls­ge­ber für Ost­deutsch­land. Er setzt sich ein für Ver­ge­wis­se­rung, Ver­stän­di­gung und Ver­söh­nung. Mit die­sem Bei­trag ist er auch in dem Sam­mel­band „Den­ke ich an Ost­deutsch­land ...“ vertreten.

Gabor Halasz, Journalist. Abbildung: Thomas Kierok

Gabor Halasz, Jour­na­list. Abbil­dung: Tho­mas Kierok

Den­ke ich an Ost­deutsch­land, dann den­ke ich an Hoff­nung. Dar­an, dass Mau­ern fal­len kön­nen. Auch wenn sie mit Sta­chel­draht und Todes­strei­fen geschützt sind – also unüber­wind­bar schei­nen. Ich den­ke dar­an, dass nichts so blei­ben muss, wie es ist. Dass auch fins­te­re Dik­ta­tu­ren stür­zen kön­nen. Dass am Ende Frei­heit und Demo­kra­tie gewin­nen. Ja, das mag ein wenig kit­schig oder auch naiv klin­gen und lässt sich des­we­gen auch leicht abtun. Aber erin­nern wir uns doch an das Jahr 1989. Wer hät­te noch im Früh­ling gedacht, dass bald die Mau­er fällt? Alles ist mög­lich – das kann ein tröst­li­cher Gedan­ke sein.

Er könn­te uns hel­fen, gera­de in den heu­ti­gen Zei­ten. Die Gewiss­heit, dass sich Din­ge ändern kön­nen – auch grund­le­gend –, das ist eine Quel­le für Hoff­nung und Opti­mis­mus. Hoff­nung, dass Krie­ge been­det wer­den und Frie­den herrscht. Das Den­ken an die fried­li­che Revo­lu­ti­on von 1989 zeigt: Auf­ge­ben und sich abfin­den ist nie eine gute Idee.


Wie schön wäre es doch, wenn wir gegen­sei­tig von­ein­an­der ler­nen und wenn unser Land ost­deut­scher wer­den würde?”


Als alles möglich schien

1989 bis 1990. Es war eine ver­rück­te Zeit. Ich habe sie in mei­ner Hei­mat­stadt Leip­zig erlebt. Dort wur­de ich 1977 gebo­ren, in die­ser grau­en Stadt, in der es im Win­ter nach Koh­le­ofen roch. Ich leb­te eine Kind­heit, in der es Pio­nier­nach­mit­ta­ge, aber auch abends die Tages­schau im Fern­se­hen gab. Ich glaub­te an ein Land, doch selbst für mich als Zwölf­jäh­ri­gen waren Wider­sprü­che spür­bar. Woche für Woche gin­gen mehr Men­schen auf die Stra­ßen. Immer mon­tags in Leip­zig. Und dann kam der 9. Okto­ber 1989 – der Mon­tag, als Zehn­tau­sen­de in Leip­zig ihr Leben ris­kier­ten, weil sie für die Frei­heit demons­trier­ten. Ich hat­te Angst, denn ich konn­te mich gut an die Bil­der aus Peking erin­nern – Bil­der, die auch die DDR erreicht hat­ten. Sie zeig­ten Pan­zer auf dem Tian­an­men-Platz. Das war gera­de mal ein hal­bes Jahr her. Pas­siert so ein Mas­sa­ker jetzt auch in Leip­zig? In mei­ner Hei­mat­stadt? Unser Leh­rer warn­te uns an die­sem Mon­tag, wir soll­ten nicht in die Innen­stadt gehen. Am Ende kamen 70.000 Men­schen, es wur­de nicht geschos­sen und es war der Schlüs­sel­mo­ment die­ses Herbs­tes. Revo­lu­tio­nen funk­tio­nie­ren auch fried­lich, die Ost­deut­schen haben das an die­sem Mon­tag­abend in Leip­zig – aber auch in vie­len ande­ren Städ­ten zuvor – bewie­sen. Es waren die glück­lichs­ten Wochen der deut­schen Geschich­te. Als plötz­lich alles mög­lich schien.

Es folg­te der Mau­er­fall, die ers­te Fahrt nach West­ber­lin. Ich fand die­se Stim­mung damals ganz wun­der­bar und ich mei­ne weit mehr als den Geruch der Kauf­häu­ser am Kur­fürs­ten­damm. Es war die­ser neue Geist, die Auf­bruch­stim­mung, die Mög­lich­kei­ten der Demo­kra­tie. Ich erin­ne­re mich, dass damals die Sit­zun­gen des Run­den Tisches im Fern­se­hen lie­fen. Müh­sa­me Poli­tik live gesen­det. Dort am Run­den Tisch wur­de sogar ein Ver­fas­sungs­ent­wurf für die DDR erar­bei­tet. Es konn­te sogar pas­sie­ren, dass sich Men­schen aus völ­lig unter­schied­li­chen Par­tei­en gegen­sei­tig über­zeug­ten. Ein­fach aus der Kraft des Argu­men­tes. Ich mag den Gedan­ken und wür­de ihn mir heu­te für man­che Bun­des­tags­de­bat­te wün­schen, in der Frak­ti­ons­zwang herrscht.

Dass das zu ver­träumt für die Rea­li­tät ist, zeig­te sich schnell: Spä­tes­tens am 18. März 1990 – als die Bür­ger­recht­ler, die in mei­nen Augen die fried­li­che Revo­lu­ti­on mög­lich gemacht haben, bei den ers­ten frei­en Wah­len der DDR kaum eine Rol­le mehr spiel­ten. Die Men­schen woll­ten Rei­se­frei­heit, West-Joghurt und natür­lich die D-Mark. Der Ver­fas­sungs­ent­wurf vom Run­den Tisch lan­de­te im Papier­korb. Die DDR trat dem Grund­ge­setz bei. Heißt, im Wes­ten änder­te sich nichts – außer spä­ter die Post­leit­zah­len. Im Osten änder­te sich alles. Ich hät­te mir gewünscht, dass bei­de Sei­ten gemein­sam etwas Neu­es erar­bei­ten und das gute Grund­ge­setz mit Vor­schlä­gen der DDR-Oppo­si­ti­on noch bes­ser gemacht hätten.

Eine neue, gemein­sa­me Hym­ne wäre zum Bei­spiel eine Idee gewe­sen. Dann hät­ten bei­de Sei­ten etwas Neu­es ler­nen müs­sen und es hät­te eine Ein­heits­er­zäh­lung gegeben.

Dar­aus ist viel Frust gewach­sen, auch Frust mit der Demo­kra­tie. Sie ist nicht mehr auf­re­gend wie 1989/90. Sie ist anstren­gend, manch­mal unver­ständ­lich und frus­trie­rend. Aber doch das Bes­te, was wir haben. Und sie lebt wie damals von denen, die sich enga­gie­ren. Manch­mal ärge­re ich mich über eine Hal­tung, die es nicht nur im Osten gibt. Eine Hal­tung, die sich salopp so zusam­men­fas­sen lässt: Ich zah­le doch Steu­ern, also muss der Staat auch lie­fern. Als wäre die Demo­kra­tie ein Lie­fer­dienst. Nur so funk­tio­niert sie eben nicht. Man darf auch mitmachen.

Gabor Halasz als Korrespondent des ARD-Hauptstadtstudios. Abbildung: ARD Foto

Gabor Halasz als Kor­re­spon­dent des ARD-Haupt­stadt­stu­di­os. Abbil­dung: ARD Foto

Vom Osten lernen

Es folg­ten die für mich sehr prä­gen­den 90er-Jah­re. Als die Gene­ra­ti­on mei­ner Eltern plötz­lich fast alles ver­lor, was sie aus­ge­macht hat. Arbeit, Iden­ti­tät, Aner­ken­nung. Was für eine Leis­tung ist es doch, dass sich Mil­lio­nen Ost­deut­sche zurück­ge­kämpft haben. Dass sie wis­sen, was es bedeu­tet, wenn sich von einem Tag auf den ande­ren alles ändert. Neu star­ten, sich neu erfin­den, etwas neu auf­bau­en. Das kön­nen die Ost­deut­schen. Nur inter­es­siert das heu­te meist kaum. Da wird in Ber­lin ein neu­es Hei­zungs­ge­setz geschrie­ben. Aber auf die Idee, mal im Osten nach­zu­fra­gen, dort wo sich Men­schen mit Trans­for­ma­tio­nen aus­ken­nen, ist nie­mand gekom­men. Eine ver­pass­te Chance.

Ja, war­um fra­gen wir uns eigent­lich so wenig? Die Ein­heit voll­enden bedeu­tet in mei­nen Augen für vie­le immer wie­der: Alle sind gleich – Bio­gra­fien glei­chen sich an. Das möch­te ich gar nicht, denn das wäre wahn­sin­nig lang­wei­lig. Ist es nicht viel­mehr ein gro­ßes Geschenk, dass wir unter­schied­lich sind? Wir müs­sen uns nur zuhö­ren und neu­gie­rig auf­ein­an­der sein. Das gilt nicht nur für die Unter­schie­de zwi­schen Ost und West. Auch Men­schen, die kei­ne deut­schen Wur­zeln haben, brin­gen ande­re Per­spek­ti­ven mit ein. Das macht uns am Ende reicher.

Doch noch immer ist unser Land sehr west­deutsch geprägt. Auch wenn wir eine ost­deut­sche Kanz­le­rin und einen ost­deut­schen Bun­des­prä­si­den­ten hat­ten, braucht es in der Spit­zen­po­li­tik eine Lupe, um Ost­deut­sche zu fin­den. Sie fehl­ten zuletzt sogar auf den Grup­pen­fo­tos zum Tag der Deut­schen Ein­heit und das Schlim­me ist: Es fällt kaum jeman­dem auf. Wenn CDU-Chef Fried­rich Merz im Bun­des­tag die Wirt­schafts­mi­nis­ter der 90er-Jah­re lobt, dann merkt er offen­bar gar nicht, was die­se Zeit für die Men­schen im Osten bedeu­tet hat. Sie erin­nern sich sicher nicht an eine wirt­schaft­lich erfolg­rei­che Zeit. Oder: Die Coro­na­pan­de­mie wur­de als schwers­te Kri­se seit dem Zwei­ten Welt­krieg bezeich­net. Für vie­le Ost­deut­sche ent­spricht das sicher nicht der Lebens­rea­li­tät. Das alles zeigt, wie sehr ost­deut­sche Per­spek­ti­ven fehlen.

Ost­deut­sche in Füh­rungs­po­si­tio­nen sind fast 35 Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung noch immer unter­re­prä­sen­tiert. Das Ren­ten­ni­veau wur­de erst kürz­lich ange­gli­chen. Noch immer wird deut­lich weni­ger ver­dient und auch deut­lich weni­ger ver­erbt. Das alles sind Grün­de, war­um sich die Benach­tei­li­gung auch nicht aus­wächst. Selbst die Ost­deut­schen, die nach 1990 gebo­ren wur­den, füh­len sich nicht als Bür­ge­rin­nen und Bür­ger ers­ter Klas­se, obwohl sie die DDR nur aus Erzäh­lun­gen kennen.

Journalistische Begleitung der Außenministerin Annalena Baerbock. Abbildung: ARD Foto

Jour­na­lis­ti­sche Beglei­tung der Außen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock. Abbil­dung: ARD Foto

Neue Gräben

Ich möch­te nicht von neu­en Mau­ern spre­chen, aber viel­leicht von Grä­ben. Die haben sich durch­aus wie­der ver­tieft. Und dar­an sind dann auch durch­aus bei­de Sei­ten schuld. Es geht schon mit der Fra­ge los: Was ist das über­haupt – ost­deutsch sein? Muss ich im Osten gebo­ren sein? Muss ich dort leben oder ver­lie­re ich den Ossi-Sta­tus, wenn ich weg­ge­zo­gen bin? Was ist mit Leu­ten, die im Wes­ten gebo­ren wur­den und seit vie­len Jah­ren im Osten leben? Oder eben mit denen, die erst nach 1990 gebo­ren wur­den? Es ist wahn­sin­nig kom­pli­ziert, aber ich fin­de, wir soll­ten es uns nicht so kom­pli­ziert machen.

Dazu gehört auch die Erkennt­nis, dass es DEN Osten so gar nicht gibt. Schlag­zei­len wie „Der Osten hat gewählt“ sind kei­ne Sel­ten­heit. Einen der­art undif­fe­ren­zier­ten Blick auf den Wes­ten gibt es nicht. Berich­te wirk­ten lan­ge, als wären sie von Aus­lands­kor­re­spon­den­ten ver­fasst. Repor­ter aus Ham­burg oder Köln reis­ten an und brach­ten eine Geschich­te im Kopf schon mit. Über den Ossi, den es so gar nicht gibt. Denn wer im Erz­ge­bir­ge lebt, hat ganz ande­re Sor­gen als in Ber­lin. Zwi­schen Schwe­rin und Suhl kön­nen Wel­ten lie­gen. Um das zu ändern, braucht es nicht nur gute Repor­te­rin­nen und Repor­ter aus dem Osten. Es braucht star­ke und selbst­be­wuss­te ost­deut­sche Medi­en­häu­ser und Sender.

Gabor Halasz lebte fünf Jahre in Neu-Delhi. Abbildung: ARD Foto

Gabor Halasz leb­te fünf Jah­re in Neu-Delhi. Abbil­dung: ARD Foto

Wir müssen uns nicht verstecken

Ja, DEN Ossi gibt es nicht. Aber es gibt etwas Ver­bin­den­des. Eine ost­deut­sche Iden­ti­tät. Die Welt vor Ort ist nicht schwarz-weiß. Wie schön wäre es doch, wenn wir gegen­sei­tig von­ein­an­der ler­nen und wenn unser Land ost­deut­scher wer­den wür­de? Gemeint ist die Erfah­rung, die die Ost­deut­schen ein­ge­bracht haben, die aber irgend­wo ver­gra­ben liegt. Ver­gra­ben wie auch das Selbst­be­wusst­sein, dass uns Ost­deut­schen manch­mal durch­aus gut zu Gesicht ste­hen wür­de. Wir müs­sen uns nicht ver­ste­cken. Wir haben eine Men­ge zu erzäh­len und ein­zu­brin­gen. Vor allem kön­nen wir hel­fen, den Opti­mis­mus nicht zu verlieren.

Ich selbst habe mein Ost­deutsch­sein auch erst wie­der­ent­deckt. Ich bin irgend­wann aus mei­ner Hei­mat­stadt weg­ge­zo­gen. Erst nach Ham­burg, dann leb­te ich fünf Jah­re in Neu-Delhi. Von Indi­en aus wir­ken vie­le deut­sche Debat­ten sehr weit weg – als ich aber dann zurück­kehr­te, merk­te ich schnell, dass wir immer noch so sehr neben­ein­an­der­her leben. Dass wir uns zu wenig zuhö­ren. Nicht von­ein­an­der ler­nen. Wie scha­de! Ich selbst füh­le mich immer wie­der zwi­schen den Stüh­len. Im Wes­ten erklä­re ich den Osten und im Osten den Wes­ten. Ein­fach nur, weil ich in bei­den Tei­len gelebt und gear­bei­tet habe. Aber viel­leicht ist so eine Posi­ti­on zwi­schen den Stüh­len nicht die schlech­tes­te. Sie hilft dabei, unter­schied­li­che Per­spek­ti­ven einzunehmen.

Eine ganz wich­ti­ge ist für mich die der fried­li­chen Revo­lu­ti­on. Des­we­gen fin­de ich: Lasst uns mehr 1989 wagen. Ich wün­sche mir etwas von die­sem Geist zurück, von die­ser Auf­bruch­stim­mung. Ich wün­sche mir Hoff­nung und Optimismus.

Gabor Halasz berichtete auch aus Afghanistan – hier Bamiyan. Abbildung: ARD Foto

Gabor Halasz berich­te­te auch aus Afgha­ni­stan – hier Bami­yan. Abbil­dung: ARD Foto


Label Impulsgeber Ost

Gabor Halasz

GEBOREN: 1977/Leipzig
WOHNORT: Berlin
MEINE BUCHTIPPS: Bri­git­te Rei­mann: „Fran­zis­ka Lin­ker­hand“, 1974; Cle­mens Mey­er: „Als wir träum­ten“, 2006
MEIN FILMTIPP: „Wir Ost­deut­sche – 30 Jah­re im ver­ein­ten Land“, 2022
MEINE URLAUBSTIPPS: Des­sau (Meis­ter­häu­ser), Darss, Wei­mar, Leipzig

 

BUCHTIPP:

„Denke ich an Ostdeutschland ...“

In der Bezie­hung von Ost- und West­deutsch­land ist auch 35 Jah­re nach dem Mau­er­fall noch ein Kno­ten. Die­ser Sam­mel­band will einen Bei­trag dazu leis­ten, ihn zu lösen. Die 60 Autorin­nen und Autoren geben in ihren Bei­trä­gen wich­ti­ge Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft. Sie zei­gen Chan­cen auf und skiz­zie­ren Per­spek­ti­ven, scheu­en sich aber auch nicht, Her­aus­for­de­run­gen zu benen­nen. Die „Impuls­ge­be­rin­nen und Impuls­ge­ber für Ost­deutsch­land“ erzäh­len Geschich­ten und schil­dern Sach­ver­hal­te, die auf­klä­ren, Mut machen sowie ein posi­ti­ves, kon­struk­tiv nach vorn schau­en­des Nar­ra­tiv für Ost­deutsch­land bilden.

„Den­ke ich an Ost­deutsch­land ... Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft“, Frank und Robert Neh­ring (Hgg.), PRIMA VIER Neh­ring Ver­lag, Ber­lin 2024, 224 S., DIN A4.

Als Hard­co­ver und E-Book hier erhältlich.

 

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