Hans-Jürgen Schwarz, der Geschäftsführer der Ambulanz Mobile GmbH & Co. KG, ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.

Hans-Jürgen Schwarz, Geschäftsführer Ambulanz Mobile GmbH & Co. KG. Abbildung: Ambulanz Mobile
Als ich am 16. Oktober 1954 im kleinen Städtchen Seehausen (Altmark) das Licht der Welt erblickte, konnte ich noch nicht ahnen, dass Licht – und zwar blaues Licht – mich den größten Teil meines Lebens begleiten würde.
Ich wuchs in einer beschaulichen Umgebung mit Wald und Wasser auf. Meine Mutter war alleinstehend, so verbrachte ich viel Zeit bei meinen Großeltern. Großvater Heinrich Schwarz war ein sehr intelligenter und starker Mann, der zwei Weltkriege miterlebte und sich und seine Familie immer wieder „ins Leben zurückholte“. Wenn er konnte, las er. War aber als Bürgermeister ebenso für andere Menschen da. Er hat mein Interesse für Geschichte und Geografie mit einem alten Atlas geweckt, mir als mein persönlicher Lehrer aber auch Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen vorgelebt und beigebracht. Ich höre ihn noch sagen: „Lass dich nie von deinem Weg abbringen. Es geht im Leben natürlich nicht immer geradeaus, aber dein Ziel darfst du nicht aus den Augen verlieren!“
Seitdem sehe ich mein Leben gern als Landkarte. Ich versuche immer, auf der Hauptstraße zu fahren. Wenn da allerdings einmal eine Straßensperre ist, dann geht es eben über Schotterpisten weiter und vielleicht auch einmal in eine Haarnadelkurve, aber stets mit Blick auf meinen Zielort. Im Jahr 1961 war meine Mutter noch für meine Lebenslandkarte verantwortlich. Sie zog mit mir nach Schönebeck (Elbe), eine Industriestadt mit langer Tradition. Dort erwarb ich meinen Schulabschluss, dem meine Ausbildung zum Zerspanungsfacharbeiter folgte. Nach meinem Grundwehrdienst in der Armee schloss sich von 1978 bis 1983 in Magdeburg ein Studium an. Auch wenn mein Großvater mich schon früh mit seinem Atlas begeisterte, so wählte ich statt des Geografiestudiums dann doch das Studium des Maschinenbaus. Das war allerdings auch ein Bereich, in dem ich genau die Kompetenzen, die ich an meinem Großvater schätzte, ausleben konnte. Ich bin ein Visionär und liebe es, Innovationen mit dem nötigen Durchsetzungsvermögen zur Marktreife zu bringen. Heute sind das für mich alle Produkte, die es so noch nicht gibt und die den Menschen hilfreich sind. Aber dazu später mehr …
Mit Enthusiasmus und dem Willen, etwas selbständig zu schaffen, war besonders der wirtschaftliche Umbruch eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance.”
Erst Traktoren, dann Krankenwagen
Im Dezember 1985 passierte etwas Außergewöhnliches, so besonders, dass es sogar eine Wettwelle auslöste: Ich bekam die Stelle des „Direktors für Produktion“ im damals größten Unternehmen in Schönebeck (Elbe), dem Traktoren- und Dieselmotorenwerk, angeboten. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade erst 31 Jahre alt und zugegeben sehr stolz auf dieses Angebot. Die Verantwortlichen meinten, sie wollten mit mir Neues ausprobieren. Dennoch erbat ich mir Bedenkzeit. Da aber meine Neugier und mein Ehrgeiz geweckt waren, sagte ich zu. Damit begannen im TWS – so nannte man den Betrieb – die Spekulationen. Viele der Beschäftigten gaben ihre Prognosen ab, wie lange ich wohl im Amt des Produktionsdirektors bleiben würde. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass jemand diese Wette gewinnt. Das Ende verrate ich gern: Keiner der Wettenden lag richtig, mein Eifer war nämlich nicht zu bremsen.
Dann kamen das Jahr 1989 und die Wende. Die Treuhandanstalt übernahm das TWS im Jahr 1990 und es wurde zur „Land Technik AG Schönebeck“, einer Aktiengesellschaft ohne tatsächliche Aktien. Diese Übernahme löste vor allem wegen der personellen Besetzung mit hauptsächlich Westdeutschen viel Wut und Verzweiflung bei den ehemaligen DDR-Bürgerinnen und -Bürgern aus. Für viele wurde diese Zeit zum dunkelsten Kapitel im Aufbau der neuen Bundesrepublik.
Ich blieb im Vorstand und in dieser Rolle kam es ungefähr im Herbst 1990 zu einer Begegnung mit dem Geschäftsführer eines Versicherungsmaklerunternehmens aus dem Rheinland. Dieser Mann besaß auch eine Firma in der Eifel, wo Krankenwagen gebaut wurden. Und so zog mich – damals wohl noch unbewusst – das blaue Licht in seinen Bann. Meinem damaligen Partner aus dem TWS ging es ähnlich, denn wir beschlossen, eine neue Firma zu gründen.

Ein Familienunternehmen: Raik Schwarz, Dagmar Schwarz, Hans-Jürgen Schwarz, Frank Lundershausen (v. l. n. r.). Abbildung: Ambulanz Mobile
Von der Vision in die Wirklichkeit
Gesagt, getan: Am 1. Juli 1991 ließen wir das Unternehmen „Karosserie- und Fahrzeugbau Ambulanz Mobile“ in das Handelsregister eintragen. Wir starteten mit Mitarbeitenden, die zwar vom Willen getrieben waren, nicht arbeitslos zu werden, aber auch mit Tatendrang in die neue Zukunft gingen. Mir scheint, dass Ehrgeiz eine typisch „ostdeutsche Eigenschaft“ in diesen schwierigen Zeiten war – auch wenn ich mir noch viel mehr Ostdeutsche mit eben dieser Kompetenz gewünscht hätte. Aber ohne Kapital war es nun mal schwierig, eine Firma zu führen. Unser Budget kam von dem rheinländischen Versicherungsmakler, dessen Anteile wir dann neun Jahre später, also im Jahr 2000, aufkauften. So wurden wir die Gesellschafter. Für uns galt die Firmenphilosophie, dass wir den überwiegenden Teil des erwirtschafteten Geldes wieder investieren. In den Jahren 2003, 2007 und 2015 bauten wir neue Hallen. Mein damaliger Partner verließ das Unternehmen im Jahr 2011 aus gesundheitlichen Gründen. Personell wuchs Ambulanz Mobile weiter an. Wenn man bedenkt, dass wir mit nur sechs Mitarbeitenden gestartet sind, blicke ich schon mit Stolz auf die aktuelle Zahl: Heute sind in Schönebeck (Elbe) circa 340 Mitarbeitende tätig.
Das sind zwar beeindruckende Zahlen, doch hinter ihnen steht noch viel mehr. Was einmal als Vision begann, ist längst Wirklichkeit: Wir bauen die modernsten Krankenwagen Europas, denn der entscheidende Faktor für unseren Erfolg waren und sind die Produkte. Wir sind Innovationsführer in unserer Branche, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Wir haben bisher Ambulanzfahrzeuge in mehr als 40 Länder geliefert, so zum Beispiel nach Brasilien, Abu Dhabi, Israel, Schweden, Finnland, Spanien, Libyen, die Niederlande und Großbritannien. Alles weitestgehend mit treuen Partnern: Eine Kunststofffirma, ein Familienunternehmen aus Sachsen, begleitet uns seit über 27 Jahren entwicklungs- und lieferseitig.
Es klingt vielleicht so, als würde ich nichts anderes sehen als blaues Licht, doch das stimmt natürlich nicht. Ich bin Ehemann, Vater und Großvater. Meine Frau Dagmar, als studierte Betriebswirtschaftlerin, unterstützt mich in vielen Dingen. Wenn ich mich zurückerinnere, wie ich als junger Mann Direktor wurde, und dann heute auf mich schaue, sehe ich, dass meine Liebe zur Innovation und mein Ehrgeiz zwar noch immer ungebrochen sind, doch mit Erfahrung und gestiegenem Lebensalter bin ich auch besonnener geworden. Wichtige Entscheidungen überschlafe ich jetzt lieber eine Nacht. Das ist etwas, das ich von Dagmar gelernt habe. Sie ist Basis meines privaten Glücks, ist mir aufgrund ihrer Profession aber auch beruflich eine gute Ratgeberin, genauso wie unser Sohn Frank, mit dem ich mich regelmäßig austausche und der die Firma übernehmen wird, wenn ich in den Ruhestand gehe. Mein zweiter Sohn Raik arbeitet auch im Unternehmen. Meine Tochter Franziska lebt mit ihrer Familie in der Schweiz.
Innovativ zum Erfolg
Im Gegensatz zu meinen begrenzten Möglichkeiten in der DDR kann ich heute meine Kreativität viel besser ausleben. Ich habe die nötigen Produkte und Mitarbeitenden, die ich brauche, um Dinge gestalten zu können. Mein wichtigstes Projekt war eine Innovation, welche die gesamte Branche verändert hat. Wir haben die „blauen Augen“ in das Hochdach eines Krankenwagens integriert, statt sie aufzusetzen. Das war im Jahr 2003 und wir nannten das neue Baby „Hornis“. Wir entwickelten ein eigenes Dach, was eine verbesserte Aerodynamik zur Folge hatte. Diese Novität haben wir uns patentrechtlich gesichert, was auch wichtig war, denn unsere Mitbewerber wären gern auf diesen Zug aufgesprungen. Wir haben davon tausende Fahrzeuge verkauft, unter anderem nach Österreich, Norditalien, in die Schweiz und sogar bis nach Peru.
Stolz sind wir auch auf die Lieferung von mehr als 100 Ambulanzen auf die Nordinsel Neuseelands inklusive Folgeauftrag in Kooperation mit Volkswagen. Die jahrzehntelangen Partnerschaften mit großen Fahrzeugherstellern wie Mercedes, MAN, Ford und VW haben es uns ermöglicht, vollelektrische Kranken- und Rettungswagen zu entwickeln. Auch auf diesem Gebiet sind wir Vorreiter.

Frank Lundershausen, Dagmar Schwarz, Hans-Jürgen Schwarz, Raik Schwarz (v. l. n. r.) in der Produktionshalle. Abbildung: Ambulanz Mobile
Positive Zukunftsvision
Um noch einmal auf die ostdeutsche Mentalität zurückzukommen. Nach der Wende waren viele Dinge, auf die wir uns einstellen mussten, anders. Mit Enthusiasmus und dem Willen, etwas selbstständig zu schaffen, war besonders der wirtschaftliche Umbruch eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance. Wir haben sie genutzt. Heute werden wir in der Wirtschaft wieder in hohem Maße durch Vorgaben der EU oder unserer Bundesregierung reglementiert.
Auch für unser Land wünsche ich mir noch stärker ein Zusammenspiel, ein Verschmelzen der Begriffe „Ost“ und „West“. Diese Bezeichnungen haben für mich nichts mehr mit politischen Zuschreibungen zu tun, sondern sollten lediglich Himmelsrichtungen angeben. Ich wünsche mir, dass Stigmata und Klischees verschwinden. Denn dass es eine Frage der Persönlichkeit und nicht des Geburtsbundeslandes ist, wie intelligent jemand agiert, lässt sich an so vielen Stellen beweisen, auch an unserer Firmengeschichte, wo Menschen miteinander produktiv sind – egal, wann und wo sie geboren wurden. Doch um aktiv sein zu können, muss das Fundament passen. Genau da sehe ich aktuell leider viele brüchige Stellen, denn die politischen Rahmenbedingungen sorgen immer mehr für die Herabsetzung der Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Wir müssen uns Barrieren wie dem Bürokratismus entschieden entgegenstellen.
Als Mensch, als Unternehmer und auch als Großvater von vier Enkelkindern blicke ich jedoch positiv in die Zukunft und versuche jeden Tag, meinen Teil dazu beizutragen, Menschen das Leben zu erleichtern, sei es durch die Entwicklung besserer Produkte oder indem ich mich ehrenamtlich und auch finanziell bei mir in der Region für Kinder einsetze.

Hans-Jürgen Schwarz und Frank Lundershausen vor ausgebauten Notarzteinsatzfahrzeugen. Abbildung: Ambulanz Mobile
Ambulanz Mobile GmbH & Co. KG
GEGRÜNDET: 1991/Schönebeck (Elbe)
STANDORT: Schönebeck (Elbe)
MITARBEITENDE: 340
WEBSITE: ambulanzmobile.de
Hans-Jürgen Schwarz
GEBOREN: 1954/Seehausen (Altmark)
WOHNORT (aktuell): Schönebeck (Elbe)
MEIN BUCHTIPP: Dirk Oschmann: „Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“, 2023
MEIN FILMTIPP: „Die Vergessenen Orte der Arbeit“, 2013
MEIN URLAUBSTIPP: Zingst (Darss)
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |