Katja Bauer, Partnerin der i-potentials GmbH, ist eine wichtige Impulsgeberin für Ostdeutschland. Sie setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist sie auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
Denke ich an Ostdeutschland, dann …
- … denke ich an meine Kindheit und die Kraft der Träume und Wünsche, mit der es einer Gesellschaft gelang, friedlich und vereint Mauern einzureißen.
- … denke ich an meine Jugend und die Zeit des Aufb ruchs, aber auch an die Ernüchterung, als viele Menschen erkannten, dass ihre Träume keine Flügel bekamen.
- … frage ich mich heute, warum steht immer noch ein „Ost“ vor Deutschland?!
Meine Geschichte
Ostdeutschland ist für mich in erster Linie eines: Heimat. Ich wurde im Sommer 1980 im thüringischen Gera geboren. Die Herausforderungen der Wendezeit prägten meine frühe Wahrnehmung und erweckten in mir den Drang, etwas verändern zu wollen. Nach dem Abitur zog es mich nach Berlin – eine Stadt, die mich mit ihrer Vielfalt, Energie und ihren Möglichkeiten faszinierte. Berlin bot mir berufliche Perspektiven, die in meiner Heimatregion sehr begrenzt waren. Diese Entscheidung war mehr als nur ein Umzug in eine neue Stadt; es war der Beginn einer großen Reise.
Als Expertin für People (HR) und Organisationsentwicklung begann mein Weg in der dynamischen und von ständiger Veränderung geprägten Welt des internationalen Digitalökosystems. Bei Fox Mobile, einer News Corp Company, erlebte ich, wie wichtig Agilität und Anpassungsfähigkeit in schnelllebigen Märkten sind. Bei Zalando gestaltete ich von der ersten Stunde an die anspruchsvolle Phase des Hyperwachstums. Hier konnte jede Entscheidung den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg bedeuten. Meine Zeit bei Rebuy und Flaconi war geprägt von der gezielten Transformation, Professionalisierung und dem Verfolgen von Innovationsstrategien. Heute bringe ich diese wertvollen Erfahrungen in meine Arbeit ein.
Die Geschichte Ostdeutschlands ist eine Geschichte der Veränderung. Ich bin stolz darauf, ein Teil dieser Geschichte zu sein und sie aktiv mitzugestalten.”
Die (Arbeits-)Welt sinngebender machen
Als Partnerin der i-potentials GmbH, der führenden Executive-Search-Boutique in der DACH-Region mit dem Fokus auf Transformation und Innovation, trete ich dafür an, unsere (Arbeits-)Welt Tag für Tag ein Stück sinngebender und wertvoller zu machen. Ich bin überzeugt, dass Fortschritte nur durch gezielte Maßnahmen, eine klare Vision und reife Personen erreicht werden können. Daher konzentriere ich meine Energie und Arbeit darauf, zukunftsfähige Organisationen mitzugestalten, die einen echten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beitrag leisten.
In meiner Arbeit sehe ich jeden Tag die transformative Kraft von Wandel und die Bedeutung von Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Ich bin fest entschlossen, diese Werte weiterzugeben und Unternehmen sowie Menschen zu helfen, ihr volles Potenzial zu entfalten. Die Geschichte Ostdeutschlands ist eine Geschichte der Veränderung. Ich bin stolz darauf, ein Teil dieser Geschichte zu sein und sie aktiv mitzugestalten.
„Über sieben Brücken musst du gehen, sieben dunkle Jahre überstehen. Sieben Mal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein“ – dieser kraftvolle Song, der ursprünglich von der Ost-Rockband Karat komponiert und später von Peter Maffay neu arrangiert wurde, kam mir sinnbildlich in den Kopf, als ich gefragt wurde: „Denke ich an Ostdeutschland … ?“ Ich bin überzeugt, dass Veränderung nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig für Fortschritt, Erneuerung und die Möglichkeit ist, aus der Vergangenheit zu lernen, um eine bessere Zukunft zu gestalten. In diesem Sinne bleibt Ostdeutschland ein lebendiges Beispiel für die Bedeutung von Resilienz und Anpassungsfähigkeit, aber auch für die Herausforderungen, die es noch zu überwinden gilt.
Hiermit meine ich zum Beispiel die anhaltende Unterrepräsentation von Ostdeutschen in Führungspositionen, denn nur 23 Prozent der Führungspositionen im Osten werden von Ostdeutschen bekleidet. Die strukturellen Benachteiligungen, historischen Vorurteile und fehlenden Netzwerke erfordern gezielte Maßnahmen und Initiativen, um eine gerechte und integrative Gesellschaft zu schaffen, in der wir die volle Kraft des Wandels nutzen und eine Zukunft gestalten, in der Ostdeutschland und seine Menschen ihr volles Potenzial entfalten können.
Was es hierzu braucht
Zuallererst braucht es neue Narrative über den Osten. Das gängige Bild, das viele Menschen von „Ostdeutschland“ haben, ist oft pauschal und wenig differenziert, basiert nur teils auf realen Erfahrungen und balanciert Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieser Region kaum aus. Wenn auch positive Entwicklungen, Erfolge und Zukunftsperspektiven in den Medien und in der öffentlichen Diskussion stärker sichtbar gemacht und gefeiert werden, kann sich daraus ein neues Selbstbewusstsein entwickeln. Es ist auch an uns, diese Narrative nach außen zu tragen.
Erstens. Von der Geschichte lernen, um die Zukunft zu gestalten: Ostdeutschland kann als Beispiel dafür dienen, wie man aus der eigenen Vergangenheit lernt und diese Erfahrungen nutzt, um eine innovative und resiliente Zukunft zu gestalten. Exemplarisch hierfür ist das wachsende Selbstbewusstsein ostdeutscher Städte als Zentren für Technologie und Innovation – Städte wie Leipzig und Dresden sind heute bekannt für ihre hochmodernen Forschungseinrichtungen und dynamischen Start-ups.
Zweitens. Lokale Helden und Vorbilder: Geschichten von Ostdeutschen, die trotz widriger Umstände bedeutende Erfolge erzielt haben, können als inspirierende Beispiele dienen. Nehmen wir etwa Viola Klein, geboren in Dresden. Sie ist Mitbegründerin der Saxonia Systems Holding GmbH, eines IT-Dienstleisters, der sich auf Softwareentwicklung und IT-Beratung spezialisiert hat. Das Unternehmen hat sich seit seiner Gründung zu einem bedeutenden Akteur im IT-Sektor entwickelt und zahlreiche Arbeitsplätze in der Region geschaffen. Kleins Erfolg zeigt, wie wichtig es ist, innovative Technologien und Dienstleistungen zu entwickeln und damit regionale Wirtschaftsräume zu stärken. Ihre Arbeit hat dazu beigetragen, Dresden als wichtigen Standort für IT und Softwareentwicklung zu etablieren.
Drittens. Gemeinschaft und Zusammenhalt: Die Betonung des starken Gemeinschaftssinns und der Solidarität, die auch während der friedlichen Revolution von 1989 demonstriert wurden, kann als Grundlage für ein neues, vereintes Ostdeutschland dienen. Diese Werte sind nicht nur historisch bedeutsam, sondern haben auch heute eine immense wirtschaftliche und gesellschaftliche Relevanz. Gemeinschaftliche Projekte und Initiativen, die lokale Ressourcen nutzen und die Menschen zusammenbringen, sind lebendige Beispiele dafür, wie diese Werte fortbestehen und die regionale Entwicklung fördern können. Da fällt mir das Stadtentwicklungsprojekt „Plattenvereinigung“ in Halle (Saale) ein, welches alte Plattenbaugebiete durch gemeinschaftliche Aktivitäten und die Einbindung der Anwohner in die Stadtplanung revitalisiert. Diese Initiative zeigt, wie durch die Nutzung lokaler Ressourcen und die Stärkung des sozialen Zusammenhalts die Lebensqualität verbessert und die soziale Integration gefördert werden kann. Durch die Stärkung dieser Werte können wir ein neues, vereintes Ostdeutschland schaffen, das auf Gemeinschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigem Respekt basiert. Dies ist meiner Meinung nach nicht nur sozial wünschenswert, sondern auch wirtschaftlich klug, da starke Gemeinschaften die Grundlage für nachhaltiges Wachstum und Wohlstand bilden.
Außerdem braucht es ein neues Selbstverständnis, das auf Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung beruht.
Mehr Eigenverantwortung
Der Grad der Entfremdung zwischen Staat und Bürger ist meiner Meinung nach im Osten durch die historischen Erfahrungen mit nicht verantwortungsvollen Eliten nachvollziehbar höher. Die Wahrnehmung der eigenen Selbstwirksamkeit ist entsprechend niedrig, da nach der Wende die meisten Organisationen und damit Führungspositionen von Westdeutschen übernommen wurden. Dieser Mangel an lokaler Repräsentation und das Gefühl der Fremdbestimmung haben das Vertrauen in die neuen politischen Strukturen erschüttert. Eigenverantwortung ist die notwendige Essenz, um den Blick nicht auf Probleme, sondern auf Lösungen zu lenken. Sie ist unsere unternehmerische Kraft, die positives Denken und Optimismus ermöglicht. Nur wenn wir unsere eigene Selbstwirksamkeit erkennen und Gestaltungsmacht annehmen statt davor zurückzuweichen, können wir uns einbringen und unsere Gegenwart und Zukunft gestalten. Hier können wir ansetzen:
Bildung und Weiterbildung: Investitionen in Bildung und berufliche Weiterbildung sind entscheidend, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu stärken.
Unternehmerische Initiativen: Förderung von Start-ups und kleinen Unternehmen in Ostdeutschland durch spezielle Förderprogramme und finanzielle Unterstützung.
Politische Partizipation: Schaffung von Plattformen und Foren, die es den Bürgern ermöglichen, aktiv an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen und ihre Stimme einzubringen.
Sicher waren die vergangenen drei Jahrzehnte von Höhen und Tiefen geprägt, doch letztlich haben sie den Weg für das Zusammenwachsen Gesamtdeutschlands und das Finden einer neuen ostdeutschen Identität geebnet. Der Song „Über sieben Brücken musst du gehen“ ist für mich dabei poetisches und musikalisches Sinnbild. Denn aus meiner Sicht ist und bleibt es essenziell, nicht aufzuhören, Brücken zu bauen UND auch über sie zu gehen!
Meine Schlussfolgerung ist deshalb klar: Der Weg vor uns ist gezeichnet von den Schritten, die wir gemeinsam gehen – nicht getrennt, sondern Hand in Hand. Mein Appell an jeden Einzelnen: Tretet aktiv für diese Integration ein! Wir müssen uns die Zukunft, in der die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft nicht durch Himmelsrichtungen geteilt, sondern durch gemeinsame Ziele vereint ist, nicht nur vorstellen, sondern selbst bauen.
Katja Bauer
GEBOREN: 1980/Gera
WOHNORT (aktuell): Schorfheide (Brandenburg)
MEIN BUCHTIPP: Dirk Oschmann: „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“, 2023
MEIN FILMTIPP: „Die Kinder von Golzow“, 1961–2007
MEINE URLAUBSTIPPS: Sächsische Schweiz, Bad Saarow
BUCHTIPP:
„Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |