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Katrin Göring-Eckardt: Das Andersland. Es ist Zeit, hinzuschauen und mitzumachen

Kat­rin Göring-Eckardt, die Vize­prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges, ist eine wich­ti­ge Impuls­ge­be­rin für Ost­deutsch­land. Sie setzt sich ein für Ver­ge­wis­se­rung, Ver­stän­di­gung und Ver­söh­nung. Mit die­sem Bei­trag ist sie auch in dem Sam­mel­band „Den­ke ich an Ost­deutsch­land ...“ vertreten.

Katrin Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Bundestagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen. Abbildung: Jonas Carstens

Kat­rin Göring-Eckardt, Vize­prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges, Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Bünd­nis 90/Die Grü­nen. Abbil­dung: Jonas Carstens

Jeden Mon­tag ste­hen sie jetzt da und demons­trie­ren. Sie wol­len Hal­tung zei­gen, wol­len zei­gen, dass es auch anders geht, anders gehen muss. Es sind nicht vie­le, die sich da an der Sal­va­tor­kir­che in Gera tref­fen. Aber dass sie jeden Mon­tag dort ste­hen, ist ein Lebens­zei­chen: Die Demo­kra­tie ist leben­dig, hat Puls.

An der Sal­va­tor­kir­che sind jeden Mon­tag die zu fin­den, die zei­gen wol­len, dass Gera anders ist als das Bild, das viel zu lan­ge von der Stadt im Osten Thü­rin­gens nach außen drang. Gera­er Ver­ei­ne und Initia­ti­ven haben sich zusam­men­ge­tan und wol­len Gutes über die Stadt erzäh­len. Sich selbst, aber auch allen ande­ren. Wol­len die andau­ern­de Schwarz­ma­le­rei und Nega­ti­vi­tät der ört­li­chen Rechts­extre­men mit Posi­ti­vem kontern.

Wenn man von Demons­tra­tio­nen an Mon­tag­aben­den in Gera erzählt, darf man die seit Jah­ren andau­ern­den „Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen“ in der Stadt natür­lich nicht leug­nen. Dort tum­mel­ten sich erst Geg­ner der Will­kom­mens­kul­tur, dann Geg­ner der Coro­na­maß­nah­men, dann Geg­ner der Regie­rungs­po­li­tik im All­ge­mei­nen, mitt­ler­wei­le alle mit­ein­an­der. Immer mit dabei: die rechts­extre­me Szene.

Nun gibt es aber die­se zwei­te Mon­tags­de­mons­tra­ti­on. Eine, die dem Namen wirk­lich gerecht wird, wenn man eine Ana­lo­gie zu den Demons­tra­tio­nen 1989 in der DDR bil­den will. Denn die Men­schen, die sich unter dem Mot­to „Herz statt Het­ze“ in Gera tref­fen, tre­ten für unse­re Demo­kra­tie und für Frei­heit ein. Nicht nur für die eige­ne Frei­heit, son­dern auch für die Frei­heit derer, die von men­schen­ver­ach­ten­der, rechts­extre­mer Poli­tik in Deutsch­land beson­ders betrof­fen wären.

Am Klackx in Glauchau steht ein Baum mehr. Ein Jahr vor Eröffnung wurde er gemeinsam gepflanzt. Abbildung: Thorsten Maruschke

Am Klackx in Glauch­au steht ein Baum mehr. Ein Jahr vor Eröff­nung wur­de er gemein­sam gepflanzt. Abbil­dung: Thors­ten Maruschke

Ein Ruck geht durchs Land

Gera ist ein Bei­spiel. Ähn­li­ches fin­det auch in Zit­tau oder in Baut­zen statt. Ent­lang der Bun­des­stra­ße B96 ganz in der Nähe von Baut­zen erhebt sich Wider­stand gegen rech­te Hege­mo­nie. Über­all im Land, im Osten wie im Wes­ten, war Anfang 2024 ein Ruck spür­bar. Im gan­zen Land gin­gen die Men­schen auf die Stra­ßen, in vie­len klei­nen und auch gro­ßen Städ­ten und Orten, um für unse­re Demo­kra­tie und gegen Rechts­extre­mis­mus einzustehen.

Das macht Hoff­nung. Und: Es hat etwas in Gang gebracht. In vie­len Orten sind Men­schen zum ers­ten Mal in ihrem Leben auf die Stra­ßen gegan­gen. Es haben sich neue Netz­wer­ke gebil­det. Die demo­kra­ti­sche Mit­te hat gezeigt, was ihr die Demo­kra­tie wert ist, und zwar aus­ge­rech­net dort, wo auf Demons­tra­tio­nen sonst Popu­lis­mus, Dage­gen­sein und Sor­gen um Spal­tung vorherrschten.

Die Demons­tra­tio­nen waren nicht zu über­se­hen und zu über­hö­ren. Trotz­dem darf nicht ver­ges­sen wer­den: Schon lan­ge vor­her haben sich Men­schen gera­de in Ost­deutsch­land für unse­re Demo­kra­tie ein­ge­setzt. Mit Ideen, Taten­drang, oft Humor, aber auch mit bewun­derns­wer­tem Mut ange­sichts der Gefahr, damit ins Visier rech­ter Akteu­re zu gera­ten. Sie haben unse­re Gesell­schaft mit ihren Pro­jek­ten und Initia­ti­ven belebt. Sie machen das, weil sie patrio­tisch sind, weil sie ihr Land lie­ben, den Fle­cken Erde, auf dem sie leben oder groß gewor­den sind.

Doch längst nicht mehr jeder Fle­cken Erde im Osten gehört noch dem Osten. Zwei Drit­tel der Grund­stü­cke in guter Lage in ost­deut­schen Groß­städ­ten gehö­ren west­deut­schen Eigen­tü­mern, berich­te­te der MDR in sei­ner Rei­he „Wem gehört der Osten?“ Immer mehr land­wirt­schaft­li­che Betrie­be und Flä­chen gehö­ren nicht mehr loka­len Eigen­tü­mern, son­dern groß­teils Inves­to­ren­grup­pen von außer­halb. Ein Teil der Ent­frem­dung von unse­rer Demo­kra­tie könn­te auch damit zu tun haben, dass weder Land noch Raum mehr­heit­lich Ost­deut­schen gehört.

In den länd­li­chen Regio­nen Ost­deutsch­lands sieht man vie­ler­orts noch gro­ße Hal­len. Über­bleib­sel der ver­staat­lich­ten land­wirt­schaft­li­chen Groß­be­trie­be. Oft wer­den sie wei­ter von land­wirt­schaft­li­chen Betrie­ben genutzt. Nicht so in Glauch­au. In der klei­nen Stadt an der Gren­ze von Thü­rin­gen und Sach­sen wer­den die alten Hal­len der ehe­ma­li­gen LPG mit neu­em Leben gefüllt. Nach dem Umbau ent­steht hier ein Kul­tur­haus. Mit Ver­an­stal­tungs­raum, Ton­stu­di­os und Krea­tiv­werk­statt. Platz, um Mit­ein­an­der zu gestal­ten. Und nicht nur neben­bei stärkt das auch die Demo­kra­tie: Das Klackx soll ein Treff­punkt für alle wer­den, an dem auch kon­tro­vers dis­ku­tiert wer­den darf, über alle Unter­schie­de hin­weg. In einer Gegend, wo es sol­che Orte längst nicht mehr so oft gibt.


Es braucht einen gewei­te­ten Blick. Einen, der wahr­nimmt, dass es in Ost­deutsch­land so viel mehr gibt, als es das Ein­mal­eins der Kli­schees sehen will.”


Viel Raum, viele Ideen, viel Engagement

Über­haupt fin­det man in Ost­deutsch­land viel Raum, den es wie­der zu bele­ben gilt. Seit 1990 ist land­auf land­ab sicht­bar viel pas­siert. Doch hin­ter sanier­ten Fas­sa­den herrscht noch viel zu oft Leer­stand. Die Leer­Gut Agen­ten in Thü­rin­gen wol­len das ändern. Sie ent­wi­ckeln neue Ideen für leer­ste­hen­de Gebäu­de, prü­fen die Bau­sub­stanz und Mach­bar­keit und gehen in den Aus­tausch mit den Men­schen vor Ort. Ganz neben­bei wird mit der Nut­zung von bestehen­der Bau­sub­stanz auch noch die ein oder ande­re Emis­si­on ein­ge­spart. Doch die­ser Kampf gegen den Leer­stand ist zugleich ein Kampf für die Demo­kra­tie. Denn dort, wo Kli­ni­ken und Schu­len geschlos­sen wer­den oder Läden leer ste­hen, füh­len sich die Men­schen abge­hängt. Wo ein demo­kra­ti­sches Gemein­we­sen sich von den Men­schen zurück­zieht, ist es kein Wun­der, wenn sich auch die Men­schen von ihm zurück­zie­hen, ihm zuerst ihr Ver­trau­en und dann auch ihre Mit­wir­kung entziehen.

Jeder krea­tiv genutz­te Raum ver­hin­dert aber zugleich das, was als rech­te Land­nah­me bekannt ist. Wenn Rechts­extre­me gezielt nach lee­ren Gebäu­den in ost­deut­schen Orten suchen, um sich dort nie­der­zu­las­sen. Um unter sich sein zu kön­nen und unge­stört ihr rechts­extre­mes Netz wei­ter­zu­spin­nen. Zum Bei­spiel in Jamel in Meck­len­burg-Vor­pom­mern. Seit den frü­hen 1990er-Jah­ren ist der klei­ne Ort immer wie­der wegen sei­ner rechts­extre­men Bewoh­ner in den Schlag­zei­len. Doch auch dort gibt es Men­schen, die dage­gen­hal­ten: Mit ihrem jähr­lich statt­fin­den­den Demo­kra­tie-Fes­ti­val bil­den Bir­git und Horst Loh­mey­er einen deutsch­land­weit wahr­nehm­ba­ren Gegenpol.

Es ist ein Gegen­pol der guten Lau­ne. Und den braucht es – nicht nur in Jamel. Im Sep­tem­ber 2023 wur­de in Nord­hau­sen ein neu­er Ober­bür­ger­meis­ter gewählt. Unter dem Label „Nord­hau­sen zusam­men“ ver­sam­mel­ten sich Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, Ver­bän­de und Unter­neh­men. Sie woll­ten auch wei­ter eine offe­ne, eine tole­ran­te Stadt sein – mit Erfolg: In der Stich­wahl sieg­te der demo­kra­ti­sche Kan­di­dat. Bei allen Aktio­nen, Kund­ge­bun­gen und Ver­samm­lun­gen war eines immer gleich: Es herrsch­te gute Lau­ne, die Men­schen waren fröh­lich. Ich bin über­zeugt, das war der Schlüs­sel für die­sen Erfolg.

Ob in mei­ner Hei­mat in Thü­rin­gen, in Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Bran­den­burg, Sach­sen-Anhalt oder Sach­sen, über­all merkt man: Das Enga­ge­ment, die Orga­ni­sa­tio­nen, Ver­bän­de und Ver­ei­ne, die Men­schen, die sich für unse­re Demo­kra­tie und unser Land ein­set­zen – sie sind längst da.da.

Wo das DDR-Kindergefängnis in Bad Freienwalde war, erinnert heute ein Mahnmal an das Unrecht. Abbildung: Büro Katrin Göring-Eckardt

Wo das DDR-Kin­der­ge­fäng­nis in Bad Frei­en­wal­de war, erin­nert heu­te ein Mahn­mal an das Unrecht. Abbil­dung: Büro Kat­rin Göring-Eckardt

Der andere Osten

Ich bin als Poli­ti­ke­rin aus Thü­rin­gen, aber auch als Vize­prä­si­den­tin des Deut­schen Bun­des­ta­ges viel in den ost­deut­schen Bun­des­län­dern unter­wegs. Dabei tref­fe ich die­se Men­schen oft, besu­che ihre Pro­jek­te und Initia­ti­ven. Man­che enga­gie­ren sich schon seit vie­len Jah­ren, ande­re erst seit Kur­zem, für wie­der ande­re waren viel­leicht auch erst die Demons­tra­tio­nen Anfang 2024 der Aus­lö­ser. Sie alle eint, dass sie von sich aus gesagt haben: Ich mache etwas für unse­re Gesell­schaft, für unse­re Demo­kra­tie, für unser Land. Ich sage es bei jedem Besuch, bei jeder Begeg­nung und will es auch hier auf­schrei­ben: Dafür von Her­zen danke!

2018 sorg­te in den sozia­len Medi­en der Hash­tag #DerAnd­e­re­Os­ten für Auf­merk­sam­keit. Die Akti­on soll­te zei­gen: Man kann und darf die ost­deut­schen Bun­des­län­der nicht nur durch die Kli­schee­bril­le sehen. Als den Teil Deutsch­lands, in dem nur Rechts­extre­me und Ras­sis­ten leben. Der Hash­tag soll­te auf­räu­men mit Vor­ur­tei­len. Auch die Initia­ti­ve „Wir sind der Osten“ erzählt die Geschich­ten von Men­schen, die in Ost­deutsch­land etwas bewe­gen. In ihr mel­den sich Men­schen zu Wort, die dort­ge­blie­ben, wie­der­ge­kom­men oder neu dazu­ge­kom­men sind. Sie ste­hen für viel­fäl­ti­ge Per­spek­ti­ven und Blick­win­kel. Denn es gibt ihn nicht, „den“ Osten.

Und doch gibt es das Ost­deutsch-Sein, gibt es die ost­deut­sche Geschich­te. Bei­des ist seit 1990 Teil des wie­der­ver­ein­ten Deutsch­lands, soll­te man den­ken. Es ist wirk­lich an der Zeit, dass auch das gan­ze Land sich damit aus­ein­an­der­setzt. In Chem­nitz hat sich des­we­gen eine Grup­pe jun­ger Men­schen auf­ge­macht und eine Doku­men­tar­film-Rei­he gedreht. In „(k)Einheit“ erzäh­len sie davon, was die deut­sche Ein­heit für sie bedeu­tet und wo sie für sie noch nicht abge­schlos­sen ist. Mit dem Pro­jekt tra­gen sie ost­deut­sche Per­spek­ti­ven der Gene­ra­ti­on Z ins gesam­te Land und dazu bei, dass der Pro­zess der deut­schen Ein­heit nach 35 Jah­ren wei­ter geht und im Hier und Heu­te the­ma­ti­siert wird.

Die Macherinnen von „(k)Einheit“ wollen nach dem Filmprojekt weitermachen. Zum Beispiel mit Workshops. Abbildung: Thorsten Maruschke

Die Mache­rin­nen von „(k)Einheit“ wol­len nach dem Film­pro­jekt wei­ter­ma­chen. Zum Bei­spiel mit Work­shops. Abbil­dung: Thors­ten Maruschke

Ein Land, viele Perspektiven

So vie­le Men­schen in den ost­deut­schen Bun­des­län­dern set­zen sich tag­täg­lich in Job und Ehren­amt für unser Land ein und enga­gie­ren sich für unse­re Demo­kra­tie. Dabei kämp­fen sie viel zu oft allein, sind nicht sel­ten rech­ten Bedro­hun­gen und rech­ter Gewalt aus­ge­setzt. Damit wir als Gesell­schaft und Land nicht wei­ter aus­ein­an­der­drif­ten, son­dern viel­mehr end­lich zusam­men­fin­den, soll­ten wir uns an ihre Sei­te stel­len und sie stärken.

Bei allem, was es noch bes­ser zu machen gilt, bei allen klei­nen und gro­ßen Unter­schie­den, ich bin über­zeugt: Es braucht einen gewei­te­ten Blick. Einen, der wahr­nimmt, dass es in Ost­deutsch­land so viel mehr gibt, als es das Ein­mal­eins der Kli­schees sehen will. Und einen, der unver­zagt auf die Din­ge schaut. Wenn uns das gelingt, kön­nen wir mit allen Unter­schie­den zusam­men die Her­aus­for­de­run­gen meis­tern. Nicht nur in Ost­deutsch­land, son­dern als ver­ein­tes Land. Unver­zagt, mit Zutrau­en in uns und in die Zukunft.


Label Impulsgeberin Ost

Katrin Göring-Eckardt

GEBOREN: 1966/Friedrichroda
WOHNORTE (aktu­ell): Erfurt, Berlin
MEIN BUCHTIPP: Anne Rabe: „Die Mög­lich­keit von Glück“, 2023
MEIN FILMTIPP: „Wir sind jung. Wir sind stark.“, 2014
MEINE URLAUBSTIPPS: Alles in Thü­rin­gen, aber beson­ders das Schwarza­tal mit Schwarz­burg, wo die Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung unter­zeich­net wurde.

 

BUCHTIPP:

„Denke ich an Ostdeutschland ...“

In der Bezie­hung von Ost- und West­deutsch­land ist auch 35 Jah­re nach dem Mau­er­fall noch ein Kno­ten. Die­ser Sam­mel­band will einen Bei­trag dazu leis­ten, ihn zu lösen. Die 60 Autorin­nen und Autoren geben in ihren Bei­trä­gen wich­ti­ge Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft. Sie zei­gen Chan­cen auf und skiz­zie­ren Per­spek­ti­ven, scheu­en sich aber auch nicht, Her­aus­for­de­run­gen zu benen­nen. Die „Impuls­ge­be­rin­nen und Impuls­ge­ber für Ost­deutsch­land“ erzäh­len Geschich­ten und schil­dern Sach­ver­hal­te, die auf­klä­ren, Mut machen sowie ein posi­ti­ves, kon­struk­tiv nach vorn schau­en­des Nar­ra­tiv für Ost­deutsch­land bilden.

„Den­ke ich an Ost­deutsch­land ... Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft“, Frank und Robert Neh­ring (Hgg.), PRIMA VIER Neh­ring Ver­lag, Ber­lin 2024, 224 S., DIN A4.

Als Hard­co­ver und E-Book hier erhältlich.

 

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