Oliver Fern, Regionalvorstand der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
Die Geschichte der ostdeutschen Wirtschaft ist eine Geschichte des Wandels, der Anpassung und der Innovation. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 hat sich die Wirtschaftslandschaft in den neuen Bundesländern grundlegend verändert. Von den Herausforderungen des Strukturwandels über den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Industrie bis hin zur aktuellen Fokussierung auf nachhaltige und digitale Technologien – die Unternehmen in Ostdeutschland haben in den vergangenen drei Jahrzehnten bemerkenswerte Entwicklungen durchlaufen. Als begleitende Bank haben wir diese Transformation aktiv mitgestaltet und unterstützt.
Von der Transformation zur Innovation
Die frühen 1990er-Jahre waren für die ostdeutsche Wirtschaft eine Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit. Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg in den frühen Jahren war die Fähigkeit, neue Marktnischen zu identifizieren und innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Das geschah zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien, in dem sich Unternehmen auf die Produktion von Windkraftanlagen und Solarmodulen konzentrierten. Diese Entwicklung war eng mit dem Aufkommen der Umwelttechnologie verbunden, wo sich Unternehmer in Wasseraufbereitung, Recyclingtechnologien und die Sanierung von Umweltschäden einbrachten. Zudem bot die Biotechnologie und Pharmaindustrie, gestützt auf eine bereits zu DDR-Zeiten starke Forschungslandschaft, Möglichkeiten für die Region. Die erfolgreiche Erschließung dieser und weiterer Marktnischen war für viele Unternehmen in Ostdeutschland der Schlüssel zum Überleben und Wachstum in den Jahren nach der Wiedervereinigung.
Hohe Wandlungsfähigkeit und starke Nachhaltigkeit: Ostdeutschland hat das Potenzial, zu einem führenden Zentrum für Forschung, Entwicklung und Anwendung von Wasserstofftechnologien zu werden.”
Nachhaltige Transformation im Fokus
Ein Thema, das zunehmend in den Fokus rückt, ist die Nachhaltigkeit. Von der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien über die Implementierung von Kreislaufwirtschaftskonzepten bis hin zur Reduktion von CO2-Emissionen in der Produktion – die Bandbreite der unternehmerischen Aktivitäten ist groß.
Wie wandlungsfähig die Wirtschaft in Ostdeutschland ist und welche bedeutende Rolle Nachhaltigkeit dabei spielt, illustriert die Energiewende besonders eindrucksvoll. In den neuen Bundesländern ist die Windenergie besonders gut ausgebaut, und viele der für Zukunftstechnologien wichtigen Tech-Unternehmen haben sich hier angesiedelt. Ohne Halbleiter- und Batterieproduktion läuft kein Elektroauto, und der Strom aus Sonne und Wind erreicht weder Privatverbraucher noch Unternehmen.
Darüber hinaus hat Ostdeutschland das Potenzial, zu einem führenden Zentrum für Forschung, Entwicklung und Anwendung von Wasserstofftechnologien zu werden. Viele innovative Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind bereits in den neuen Bundesländern ansässig und treiben die Entwicklung von Technologien für die Herstellung, Speicherung und Nutzung von grünem Wasserstoff als Energieträger voran. Die Grundbausteine einer CO2-armen Energieproduktion sind damit in Ostdeutschland gelegt.
Eine nachhaltige Transformation umfasst dabei zwei Hauptaspekte. Es geht neben der dringenden Reduktion des Treibhausgasausstoßes durch den Einsatz sauberer Energie auch um die nachhaltige Transformation der Geschäftsmodelle von Unternehmen. Ohne stabile Wertschöpfung, die Firmen langfristig am Markt hält, kann Wandel nicht nachhaltig sein. Nur wer beide Aspekte zusammen denkt, schafft die nötige Transformation.
Tiefgreifender Wandel lässt sich am besten mit starken Partnern meistern: Auch in Bezug auf diese Herausforderung gehen Unternehmen in Ostdeutschland ihren eigenen, erfolgreichen Weg. Viele von ihnen wissen aus Erfahrung, dass sich ein tiefgreifender Wandel am besten in Zusammenarbeit mit starken Partnern meistern lässt. Da überrascht es wenig, dass sich angesichts der aktuellen, rapiden Veränderungen immer mehr Unternehmen zusammentun – und voneinander lernen und profitieren. So etwa im Silicon Saxony. In diesem regionalen Netzwerk sind Unternehmen der sächsischen Mikroelektronik-, Halbleiter-, Fotovoltaik- und Softwarebranchen organisiert. Das Netzwerk ist nach eigenen Angaben mit rund 500 Mitgliedsunternehmen und mehr als 76.000 Beschäftigten das größte Hightech-Netzwerk Sachsens und eines der größten Mikroelektronik- und IT-Cluster Europas.
Auch Forschungsinstitute, Universitäten und andere Hochschulen sind beteiligt. Etwa die Technische Hochschule Dresden, das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rosendorf und mehrere Fraunhofer-Institute. Für die in Ostdeutschland stark mittelständisch geprägte Unternehmenslandschaft ist diese Zusammenarbeit besonders wertvoll, denn so können vorhandene Engpässe bei Ressourcen und in der Infrastruktur ausgeglichen und so ihr Innovationspotenzial besser ausgeschöpft werden. Umso wichtiger ist daher der Wissensaustausch zwischen der Forschungs- bzw. Wissenschaftslandschaft und Unternehmen vor Ort. Das funktioniert in Mitteldeutschland besonders gut und Innovationen kommen in der Industrie an. In den kommenden Jahren wird es noch mehr erfolgreiche Kooperationen geben. Denn Regionen, die sich besonders stark verändern werden, erhalten extra Förderung. So wird sich das Deutsche Zentrum für Astrophysik (DZA) in der Lausitz und das Center for the Transformation of Chemistry (CTC) im Mitteldeutschen Revier ansiedeln.
Banken als wichtige Begleiter
In Zeiten der Transformation sind Hausbanken besonders wichtige Begleiter für Unternehmen. In den späten 1990er-Jahren etablierten sie sich als wichtige Partner der Wirtschaft in Ostdeutschland. Nach der Wende haben sich Unternehmen internationalisiert und ihre Tätigkeit auf Märkte außerhalb Osteuropas ausgedehnt. Ohne tatkräftige Beratung und finanzielle Unterstützung von Hausbanken wie der LBBW war das oft nicht möglich. Im Jahr 2020 brachte die Coronakrise die Weltwirtschaft ins Stocken und viele Unternehmen standen vor großen Unsicherheiten. Hier bewährte sich die LBBW einmal mehr als zuverlässiger Partner.
Hausbanken sind viel mehr als nur Kreditgeber. Ihre Kundenberater begleiten Firmen teilweise über Unternehmergenerationen hinweg. Sie kennen die Geschäftsmodelle und können Branchen und Märkte einschätzen. Sie wissen, was es bedeutet, wenn sich Währungskurse ändern oder in einem wichtigen Produktions- oder Absatzland Schwierigkeiten entstehen – und haben einen direkten Draht zu ihren Unternehmenskunden. Auf diesem Wissen und den persönlichen Beziehungen basiert das Firmenkundengeschäft einer starken Hausbank. Denn Lösungen sind häufig individuell.
Das gilt auch für den Wandel zur klimaneutralen Wirtschaft. Genau wie in der Pandemie arbeiten starke Hausbanken wie die LBBW auch im Zuge der nachhaltigen Transformation mit Unternehmenskunden an den für sie besten Lösungen. Dabei sind Banken wie die LBBW sowohl Impuls- als auch Kreditgeber. In der Rolle des Impulsgebers schaffen wir Transparenz und beraten unsere Kunden ganzheitlich. Daher gibt es bei der LBBW unter anderem ein Sustainability-Advisory-Team. Es berät Unternehmen ganzheitlich und produktunabhängig zum Thema Nachhaltigkeit, vermittelt Wissen und begleitet die Implementierung von Veränderungen. Hier setzen wir auf einen ganzheitlichen Corporate-Finance-Ansatz. Die Unternehmen erhalten den kompletten Service aus Strategiedialog, Beratung und Lösung aus einer Hand. So können sie ihren individuellen Bedarf optimal decken, auch wenn dieser über reine Bankprodukte hinausgeht.
Unsere Hauptrolle bleibt als Bank aber die Finanzierung des Wandels. Dazu vermitteln wir auch zwischen Kapitalgebern und Kapitalnehmern. Denn immer mehr Investoren suchen gezielt nach umweltfreundlichen Investitionsmöglichkeiten. Nachhaltige Anleihen, sogenannte Green Bonds oder Social Bonds, sind beliebt und werden stark nachgefragt. Das bietet Emittenten von Anleihen interessante Chancen. Deshalb unterstützen wir interessierte Unternehmenskunden dabei, entsprechende Papiere zu emittieren.
In diesem Segment haben wir viel Erfahrung. Denn die LBBW gehört unter den europäischen Geschäftsbanken zu den größten Emittenten für nachhaltige Anleihen. Den ersten Green Bond mit einem Volumen von über 700 Millionen Euro platzierte die LBBW bereits im Jahr 2017. Refinanziert wurden energieeffiziente Gewerbeimmobilien. Insgesamt hat die LBBW derzeit nachhaltige Anleihen von mehreren Milliarden Euro begeben.
Gemeinsam in die Zukunft
Die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft ist eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie aus Herausforderungen Chancen entstehen können. Als begleitende Bank sind wir stolz darauf, mit unseren Mitarbeitenden Teil dieser Entwicklung zu sein und Unternehmen auf ihrem Weg in die Zukunft zu unterstützen. Die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Finanzsektor und Politik wird auch in den kommenden Jahren entscheidend sein, um den Standort Ostdeutschland weiter zu stärken und die Weichen für eine nachhaltige und digitale Zukunft zu stellen. Die Welt entwickelt sich unaufhaltsam weiter. Aber richtig angepackt ist das weniger eine Gefahr für Unternehmen, sondern eine aufregende Chance.
Landesbank Baden-Württemberg (LBBW)
STANDORTE (REGION OST): Leipzig, Dresden, Chemnitz, Erfurt, Magdeburg, Berlin
MITARBEITENDE: 10.000 (weltweit)
WEBSITE: lbbw.de
Oliver Fern
GEBOREN: 1969/Hilden (Nordrhein-Westfalen)
ARBEITSORT: Leipzig
MEIN BUCHTIPP: Vera Starker, Dr. Katharina Roos: „Mut zur Zuversicht“, 2024
BUCHTIPP:
„Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |