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Toni Willkommen: Wo sind sie, die Ossis? Diversität nicht vergessen

Toni Will­kom­men, Pod­cast-Host von „Ein­heit gut, alles gut“, ist ein wich­ti­ger Impuls­ge­ber für Ost­deutsch­land. Er setzt sich ein für Ver­ge­wis­se­rung, Ver­stän­di­gung und Ver­söh­nung. Mit die­sem Bei­trag ist er auch in dem Sam­mel­band „Den­ke ich an Ost­deutsch­land ...“ vertreten.

Toni Willkommen, Podcast-Host „Einheit gut, alles gut“. Abbildung: Toni Willkommen

Toni Will­kom­men, Pod­cast-Host „Ein­heit gut, alles gut“. Abbil­dung: Toni Willkommen

Als ich vor etwa neun Jah­ren nach zahl­rei­chen Sta­tio­nen des Stu­di­ums im In- und Aus­land in einem gro­ßen Medi­en­haus in Ham­burg ins Berufs­le­ben star­te­te, ver­ließ ich mei­ne ost­deut­sche Hei­mat bewusst. Es fühl­te sich gut an. Die Chan­cen, die mir anders­wo gebo­ten wur­den, waren für mich attrak­ti­ver. Die Kar­rie­re­per­spek­ti­ve grö­ßer. Die Wahr­schein­lich­keit, schnel­ler ins rich­ti­ge Netz­werk zu kom­men, höher. Aber es gab auch ein Gefühl, das ich damals nicht genau zuord­nen konn­te. Ich ver­ließ die Hei­mat, der ich so viel zu ver­dan­ken hat­te und die doch gera­de so jun­ge, moti­vier­te, gut aus­ge­bil­de­te Men­schen wie mich brauch­te. War das ein schlech­tes Gewissen?

Mein Plan ging auf

Ich fass­te Fuß in Ham­burg, mein Plan ging auf. Ich lern­te im Rah­men mei­nes Jobs unheim­lich vie­le Men­schen ken­nen – Ver­tre­ter aus Wirt­schaft, Poli­tik, Gesell­schaft. Ich rede gern und mich inter­es­sie­ren die Geschich­ten und Ver­gan­gen­hei­ten der Men­schen. Aber so bunt, span­nend und facet­ten­reich, wie unse­re Gesell­schaft auch ist, Ost­deut­sche waren sel­ten dabei.

Die­ses Gefühl ließ mich immer etwas taub wer­den. Zumal mei­ne Her­kunft für mich ein Gefühl der Ver­ant­wor­tung ist. Was ich für mich im Klei­nen fest­stel­len muss­te, ist im Gesamt­blick der Bun­des­re­pu­blik nicht anders: Rund 17 Pro­zent aller Men­schen in Deutsch­land kom­men aus Ost­deutsch­land, aber auch über 30 Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung sind Ost­deut­sche in der soge­nann­ten Eli­te – also in den Füh­rungs­po­si­tio­nen von Poli­tik, Wirt­schaft, Wis­sen­schaft, Kul­tur und Gesell­schaft – stark unter­re­prä­sen­tiert. Eine Stu­die von 2022 besagt, dass gera­de ein­mal 3,5 Pro­zent der bun­des­deut­schen Top-Eli­te­po­si­tio­nen mit Ost­deut­schen besetzt sind.

Was macht das mit unse­rer Gesell­schaft? Wie wirkt sich das auf unser Zusam­men­le­ben und das Ver­trau­en in unse­re Poli­tik und Insti­tu­tio­nen aus, wenn ein bedeu­ten­der Teil unse­rer Gesell­schaft nicht ent­spre­chend reprä­sen­tiert ist?

Um die­sem The­ma eine grö­ße­re Büh­ne zu geben und mei­ner Neu­gier nach span­nen­den Geschich­ten nach­zu­kom­men, habe ich den Pod­cast „Ein­heit gut, alles gut“ ins Leben geru­fen – einen Pod­cast über Men­schen, den Osten und den Weg zur Gleichberechtigung.

Der Pod­cast por­trä­tiert Men­schen mit ost­deut­scher Her­kunft und Men­schen, die sich mit dem The­ma aus­ein­an­der­set­zen (#wes­sis­er­laubt). Sie alle sind viel mehr als ihre ost­deut­schen Wur­zeln. Ich spre­che mit mei­nen Gäs­ten dar­über, wel­chen Stel­len­wert ihre Her­kunft für sie hat, ob sie die­se als Chan­ce oder Hin­der­nis begrif­fen haben und vor allem dar­über, was wir tun müs­sen, um die­sem Aspekt in der Diver­si­täts­dis­kus­si­on mehr Gewicht zu ver­lei­hen. Es ist ein Pod­cast mit per­sön­li­chen Geschich­ten, Sicht­wei­sen und dem Blick nach vorn.


Ich bin stolz, ost­deutsch zu sein, und sehe es als mei­ne ganz per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung, mich für mei­ne Wur­zeln einzusetzen.”


Gerade noch so ein Kind der DDR

Gebo­ren wur­de ich Ende 1988 in Pir­na. Gera­de noch recht­zei­tig, um die 100 Mark Begrü­ßungs­geld zu bekom­men. Sie wur­den in ein Kuschel­tier inves­tiert, der Rest ging für ein Küchen­ra­dio drauf. Auf­ge­wach­sen aber bin ich in einem klei­nen Dorf etwa 15 Kilo­me­ter ent­fernt: Haus, Grund­stück, Gar­ten. Oma und Opa sowie das elter­li­che Unter­neh­men direkt nebenan.

Die Geschich­te mei­ner Fami­lie und unse­res Unter­neh­mens ist für mich einer­seits beson­ders, ande­rer­seits auch typisch für die vie­len Bio­gra­fien in Ost­deutsch­land. Im Jahr 1834 grün­de­te mein Urur­ur­ur­groß­va­ter eine Zie­ge­lei – ein Unter­neh­men, das sich über die Jah­re präch­tig ent­wi­ckel­te und zu einer Grö­ße in der Regi­on wur­de. Die stol­ze Fami­li­en­ge­schich­te von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on bau­te auf dem Unter­neh­mer­tum, dem per­sön­li­chen Ein­satz und dem Mut vie­ler mei­ner Vor­fah­ren auf. Im Jahr 1946 über­nah­men mei­ne Groß­el­tern die Füh­rung, bis es zu dem kam, was vie­le pri­va­te Unter­neh­men durch­zu­ste­hen hat­ten: 1972 wur­de das Unter­neh­men ver­staat­licht, ein VEB geschaf­fen. Mein Opa wur­de über Nacht vom Geschäfts­füh­rer zum Ange­stell­ten degra­diert. Die Über­nah­me durch den Staat: ein her­ber per­sön­li­cher Schlag für mei­ne Fami­lie. Bis zum Mau­er­fall blieb das so. Der Zustand 1989: her­un­ter­ge­wirt­schaf­tet, maro­de, wett­be­werbs­un­fä­hig. 1990 wur­de das Unter­neh­men mit dem Ende der DDR repri­va­ti­siert und mei­ne Eltern lie­ßen es bis zum heu­ti­gen Tag durch uner­müd­li­chen per­sön­li­chen Ein­satz zu einem erfolg­rei­chen Mit­tel­stands­un­ter­neh­men anwachsen.

War­um ich das so detail­liert erzäh­le? Weil es viel über mich und die Art mei­ner ost­deut­schen Sozia­li­sie­rung und Prä­gung aus­sagt. Ich kon­zen­trie­re mich auf drei Dinge:

1. Die Gewiss­heit, dass sich Din­ge über Nacht ändern kön­nen, und die Auf­ga­be, sich dar­an anzu­pas­sen, haben mei­ne Fami­lie geprägt. Es steckt in ihnen (und somit auch in mir). Sie haben gese­hen, wie über Nacht eine Gesell­schafts­form endet – Wer­te, Funk­tio­nen und Ideo­lo­gien sind plötz­lich nich­tig. Sie haben die­se gro­ßen Umbrü­che erlebt und über­lebt. So schau­en sie auf die aktu­el­len Kri­sen, die vor uns lie­gen, viel­leicht etwas gelas­se­ner als ande­re. Die­sen Mut und die Resi­li­enz, sich auf Neu­es ein­stel­len zu kön­nen, tra­ge ich in mir.

2. Der Wie­der­auf­bau des Unter­neh­mens nach der Wen­de und somit auch des fami­liä­ren Stol­zes erfor­der­te Prag­ma­tis­mus und Krea­ti­vi­tät. Aus „nichts“ so viel zu schaf­fen, gelingt nicht über Nacht. Der Erfin­der­geist, die Demut und die Hemds­är­me­lig­keit mei­ner Eltern bewun­de­re ich bis heute.

3. Mei­ne Eltern waren aktiv am Wie­der­auf­bau des Unter­neh­mens betei­ligt. Mei­ne Mut­ter ging nach mei­ner Geburt schnell wie­der arbei­ten, ich ver­brach­te früh Zeit im Kin­der­gar­ten. Die Gleich­stel­lung zwi­schen Frau und Mann und die Eman­zi­pa­ti­on der Frau waren und sind für mich immer eine Selbst­ver­ständ­lich­keit gewesen.

Die Anfänge des Familienunternehmens. Abbildung: Toni Willkommen

Die Anfän­ge des Fami­li­en­un­ter­neh­mens. Abbil­dung: Toni Willkommen

Warum wir die Ossis brauchen

Sehr oft höre ich den Satz „Ach, aus dem Osten?! Das hört man gar nicht, super!“. Viel mehr wür­de ich mir wün­schen, dass Men­schen sagen „Ach, aus dem Osten?! Das merkt man voll, super!“ Vie­le Ost­deut­sche und die Gene­ra­ti­on, die durch ost­deut­sche Wer­te und Prä­gun­gen sozia­li­siert wur­de, tra­gen Stär­ken in sich, die es sich lohnt, zu sehen, zu nut­zen und sie noch bewuss­ter in unser gesell­schaft­li­ches Mit­ein­an­der ein­zu­brin­gen. Sie haben gelernt, dass nicht immer alles zur Ver­fü­gung ste­hen muss, und sie schau­en auf­grund der Ver­wer­fun­gen in ihrer Bio­gra­fie anders auf man­che Aspekte.

Die Reprä­sen­tanz in ent­schei­den­den Posi­tio­nen ist ele­men­tar. Es müs­sen Vor­bil­der geschaf­fen wer­den. Zu oft wird über den Osten gespro­chen, zu sel­ten mit ihm und durch ihn selbst­wirk­sam ent­schie­den. Mehr als 30 Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung sehen wir, dass sich die Posi­tio­nen von West­deut­schen und Ost­deut­schen bei zen­tra­len Punk­ten unter­schei­den. Der Osten ist deut­lich kri­ti­scher gegen­über unse­rer Demo­kra­tie, unse­rer gesell­schaft­li­chen Ver­fas­sung, den staat­li­chen Ein­rich­tun­gen und den Medi­en. Alles auf die man­geln­de Sicht­bar­keit zu schie­ben, wäre zu kurz gegrif­fen. Aber Stu­di­en zei­gen eben auch, dass ein Zusam­men­hang besteht.

Die­se Erkennt­nis müs­sen wir auf­neh­men und neue Rea­li­tä­ten schaf­fen – nicht nur, weil wir erken­nen, dass poli­tisch extre­me Kräf­te genau die­ses Gefühl aus­nut­zen und ihren Erfolg dar­auf auf­bau­en, son­dern vor allem, weil es unse­re gemein­sa­me Ver­ant­wor­tung ist.

Mit Dresden verbindet Toni Willkommen ein Gefühl von Heimat und Verbundenheit. Abbildung: Toni Willkommen

Mit Dres­den ver­bin­det Toni Will­kom­men ein Gefühl von Hei­mat und Ver­bun­den­heit. Abbil­dung: Toni Willkommen

Ein neues Selbstbewusstsein

Vie­les ist damals gut gelau­fen, eini­ges schief. Es gehört dazu, in die Ver­gan­gen­heit zu schau­en. Es hilft, Din­ge ein­ord­nen zu kön­nen und Zusam­men­hän­ge auf­zu­stel­len. Es hilft, Mei­nun­gen und Ent­schei­dun­gen von Men­schen bes­ser zu verstehen.

Aber: Als Jahr­gang 1988 habe ich das gro­ße Glück, eher nach vorn schau­en zu kön­nen – und zu müs­sen. Das ver­su­che ich auch in mei­nem Pod­cast „Ein­heit gut, alles gut“. In mei­nen Gesprä­chen, in denen ich auch sehr viel über mich ler­ne, spü­re ich ein unheim­li­ches Selbst­be­wusst­sein der Ost­deut­schen. Es gibt so vie­le span­nen­de Geschich­ten, Fir­men­grün­dun­gen, Unter­neh­mer­geist, Erfol­ge in Kul­tur und Wis­sen­schaft, die es zu erzäh­len gilt. Es wächst eine neue Gene­ra­ti­on an Ost­deut­schen her­an, die nun in ent­schei­den­de Füh­rungs­po­si­tio­nen gehen kön­nen, die bes­ser ver­netzt sind, eine her­vor­ra­gen­de Aus­bil­dung genos­sen haben und den Mut und die Lei­den­schaft mit­brin­gen, Din­ge zu ver­än­dern. Lasst uns die­se guten Geschich­ten erzäh­len – der Osten hat es verdient!

Zugleich wün­sche ich mir von den etwas Älte­ren mehr Ver­ständ­nis dafür, dass vie­le Din­ge auch in unse­rer eige­nen Hand lie­gen – wir sie selbst ange­hen kön­nen und müs­sen. Demo­kra­tie und ein gutes Mit­ein­an­der sind kei­ne Ein­bahn­stra­ße. So wun­de­re ich mich schon, dass sich nicht weni­ge Men­schen in Ost­deutsch­land dem aktu­el­len poli­ti­schen Sys­tem ent­ge­gen­stel­len, des­sen Frei­zü­gig­keit aber ger­ne nut­zen. Vie­le lie­ben den Urlaub im Aus­land oder wäh­len frei ihren Beruf. Din­ge, die ihnen frü­her nur ein­ge­schränkt mög­lich waren, weil sie in einer Dik­ta­tur leb­ten. Dass die Vor­tei­le unse­rer Frei­heit und unse­rer Demo­kra­tie von eini­gen nicht gese­hen wer­den, macht mich traurig.

Letzt­lich wis­sen wir alle, dass sich Din­ge ändern müs­sen. So muss etwa der Wirt­schafts­stand­ort Ost­deutsch­land deut­lich attrak­ti­ver wer­den. Die Men­schen brau­chen das Gefühl, Teil der Erfolgs­ge­schich­te Deutsch­lands zu sein und ihren Bei­trag leis­ten zu kön­nen. Es müs­sen Lohn­un­ter­schie­de abge­baut wer­den – Geld spielt nun mal eine zen­tra­le Rol­le, wenn wir Gleich­be­rech­ti­gung erlan­gen wol­len. Es braucht dafür mehr Men­schen mit ost­deut­scher Iden­ti­tät in zen­tra­len Rol­len. Ob es dafür eine Quo­te braucht? Ich glau­be nicht – ähn­lich sehen das auch fast alle mei­ner Inter­view­part­ne­rin­nen und Inter­view­part­ner, denen ich die Fra­ge immer am Ende des Pod­casts stel­le. Viel­mehr braucht es eine grö­ße­re Sen­si­bi­li­tät für die­se Dimen­si­on der Diversität.

Auf mein anfangs beschrie­be­nes Gefühl des schlech­ten Gewis­sens kann ich sagen: Ja, viel­leicht war es das damals. Heu­te weiß ich: Ich bin stolz, ost­deutsch zu sein, und sehe es als mei­ne ganz per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung, mich für mei­ne Wur­zeln ein­zu­set­zen. Ich tue das selbst­be­wusst – und letzt­lich kommt es gar nicht dar­auf an, ob ich dafür in Ham­burg oder Pir­na bin.

Herzensprojekt: der Podcast „Einheit gut, alles gut“. Abbildung: Guido Rottmann

Her­zens­pro­jekt: der Pod­cast „Ein­heit gut, alles gut“. Abbil­dung: Gui­do Rottmann


Label Impulsgeber Ost

Toni Willkommen

GEBOREN: 1988/Pirna
WOHNORT (aktu­ell): Hamburg
MEIN BUCHTIPP: Udo Baer: „DDR-Erbe in der See­le“, 2020
MEIN FILMTIPP: „Go Tra­bi Go“, 1991
MEIN URLAUBSTIPP: Wan­dern in der Säch­si­schen Schweiz

 

BUCHTIPP:

„Denke ich an Ostdeutschland ...“

In der Bezie­hung von Ost- und West­deutsch­land ist auch 35 Jah­re nach dem Mau­er­fall noch ein Kno­ten. Die­ser Sam­mel­band will einen Bei­trag dazu leis­ten, ihn zu lösen. Die 60 Autorin­nen und Autoren geben in ihren Bei­trä­gen wich­ti­ge Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft. Sie zei­gen Chan­cen auf und skiz­zie­ren Per­spek­ti­ven, scheu­en sich aber auch nicht, Her­aus­for­de­run­gen zu benen­nen. Die „Impuls­ge­be­rin­nen und Impuls­ge­ber für Ost­deutsch­land“ erzäh­len Geschich­ten und schil­dern Sach­ver­hal­te, die auf­klä­ren, Mut machen sowie ein posi­ti­ves, kon­struk­tiv nach vorn schau­en­des Nar­ra­tiv für Ost­deutsch­land bilden.

„Den­ke ich an Ost­deutsch­land ... Impul­se für eine gemein­sa­me Zukunft“, Frank und Robert Neh­ring (Hgg.), PRIMA VIER Neh­ring Ver­lag, Ber­lin 2024, 224 S., DIN A4.

Als Hard­co­ver und E-Book hier erhältlich.

 

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