In seiner vierten Kolumne widmet sich Daniel Heidrich der politischen Polarisierung. Er zeigt, wie im öffentlichen Diskurs vorschnell zwischen Gutbürgern und Wutbürgern unterschieden wird. Und er fordert ein Dafür statt einem Dagegen.
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Daniel Heidrich wurde 1975 in Berlin-Köpenick geboren. Er ist ein erfolgreicher und meinungsstarker ostdeutscher Unternehmer. ebk-gruppe.com
„Der Weg in die Hölle ist gepflastert mit guten Absichten.“ Die Anständigen liefern die Steine und freuen sich über ihre schöne Straße. Sie verleiht ihnen das Gefühl, in die richtige Richtung zu laufen. Die Rechten und Libertären sitzen derweil auf ihrer Terrasse und trinken Aperol Spritz. Sie müssen nur warten, bis die Straße der Moral fertig ist. Sie wird seit Jahren gebaut und macht sie stärker und stärker und stärker und stärker …
Der politische Diskurs ist schon immer geprägt durch eine gesellschaftliche Hierarchie. Er urteilt in protestantischer Tradition über all jene, die sich nicht in den Ethos der moralischen Verpflichtung einreihen. Er teilt ein in Gut und Böse. Es gibt keine Möglichkeit, dem Urteil Gottes zu entgehen, außer man ist fleißig, moralisch und anständig. Er hat einst die 68er groß werden lassen und die feministische Bewegung in Gang gesetzt. Er hat die Rechtsradikalen in Ostdeutschland stark gemacht und ist nun dabei, die Funktionsweise der Demokratie zu zerstören.
Friedrich Merz und die CDU haben am 29. Januar dieses Jahres als ehemals größte Oppositionspartei im Bundestag einen Antrag zur Abstimmung gebracht. Es ist völlig egal, wie man dazu inhaltlich steht. Es ist das gute Recht eines Parlamentariers, eine Debatte zu erzwingen, die man aktuell für nötig hält. Trotz einer Brandmauer brannte der Bundestag und dann trieb die Moral die „Anständigen“ auf die Straße. Als Ossi denke ich mir … kennste doch.
Am zweiten Tag der Pegida-Demos war ein Team von Radio Fritz vor Ort. Man interviewte die Demonstranten und es war Begeisterung zu spüren. Die Radiomacher berichteten sichtlich beeindruckt von der lautstarken Selbstermächtigung im Osten. Dann wurden die westlichen Medien wach und der Anstand übernahm den Diskurs. Anstatt die fragwürdigen Positionen von den berechtigten zu trennen, startete die westdeutsche Elite einen Angriff auf diesen durchaus selbstbewussten politischen Akt des Ostens. Ein medialer Erweckungsmoment der politischen Rechten, die längst auf die schwachen Strukturen im Osten einwirkten. Der Ausfall Sigmar Gabriels war dann die Spitze der Abwertung. Die Radikalisierung der Demos begann und hinterließ eine Truppe voller Hass und Verachtung auf den Mainstream. Das Wort Lügenpresse wurde wieder salonfähig. Der demokratische Diskurs verlief nun zwischen den Anständigen und den Unanständigen. Es gab kein Zurück mehr, denn Unanständige müssen sich schämen. Ihre Rückkehr in die Gesellschaft geht nur über die Reue. Das schlug offensichtlich fehl. Aus Scham wurde Stolz. Aus Stolz wurde Wut. Die vermeintlich moralische Überlegenheit der Anständigen verhinderte eine Veränderung der politischen Position.
Das alles ist ein Mechanismus, den auch die Kommunisten in der DDR gern benutzten. Der guten Sache des Sozialismus wurde alles untergeordnet. Vor allem die Freiheit des Andersdenkenden. Es ging ja um die gerechte und moralisch höherwertige Sache. „Komm nicht vom Wege ab, Genosse“. Aus Politik wurde Religion, in der nur Erlösung finden konnte, wer auf der linken und damit rechten Seite steht.
Derzeit werden die Fehler wiederholt, die im Umgang mit Pegida begangen wurden. Mit einem Unterschied: Die Gesellschaft steht eher rechts als links. Die vermeintlich Anständigen haben nur noch eine relative Mehrheit. Die Brandmauer ist zu einer politischen Waffe mutiert, die den städtischen Milieus die Hoheit über die Politik unseres Landes gibt. Ein UN-Sicherheitsrat für Deutschland, der überprüft, was richtig ist, und den Rest als moralisch unzulässig mit einem Veto abweist.
Das oberste Ziel der AfD ist es, die CDU zu zerstören. Das wird sie schaffen, wenn man dem konservativen Teil der Bevölkerung aufzeigen kann, dass die CDU es nicht mehr schafft, sich politisch gegen die SPD und die Grünen durchzusetzen. Der politischen Linken kommt somit eine riesige Verantwortung zu, konservative Positionen gegen ihre Klientel zuzulassen. Doch die moralisch getriebene Überheblichkeit der „Linken“ wird an dieser Verantwortung scheitern. Zu verführerisch ist die Tatsache, mit der relativen Vetomacht der Brandmauer keinen Erfolg mehr für die CDU zuzulassen.
Vor einem Jahr hatte die AfD 15 Prozent. Ich war dabei auf den größten Demos, die Deutschland je gesehen hat. Es wurde versäumt, eine Politik zu definieren, die FÜR etwas steht. Stattdessen gab es nur ein Dagegen. Hat schon bei Trump nicht funktioniert. Nicht in Österreich. Nicht in Italien. Nicht in Frankreich. Jetzt wird die AfD sicher die zweitstärkste Kraft. Trotz oder gerade wegen der ganzen Demos der Anständigen.
Und so taumeln wir in die Falle der Nationalen und Libertären, denn „auf dem Grabbeltisch der Geschichte findet jeder eine Analogie“. Die CDU mit dem Zentrum oder den Konservativen der Weimarer Republik zu vergleichen, ist historisch absurd und völlig unzulässig. Die Freiheit kann nur in der Freiheit verraten werden. Die AfD-Boys verraten sie für ihre Vormachtstellung. Die Anständigen für ihre moralische Überlegenheit. Zwischen Gut und Böse zu trennen, der größeren Sache alles zu opfern, den Anstand über das politische Argument zu stellen, ist … im Osten nichts Neues.