Das Netzwerk der gemeinnützigen Initiative DenkRaumOst hat es sich zum Ziel gesetzt, den Charme Ostdeutschlands sichtbar zu machen. In Teil zwei der Kolumne sprechen Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin, und Dr. Katja Mittrenga, Partnerin Strategie, Transfer & Netzwerk der DenkRaumOst gUG, über Selbstbewusstsein, Ostmentoren und das gute Gefühl, nicht mehr nur Thema, sondern auch Stimme zu sein.

Ira Roschlau und Dr. Katja Mittrenga von DenkRaumOst.
Manchmal braucht es keinen Brennpunkt auf dem Bildschirm, sondern eine Debatte im Stadionfoyer, um zu spüren, wie sehr Ostdeutschland in Bewegung ist. Anfang März trafen sich über hundert Interessierte beim Stadiongespräch im Berliner Stadtteil Köpenick. Wir hatten zum vierten Mal gemeinsam mit dem Wirtschaftsrat des 1. FC Union eingeladen zu unserer Podiums- und Publikumsreihe „Was macht den Osten so attraktiv?“ Thema diesmal: „Der Osten in den Medien“. Klingt nach viel Beschwerdepotenzial, wurde lebendig – und ziemlich grundlegend.
Wir waren genauso gespannt wie die Teilnehmenden – und schon lange ausgebucht. Es handelte sich um DAS Thema, weswegen sich DenkRaumOst gegründet hatte. 2022 gab es eine eindeutige Schieflage zwischen den Medienberichten bzw. ihren Darstellungen des Ostens und der Realität – Daten von Media Tenor belegen es. Auch wenn es offiziell um Journalismus ging, schob sich schnell etwas anderes in den Vordergrund: das Bedürfnis nach einer eigenen Stimme. Einer Stimme jenseits der alten Klischees vom jammernden Verlierer oder dem gefeierten Aufbau-Ossi. Stattdessen Fragen nach Souveränität, nach medialer Repräsentation, nach Zugehörigkeit. Oder wie es jemand aus dem Publikum formulierte: „Es reicht nicht, über uns zu berichten wie über ein fremdes Land. Wir sind Teil der Geschichte – nicht ihr Anhang.“
Was in der Diskussion sichtbar wurde, war kein Konsens, aber eine Bewegung. Hier einige Schlaglichter:
#1 Im Ausland lässt sich die DDR-Erfahrung besser erzählen als in Deutschland selbst. Das haben sicherlich schon viele Ossis erfahren – so auch Anja Reich, Leiterin des Ressorts Dossier bei der Berliner Zeitung, und Christian Arbeit, Presse- und Stadionsprecher 1. FC Union. Vielleicht, weil dort niemand gleich mit moralischem Zeigefinger fragt, sondern zunächst einfach zuhört und oft staunt. Ostdeutsche erleben im Ausland oft ein überraschendes Wiederentdecken ihrer Herkunft – als würde der Blick von außen einen inneren Resonanzraum öffnen. Allein die immer noch aktuelle Frage: Wem hat der Osten den Wohlstand zu verdanken? Den Wessis? Oder hat sich der Ostdeutsche alles selbst erarbeitet?
#2 Ostdeutscher Erfolg steht unter Verdacht. Da kann doch was nicht stimmen! Nur mit Kompetenz kommt man so weit? Eher nicht, so die unausgesprochene Botschaft. Es bleibt ein Misstrauen gegenüber Aufstiegsstorys, wenn sie nicht aus dem „richtigen“ Teil des Landes kommen und mit finanziellem Background – so Christian Arbeit und viele stimmten ihm zu.
#3 Zwischen Ost und West ist noch Platz – zum Beispiel für Ost-Mentoring. Ein schöner Gedanke, der mehrfach aufkam: Ostdeutsche könnten als informelle Mentoren für westdeutsche Zuzügler fungieren. Nicht aus pädagogischem Impuls, sondern weil es regionale Orientierung gibt und man gemeinsam den Facettenreichtum der deutschen Geschichte erleben darf. Dirk Platt, Leiter rbb24 Brandenburg, aktuell beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, bedankte sich auf der Bühne bei all seinen Mentoren und Anja Reich appellierte an den Spaß, wenn man die Rolle des firmeninternen Ostbeauftragten annimmt.
#4 Der Osten als Zustand – nicht nur als Ort. Viele beschreiben sich heute als „in between“ – zwischen alt und neu, Herkunft und Zukunft, Ost und West. Dieses Dazwischen ist nicht nur biografisch, sondern gesellschaftlich relevant. Es spiegelt eine Suchbewegung, die weit über persönliche Geschichten hinausweist.
#5 Brandenburg als globaler Resonanzraum. Das Tesla-Werk steht nicht nur für Industrieansiedlung, sondern für das verdichtete Aufeinandertreffen vieler Gegenwarten: Klimawandel, Migration, Arbeitskultur, Protest. Wer Brandenburg verstehen will, versteht ein Stück Welt. Das gilt auch für andere Regionen des Ostens – und des Westens.
Und die Medien? Was tun, wenn Berichterstattung ein verzerrtes Bild zeichnet? Wenn der Osten nur als Problemregion oder als Erfolgsmärchen daherkommt?
Einige Antworten aus der Runde:
- Qualitätsjournalismus fördern. Wer erzählt? Mit welcher Haltung? Und für wen?
- Meinungsvielfalt zulassen. Öffentlich-rechtlich, privat, analog, digital – das Ganze ist mehr als die Summe der Teile.
- Eigene Geschichten erzählen. Die ostdeutsche Mentalität mag Understatement bevorzugen, aber wer sich nicht zeigt, wird nicht gesehen.
Was also macht den Osten attraktiv? Eine neue Gelassenheit, die sich nicht mehr an westdeutschen Maßstäben abarbeitet. Eine Souveränität, die aus zwei Gesellschaftssystemen Erfahrungen schöpft. Und eine Ehrlichkeit, die nicht laut sein muss, um klar zu sein.
DenkRaumOst versteht sich als Teil dieser Entwicklung – als Resonanzfläche. Unsere Veranstaltungen sind Versuche, kollektives Denken sichtbar zu machen, zwischen Herkunft und Zukunft, Fremdzuschreibung und Selbstbeschreibung. Vielleicht ist das die eigentliche Attraktivität des Ostens: dass eine neue Stimme entsteht, die nicht nach Aufmerksamkeit schreit, sondern etwas zu sagen hat – vor allem in Umbruchzeiten.
Die nächsten Live-Termine von DenkRaumOst
5. Juni 2025: Hans-Otto-Theater in Potsdam: „Die Schwierigkeit mit der Freiheit“ |