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Auf dem Weg zur Einheit: Die entscheidende Rolle der ersten freien Volkskammer

Vor 35 Jah­ren wur­de mit dem Schritt in die par­la­men­ta­ri­sche reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie der Grund­stein gelegt für eine unum­kehr­ba­re Ent­wick­lung in der DDR. Dafür steht die Kon­sti­tu­ie­rung der Volks­kam­mer am 5. April 1990. Sie sicher­te und legi­ti­mier­te sowohl den Über­gang in einen Rechts­staat als auch die Wie­der­ver­ei­ni­gung Deutsch­lands. Ein Gast­bei­trag von Dr. Sabi­ne Berg­mann-Pohl und Dr. Andre­as H. Apelt.

1990 wurde in der Volkskammer Geschichte geschrieben. Abbildung: PLawrence99cx, CC BY-SA 4.0, commons wikimedia

Im Jahr 1990 wur­de in der Volks­kam­mer Geschich­te geschrie­ben. Abbil­dung: PLawrence99cx, CC BY-SA 4.0, Com­mons Wikimedia

Der Weg zur ers­ten frei gewähl­ten Volks­kam­mer war, wenn­gleich er kurz scheint, kein ein­fa­cher. Er bedurf­te der vie­len muti­gen Bür­ger der DDR, die dem SED-Regime trotz jahr­zehn­te­lan­ger Unter­drü­ckung und vie­ler­lei Repres­sa­li­en die Stirn boten. Erin­nert sei an die poli­tisch Ver­folg­ten, eben­so an jene, die ver­such­ten, sich dem Zugriff und der Ver­ein­nah­mung durch den Staat auf vie­ler­lei Wei­se zu ent­zie­hen. Selbst jene, die dem Land den Rücken kehr­ten, haben ihren Bei­trag zur Dele­gi­ti­mie­rung und damit Desta­bi­li­sie­rung des Regimes geleis­tet. Die fried­li­che Revo­lu­ti­on, getra­gen von den zahl­rei­chen Oppo­si­ti­ons­grup­pen und Hun­dert­tau­sen­den auf den Stra­ßen, ver­lief in meh­re­ren Etap­pen. In Erin­ne­rung geblie­ben sind die Ereig­nis­se um den 40. Jah­res­tag der DDR am 7. Okto­ber, die Mon­tags­de­mons­tra­tio­nen, der Rück­tritt Hon­eckers, der Fall der Mau­er, der Run­de Tisch und die ers­ten frei­en Wah­len. Sie fan­den am 18. März 1990 nach eige­nen Regeln statt. Es war eine rei­ne Ver­hält­nis­wahl, es gab nur eine Stim­me. Die DDR-Bezir­ke waren gleich Wahl­krei­se, in denen die Par­tei­en Lis­ten auf­stell­ten. Zuge­las­sen waren auch Lis­ten­ver­bin­dun­gen, etwa Wahl­bünd­nis­se meh­re­rer Par­tei­en, und eine Fünf-Pro­zent-Hür­de gab es nicht.

Niederlage der Meinungsforscher

Die Wahl ende­te mit einem über­wäl­ti­gen­den Wahl­sieg der Alli­anz für Deutsch­land (CDU 40,8 Pro­zent, DSU 6,3 Pro­zent, DA 0,9 Pro­zent), wäh­rend die von den Mei­nungs­for­schern als Sie­ger gehan­del­te SPD nur 21,9 Pro­zent der Stim­men ein­fuhr. Beacht­lich stark war die PDS mit 16,4 Pro­zent. In Sit­zen bedeu­te­te dies 167 Sit­ze für die CDU-/DA-Frak­ti­on, 88 für die SPD, 66 für die PDS, 25 für die DSU, 21 für ein libe­ra­les Bünd­nis, zwölf für das Bünd­nis 90. Dane­ben gab es wei­te­re Par­tei­en, die manch­mal nur mit einem Abge­ord­ne­ten ver­tre­ten waren. Das Ergeb­nis der Wah­len war ein ein­deu­ti­ges Bekennt­nis zur deut­schen Ein­heit und sozia­len Markt­wirt­schaft, aber auch zur Fort­set­zung des ein­ge­schla­ge­nen Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zes­ses. Die Demo­kra­tie, die bereits Jahr­zehn­te frü­her in der Bun­des­re­pu­blik mit­hil­fe der west­li­chen Besat­zungs­mäch­te Wirk­lich­keit gewor­den war, hat­te damit auch im öst­li­chen Teil Deutsch­lands gesiegt – und das ohne frem­de Hil­fe. Eine höchst bemer­kens­wer­te Tat­sa­che deut­scher Geschich­te. Im Ergeb­nis der Wah­len vom 18. März wur­de der Weg geeb­net für ein ech­tes demo­kra­ti­sches Par­la­ment, aus des­sen Mit­te eine Regie­rung gebil­det wer­den konn­te. Inso­fern kam dem Par­la­ment eine beson­de­re Auf­ga­be zu. Die­ser Auf­ga­be waren sich die 400 Abge­ord­ne­ten durch­aus bewusst, obgleich die Bedin­gun­gen ihres Wir­kens nicht ein­fach waren. Weder gab es genü­gend Büro­räu­me noch tech­ni­sche Hilfs­mit­tel. Nicht ein­mal Unter­brin­gungs­mög­lich­kei­ten für die aus allen Tei­len der DDR stam­men­den Abge­ord­ne­ten waren vor­han­den. Im ers­ten Fall wur­de dar­auf­hin das frü­he­re Gebäu­de des Zen­tral­ko­mi­tees der SED in das Haus der Par­la­men­ta­ri­er umge­wid­met, wäh­rend aus­ge­rech­net ein Bet­ten­haus der Staats­si­cher­heit als Hotel für die Abge­ord­ne­ten diente.

400 Abgeordnete und die Größe der Aufgabe

Die Kon­sti­tu­ie­rung am 5. April im Palast der Repu­blik war eine wür­di­ge Ver­an­stal­tung. Das lag nicht nur an dem zuvor abge­hal­te­nen öku­me­ni­schen Got­tes­dienst in der Geth­se­ma­n­e­kir­che und der Rede des Alters­prä­si­den­ten Lothar Piche von der DSU. Viel­mehr ahn­ten die Abge­ord­ne­ten wohl, was auf sie zukommt. Dazu zähl­ten zunächst Ver­fas­sungs­än­de­run­gen wie die Abschaf­fung eines kol­lek­ti­ven Staats­ra­tes. Die neu gewähl­te Prä­si­den­tin der Volks­kam­mer wur­de damit zugleich Staats­ober­haupt. So spie­gel­ten die Doku­men­te der Sit­zun­gen nicht ansatz­wei­se die Bedin­gun­gen, die mas­si­ve Anspan­nung, die Hek­tik, die emo­tio­na­len Aus­nah­me­si­tua­tio­nen, den Zeit­druck und die psy­chi­sche wie phy­si­sche Belas­tung bis hin zur Erschöp­fung der han­deln­den Per­so­nen wider. 164 Geset­ze, drei Staats­ver­trä­ge und 93 Beschlüs­se lie­ßen den Umfang der Arbeit erah­nen. Im Gegen­satz zur alten Volks­kam­mer, die nur cir­ca zwei­mal im Jahr tag­te, kam das neue Par­la­ment fast täg­lich zusam­men. Es war ein Arbeits­par­la­ment, das sich durch unge­heu­ren Fleiß aus­zeich­ne­te. Die Sit­zun­gen waren span­nend und wur­den aus­nahms­los vom Fern­se­hen über­tra­gen. Auch das war neu. Erstaunt nahm das Prä­si­di­um zur Kennt­nis, dass trotz anfäng­li­cher Skep­sis dem alten Staats­ap­pa­rat gegen­über vie­le der Mit­ar­bei­ten­den der ehe­ma­li­gen Volks­kam­mer und des Staats­ra­tes nicht die Unter­stüt­zung ver­wei­ger­ten. Und das, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hät­ten. Denn das Par­la­ment arbei­te­te nicht nur an der eige­nen Abschaf­fung, son­dern auch an der der Mit­ar­bei­ten­den. Sie wuss­ten also sehr wohl, dass auch ihre Tage gezählt waren.

Sabine Bergmann-Pohl war Präsidentin der Volkskammer. Abbildung: Bundesarchiv Bild 183-1990-0813-302

Sabi­ne Berg­mann-Pohl war als Prä­si­den­tin der Volks­kam­mer das letz­te Staats­ober­haupt der DDR. Abbil­dung: Bun­des­ar­chiv Bild 183-1990-0813-302, Com­mons Wikimedia

Entscheidungen, die zur Einheit führten

Das Beson­de­re die­ses Par­la­ments war aber vor allem geprägt von der Auf­ga­be, den Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zess im Land vor­an­zu­trei­ben und damit die Vor­aus­set­zung zur staat­li­chen Ein­heit Deutsch­lands zu schaf­fen. Bei­spiel­haft ste­hen dafür fol­gen­de Ent­schei­dun­gen und Beschlüsse:

  • Bereits in der zwei­ten Sit­zung am 12. April ver­ab­schie­de­te die Volks­kam­mer eine Erklä­rung aller Frak­tio­nen, indem sie sich zur Ver­ant­wor­tung der Deut­schen in der DDR zu ihrer Geschich­te bekannte.
  • Am 17. Mai kam es zur Bil­dung des Aus­schus­ses Deut­sche Ein­heit zur par­la­men­ta­ri­schen Beglei­tung der Ver­hand­lun­gen zur deut­schen Ein­heit, der par­al­lel auch im Deut­schen Bun­des­tag gebil­det wurde.
  • Am 17. Juni wur­de das Gesetz zur Ände­rung und Ergän­zung der Ver­fas­sung der DDR ver­ab­schie­det, in dem sich die DDR zu einem „frei­heit­li­chen, demo­kra­ti­schen, föde­ra­ti­ven, sozia­len und öko­lo­gisch ori­en­tier­ten Rechts­staat“ bekannte.
  • Am 21. Juni erfolg­te die Erklä­rung zur Garan­tie der pol­ni­schen West­gren­ze und die Ver­ab­schie­dung der „Wäh­rungs-, Wirt­schafts- und Sozialunion“.
  • Am 22. Juli wur­den das „Län­der­ein­füh­rungs­ge­setz“ (mit Wir­kung zum 14. Okto­ber) und das „Gesetz über die Wah­len zu den Land­ta­gen“ verabschiedet.
  • Am Mor­gen des 23. Augusts erklär­te die Volks­kam­mer in ihrer 30. Tagung den „Bei­tritt der Deut­schen Demo­kra­ti­schen Repu­blik zum Gel­tungs­be­reich des Grund­ge­set­zes der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land gemäß Arti­kel 23 des Grund­ge­set­zes mit Wir­kung vom 3. Okto­ber 1990“.
  • Am 24. August wur­de das „Gesetz über die Siche­rung und Nut­zung der per­so­nen­ge­bun­de­nen Daten des ehe­ma­li­gen MfS/AfNS“ ver­ab­schie­det, wel­ches die Grund­la­ge für die Errich­tung der spä­te­ren Sta­si­un­ter­la­gen­be­hör­de bildete.
  • Am 20. Sep­tem­ber nah­men die Abge­ord­ne­ten den Bericht des Minis­ter­prä­si­den­ten über das Ergeb­nis der „Zwei-plus-Vier-Ver­hand­lun­gen“ zur Kennt­nis und am glei­chen Tag erfolg­te die Schluss­ab­stim­mung über den „Eini­gungs­ver­trag“, die Vor­aus­set­zung für die Wie­der­her­stel­lung der Ein­heit Deutschlands.
  • Am 2. Okto­ber been­de­ten die Abge­ord­ne­ten ihre Tätig­keit. Ihr unbe­streit­ba­rer Ver­dienst war, sich selbst abzu­schaf­fen. Denn die Wie­der­her­stel­lung der deut­schen Ein­heit mach­te sie überflüssig.

Was bleibt nun vom Wir­ken der frei gewähl­ten Volks­kam­mer? Es bleibt die bedeu­ten­de his­to­ri­sche Leis­tung, die Demo­kra­ti­sie­rung der Gesell­schaft vor­an­ge­trie­ben und einen ent­schei­den­den Bei­trag zur Wie­der­her­stel­lung der staat­li­chen Ein­heit Deutsch­lands geleis­tet zu haben.

Anmer­kun­gen von Dr. Udo Bartsch, Staats­se­kre­tär a. D., 15. April 2025

„Kürz­lich bemerk­te Chris­toph Hein in einem Inter­view mit dem Spie­gel: ‚Noch ein paar Jah­re, dann ist die DDR ein völ­lig abge­schlos­se­nes Kapi­tel, an das sich kaum jemand erin­nern wird‘. Es ist nicht die Erleb­nis­ge­ne­ra­ti­on, die er mit die­sen har­ten Wor­ten anspricht, son­dern die Jugend unse­rer Zeit, deren bewuss­tes Leben gänz­lich in der Gegen­wart auf­zu­ge­hen scheint und damit ihre Geschichts­ver­ges­sen­heit begrün­det. In die­sem Lich­te gese­hen ist der oben ste­hen­de Bei­trag zur Erin­ne­rung an die ers­te frei­ge­wähl­te Volks­kam­mer ein not­wen­di­ges, ja unver­zicht­ba­res Doku­ment der Erin­ne­rung zu einem jener glück­li­chen Ereig­nis­se in der Geschich­te unse­res Lan­des. Ich muss mir ein­ge­ste­hen, dass selbst mir als Zeit­zeu­gen man­che Fak­ten des Gesche­hens nicht mehr prä­sent sind. Auch dafür gro­ßer Dank für die Erin­ne­rung. Der Arti­kel ist glän­zend geschrie­ben und besticht für mich durch zwei Aspek­te: Unauf­ge­regt und doku­men­ta­risch zeigt er die Fak­ten auf, die durch die fried­li­che Revo­lu­ti­on zur Kon­sti­tu­ie­rung des ein­zig demo­kra­tisch gewähl­ten Par­la­ments der DDR und ihres wenn­gleich kur­zen, aber effi­zi­en­ten Wir­kens führ­te. Die gewähl­ten Akteu­re muss­ten sich in einer gänz­lich neu­en Situa­ti­on der neu­ge­won­ne­nen Frei­heit bewäh­ren. Eine Tra­di­ti­on des demo­kra­ti­schen Par­la­men­ta­ris­mus bestand nicht, an den man getrost anknüp­fen konn­te. Die par­la­men­ta­ri­sche Arbeit muss­te sich aus dem jewei­li­gen Erfor­der­nis prak­ti­schen Han­delns her­aus­bil­den. Erin­ner­lich geblie­ben ist für mich dabei man­che Anlei­he an die Gepflo­gen­hei­ten im All­tag bun­des­deut­scher Par­la­ments­ar­beit, so wenn Unmuts­be­kun­dun­gen durch das Ent­fal­ten der Tages­zei­tung zele­briert wur­den. Ich habe mich mehr­fach in der Volks­kam­mer vor Ent­schei­dun­gen im Amt mit Abge­ord­ne­ten ver­stän­digt und dabei auch erle­ben müs­sen, dass der Stolz über das Aus­maß der neu­ge­won­ne­nen Frei­heit mit­un­ter in ein arro­gan­tes Ver­hal­ten der Exe­ku­ti­ve gegen­über spür­bar wur­de. Kon­rad Weiß war mir stets ein geneig­ter, freund­li­cher Zuhö­rer und Partner.

Als zwei­tes, mich beein­dru­cken­des Moment im Bei­trag besticht die authen­ti­sche Wie­der­ga­be der gefühls­mä­ßi­gen Span­nung aus Zwang zum Han­deln, gestal­te­ri­scher Fähig­keit und vor­han­de­nen Res­sour­cen bei Akteu­ren der Volks­kam­mer und der Regie­rung. Erin­ner­lich geblie­ben ist für mich, in einem sol­chen Gefühls­stau selbst befan­gen gewe­sen zu sein zu Beginn der neu­en Ver­hält­nis­se, im Ergeb­nis der ers­ten frei­en Wah­len. Lothar de Mai­ziè­re hat­te mich beauf­tragt, die Wahl­par­ty der CDU im ‚Ahorn­blatt‘ aus­zu­rich­ten. Die Stim­mung der Anwe­sen­den war wäh­rend der Aus­zäh­lung der Stim­men erwar­tungs­voll, aber gedämpft opti­mis­tisch, was der poli­ti­schen Lage in Ber­lin geschul­det war. Nach­dem der Wahl­sieg der Koali­ti­on um die CDU fest­stand, brach zunächst fre­ne­ti­scher Jubel aus, zu dem sich bald ein nach­denk­li­ches Ver­hal­ten gesell­te. Was kommt jetzt auf uns zu? Sind wir auf das Regie­ren vor­be­rei­tet und mit wel­chem Per­so­nal kön­nen wir den enor­men Her­aus­for­de­run­gen genü­gen, kann der demo­kra­ti­sche Umbruch gelin­gen? Eine glück­li­che, aber zwie­späl­tig span­nungs­rei­che Gefühls­la­ge erfass­te die Anwe­sen­den. Lothar de Mai­ziè­re fühl­te sich zunächst nicht in der Lage, den Wahl­sieg zu kom­men­tie­ren. Er bestimm­te mich für das ers­te State­ment in den Medi­en. Das gab ihm die Frei­heit, in Ruhe die Situa­ti­on zu beden­ken, bevor er der Pres­se zur Ver­fü­gung stand.

Ein gelun­ge­ner und not­wen­di­ger Bei­trag zu einem denk­wür­di­gen Jubi­lä­um, bes­tens doku­men­tiert und ein­drucks­voll ver­fasst. Gratulation!“

 

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