Wirtschaft + Markt (W+M) sprach mit Franziska Giffey, Berlins Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, über die Erwartungen an die neue Bundesregierung, die Auswirkungen der US-Politik auf die Berliner Wirtschaft und Erfolge der Hauptstadt in der Ansiedlungspolitik.

Franziska Giffey, Berlins Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, im Gespräch mit Frank Nehring und Matthias Salm vom Redaktionsnetzwerk Wirtschaft+Markt. Abbildung: W+M
W+M: Frau Giffey, welche Hoffnungen verbinden Sie als Berliner Wirtschaftssenatorin mit der neuen Bundesregierung?
Franziska Giffey: Zunächst einmal blicke ich positiv darauf, dass wir einen Koalitionsvertrag vereinbart haben, der einen starken Fokus auf die Stärkung der Wirtschaft legt und eine solide Grundlage für die Regierungsarbeit der nächsten vier Jahre bildet. Wir brauchen in diesen herausfordernden Zeiten eine funktionierende und stabile Bundesregierung. Von dieser erwarte ich Professionalität und ein gemeinsames Vorgehen, das nach außen nicht von Streit geprägt ist. Wir stehen vor großen Herausforderungen und um die muss sich die neue Regierung von Tag eins an kümmern. Ich sage ganz klar: Es geht in den kommenden Jahren um nicht weniger als den Erhalt unserer Demokratie. Die AfD hat in jüngsten Umfragen die CDU als stärkste Partei überholt. Das muss jedem Demokraten Sorgen bereiten. Deshalb muss die neue Bundesregierung das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das Funktionieren der Demokratie zurückgewinnen.
W+M: Finden sich aus Ihrer Sicht ausreichend sozialdemokratische und Berliner Themen im Koalitionsvertrag wieder?
Franziska Giffey: Jeder Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss und das Ergebnis von intensiven Verhandlungen. So auch dieser. Es ist klar, dass wir als Sozialdemokraten mit einem Wahlergebnis von 16 Prozent nicht 100 Prozent unserer Wünsche durchsetzen können. Trotzdem enthält der Koalitionsvertrag aus meiner Sicht sowohl viele sozialdemokratische als auch Berliner Inhalte. Ich selbst habe am Wirtschaftskapitel des Koalitionsvertrages mitgewirkt. Wir haben dort wichtige Themen für Berlin platzieren können – für die Start-up-Metropole Berlin, für die Innovationshauptstadt Berlin, für die Konnektivität am Flughafen BER. Auch die Gründungsförderung insbesondere von Frauen findet sich im Wirtschaftskapitel wieder. Ich bin zuversichtlich, dass Berlin von diesem Koalitionsvertrag profitieren wird.
Ich bin zuversichtlich, dass Berlin von diesem Koalitionsvertrag profitieren wird.“
W+M: Ihr Brandenburger Amtskollege Daniel Keller betonte unlängst im W+M-Interview, dass Sie in den Verhandlungen auch die Positionen Brandenburgs vertreten haben. Wie gut läuft die Zusammenarbeit mit dem Nachbarland?
Franziska Giffey: Berlin und Brandenburg muss man als Wirtschaftsregion zusammendenken. Das haben wir bereits zur Amtszeit von Prof. Dr. Jörg Steinbach als brandenburgischem Wirtschaftsminister so gehandhabt und eng zusammengearbeitet und natürlich setzen wir mit Daniel Keller diese Zusammenarbeit fort. Schließlich sind wir gemeinsam die am stärksten wachsende Region Deutschlands.
W+M: Wo liegen die wirtschaftlichen Schnittmengen zwischen Berlin und Brandenburg?
Franziska Giffey: Erst kürzlich haben Daniel Keller und ich gemeinsam unsere Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner besucht. Er hat sich dort über den Business Immigration Service informiert, mit dem wir seit fast 20 Jahren die Unternehmen dabei unterstützen, ausländische Fachkräfte nach Berlin zu holen. Das ist natürlich auch für Brandenburg ein spannendes Thema. Wir verfolgen viele gemeinsame Interessen und Ziele: in der Energiepolitik, bei der Wasserstoffstrategie, beim Flughafen BER, bei der Förderung von Start-ups und in der gemeinsamen Innovationsstrategie unserer beiden Länder. Wir haben viele Themen, bei denen wir an einem Strang ziehen und so die Metropolregion insgesamt stärken.
W+M: Die neue Bundesregierung will mit einem großes Investitionspaket die Wirtschaft ankurbeln. Wie kann Berlin davon profitieren und was steht auf der To-do-Liste der Hauptstadt?
Franziska Giffey: Der Schwerpunkt dieses Investitionspakets liegt auf der Modernisierung der Infrastruktur in Deutschland. Und da haben wir ja mit dem Abriss und Neubau der Ringbahnbrücke auf der A 100 in Berlin gerade ein Beispiel erlebt, das bundesweit Schlagzeilen gemacht hat. Klar ist: Eine funktionierende Infrastruktur ist essenziell für Berlin und Deutschland als Wirtschaftsstandort.
W+M: In welche Projekte könnten die Gelder konkret fließen?
Franziska Giffey: Wir müssen in den Ausbau der Streckennetze investieren, zum Beispiel bei der Verlängerung der U-Bahn von Rudow zum Flughafen BER. Da geht es nicht nur um eine schnelle Verbindung für Fluggäste. In der Flughafenregion und entlang der Strecke entstehen Gewerbegebiete, die es an den ÖPNV anzubinden gilt. Das gilt auch für weitere Linien in der Stadt: Die U8-Verlängerung ins Märkische Viertel oder der Lückenschluss der U3 von Krumme Lanke zum Mexikoplatz beispielsweise, der jetzt gerade gestartet ist. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Wirtschaft entlang der Trassen von U- und S-Bahnen wächst. Die Grundfrage bei all diesen Investitionen in die Infrastruktur muss deshalb lauten: Wo können wir damit auch wirtschaftlich einen Effekt erzielen?
Wir müssen in den Ausbau der Streckennetze investieren.”
W+M: Die Bundesregierung will zudem massiv die Verteidigungsfähigkeit des Landes erhöhen. Wird Berlin von diesen Investitionen ebenfalls profitieren und ist ein Ausbau der Rüstungsindustrie in der Stadt überhaupt politisch erwünscht?
Franziska Giffey: Berlin kann sich diesen Entwicklungen nicht verschließen. Wir haben aktuell einen sogenannten Pre-Seed Fonds für Deeptech-Start-ups aufgelegt, um Ausgründungen aus der Wissenschaft schon in der Frühphase zu unterstützen. Damit kann auch die Entwicklung komplexer Technologien finanziert werden. Für junge Unternehmen und die Zulieferindustrie in Berlin ist vor allem der Dual-Use-Bereich interessant, also Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können. Dort werden in den nächsten Jahren große Investitionssummen fließen und Arbeitsplätze entstehen. Berlin und die Metropolregion können einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit unseres Landes und Europas leisten, das sollten wir unterstützen.
W+M: Die Investitionspakete sind auch eine Reaktion auf die veränderte politische Situation in den USA. Sie haben eine Task-Force USA gegründet. Wie sehr belastet die aktuelle US-Politik die Berliner Wirtschaft und was soll die Task-Force bewirken?
Franziska Giffey: Wir werden ja nahezu täglich mit neuen Entwicklungen aus den USA für die globale Wirtschaft konfrontiert, die natürlich auch Auswirkungen auf unsere Berliner Unternehmen und Wirtschaft haben. Ich habe deshalb die Task-Force USA ins Leben gerufen, damit wir die Lage und die Auswirkungen zusammen mit den Wirtschaftsverbänden besser analysieren können und uns gemeinsam ein umfassendes Bild von den Unternehmen in unserer Stadt und ihren Wirtschaftsbeziehungen zu den USA machen können. Unsere Frage lautet: Wie stark sind die Unternehmen von den neuen US-Zöllen betroffen, wie haben sie vorgesorgt und wie können wir helfen?
Unsere Unternehmen werden nahezu täglich mit neuen Entwicklungen in der globalen Wirtschaft konfrontiert.“
W+M: Wie relevant ist der US-Markt für Berliner Firmen?
Franziska Giffey: Die USA sind unser größter Wirtschaftspartner, sowohl was Investitionen am Standort Berlin als auch unseren Handel angeht. Die Berliner Wirtschaft liefert Güter in einem Wert von rund 1,6 Milliarden Euro in die USA, von Fahrzeugen und Maschinen, über Elektronik bis zu Pharmaerzeugnissen. Darunter sind große Namen wie Bayer oder BMW, aber eben auch sehr viele mittelständische Unternehmen. Ich habe kürzlich beispielsweise das Berliner Traditionsunternehmen Münzprüfer in Zehlendorf besucht. Sie stellen Prüfgeräte her, die an Automaten den Münzeinwurf überprüfen. Solche Unternehmen trifft die Zollpolitik der US-Regierung besonders.
W+M: Welche Hilfestellung kann die Berliner Politik leisten?
Franziska Giffey: Wir wollen mit der Task Force USA alle betroffenen Gruppen miteinander vernetzen: die Unternehmen, die IHK, Berlin Partner als Wirtschaftsförderer, die Unternehmerverbände und Gewerkschaften. Als Politik müssen wir uns überlegen, wie wir in unserer Exportförderung die Unternehmen bei der Diversifizierung der Absatzmärkte unterstützen können – beispielsweise indem wir den asiatisch-pazifischen Raum mehr in den Fokus nehmen. Dazu gehört Indien, eine extrem schnell wachsende Wirtschaftsregion mit einem großen Interesse an Deutschland. Das müssen wir für die Berliner Wirtschaft nutzen.
W+M: Werden die Beziehungen Berlins zu den USA unter der aktuellen Politik der Regierung Trump leiden?
Franziska Giffey: Berlin pflegt seit Jahrzehnten intensiv seine transatlantischen Beziehungen und wir bauen diese gezielt aus. Im Bereich Health und Biotech haben wir unsere Zusammenarbeit mit Kalifornien und mit dem Medizinstandort Boston intensiviert und setzen das unbeirrt fort. Wir dürfen diese Kooperationen nicht aufgrund aktueller Verwerfungen, die von der Trump-Administration ausgehen, kappen, sondern müssen sie aufrechterhalten und stärken. Das ist auch der Wunsch unserer amerikanischen Partner. Wir werden deshalb unser Berliner Büro in New York sogar personell verstärken und unsere Programme für Internationalisierung ausbauen.
Berlin pflegt seit Jahrzehnten intensiv seine transatlantischen Beziehungen.“
W+M: Trotz der von Unsicherheiten geprägten globalen Lage wachsen einige Branchen in Berlin weiterhin überdurchschnittlich. Welcher Wirtschaftszweig macht Ihnen besonders Hoffnung für die Zukunft?
Franziska Giffey: Wir haben es geschafft, dass sich die Berliner Wirtschaft elf Jahre lang besser als der Bundesdurchschnitt entwickelt hat. Unsere Stärke ist die große Branchenvielfalt, der Mix aus Dienstleistungen, Tourismus, Gastronomie und Hotellerie, dem produzierenden Gewerbe, Industrie und der lebendigen Start-up- und Techszene. In Berlin wurden im letzten Jahr 500 Start-ups aus der Taufe gehoben, im Schnitt wird alle 17 Stunden ein neues Unternehmen gegründet. Unsere Hoffnungsträger heißen Fintech, Greentech, Healthtech, KI, Deeptech und die Gameswirtschaft. Das fördern wir ganz aktiv. Diese Branchen blühen aber auch, weil wir als Stadt mit einer großen Kulturszene und mit unserer Kreativwirtschaft für Gründer ein attraktiver Standort mit hoher Lebensqualität sind.
W+M: Die Kulturszene allerdings beklagt aktuell sehr lautstark die Sparpolitik des Berliner Senats. Zu Recht?
Franziska Giffey: Ich will die Sorgen der Kulturwirtschaft nicht kleinreden. Aber Berlin gibt immer noch über 900 Millionen Euro im Jahr für die Kulturförderung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus, das ist mehr als im Wirtschaftsetat zur Verfügung steht. Das ist in einer schwierigen Haushaltslage ein großes Bekenntnis des Senats zur Berliner Kultur als wichtigem Magneten für Tourismus und Talente aus aller Welt. Wichtig ist: Zu den Sparmaßnahmen muss es einen guten Abstimmungsprozess und eine transparente Kommunikation mit den Kulturakteuren in der Stadt geben, damit gemeinsam Wege gefunden werden können.
W+M: Welche Branchen haben denn in Berlin dennoch Anlass zur Klage?
Franziska Giffey: Das Handwerk und das Dienstleistungsgewerbe leiden vor allem unter dem Fachkräftemangel. Es fehlen 80.000 Fachkräfte und diese Zahl wird in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels weiter steigen. Die IHK Berlin geht sogar von 400.000 in den nächsten zehn Jahren aus. Die Fachkräfte, die heute fehlen, sind vor 20 Jahren schlicht nicht geboren worden, so muss man das leider sagen. Auf der anderen Seite haben wir über 200.000 Menschen in der Stadt als arbeitslos gemeldet. Da müssen wir Wege finden, um diese in Arbeit zu bringen. Gerade das Handwerk braucht dringend Fachkräfte. Die Zahl derer, die in Berlin ihren Meister machen, ist seit Jahren rückläufig, vor allem bei Frauen sinkt der Anteil an der Zahl der Meisterabschlüsse. Hier setzen wir unter anderem mit unserem Förderprogramm Meisterbonus an. Bei erfolgreich bestandener Prüfung bekommen Berliner Meisterinnen und Meister 5.000 Euro. Frauen in männerdominierten Berufen nochmal 1.000 Euro zusätzlich. Viele Handwerksbetriebe in Berlin finden zudem keinen Nachfolger. Deshalb fördern wir die Berliner Nachfolgezentrale, ein gemeinsames Projekt der Kammern und der Bürgschaftsbank Berlin, die Unternehmen und potenzielle Nachfolger zusammenführt. Diese Förderung werden wir auch im nächsten Jahr fortsetzen.
Die Fachkräfte, die heute fehlen, sind vor 20 Jahren schlicht nicht geboren worden.“
W+M: Geht es ohne Fachkräfte von außerhalb?
Franziska Giffey: Das wird nicht funktionieren. Mit unserem Business Immigration Service haben wir deshalb ein Instrument, um die Unternehmen bei der Integration von ausländischen Fachkräften zu unterstützen. Auch eine zügige Einbürgerungspolitik ist wichtig für den Erhalt der Fachkräftebasis. Indem wir das Einbürgerungsverfahren in Berlin zentralisiert und digitalisiert haben, ist es uns gelungen, die Zahl der Einbürgerungen von früher jährlich 6.000 auf 22.000 im letzten Jahr zu steigern. Nicht, indem wir die Bedingungen für die Einbürgerung verändert haben, sondern indem die Prozesse beschleunigt und verbessert wurden.
W+M: Die Berliner Wirtschaft durchläuft aktuell zahlreiche Transformationsprozesse. Gibt es Unternehmen, die für Sie in dieser Frage beispielhaft vorangehen?
Franziska Giffey: Da nenne ich ganz klar die BEW, die Berliner Energie und Wärme GmbH, die sich seit 2024 ja wieder in Landesbesitz befindet und für deren Rekommunalisierung ich mich stark eingesetzt habe. Diese Rekommunalisierung bietet für uns eine Riesenchance, die Transformation in der Wärmeversorgung der Stadt erfolgreich zu gestalten. Dazu muss man wissen: Die CO2-Emissionen Berlins entstehen zu 50 Prozent in der Wärmeversorgung. Wenn die Wärme nicht klimaneutral wird, kann Berlin nicht klimaneutral werden. Das kommt aber einer industriellen Revolution gleich. Wir sprechen von einem Unternehmen, das zehn Heizkraftwerke betreibt, in denen zu über 90 Prozent fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Diese Heizkraftwerke werden in den nächsten zehn Jahren komplett umgebaut, um sie für die Nutzung von Wind- und Solarenergie, für den Einsatz von Wasserstoff, für Power-to-Heat-Anlagen tauglich zu machen. Der Investitionsaufwand für diese grundlegende Transformation wird rund drei Milliarden Euro betragen.
W+M: Berlin konnte im letzten Jahr 84 Unternehmensansiedlungen allein mit Hilfe des Wirtschaftsförderers Berlin Partner verwirklichen, 60 Prozent davon aus dem Ausland. Lässt sich der Erfolg fortsetzen und gibt es noch ausreichend Gewerbeflächen?
Franziska Giffey: Allein die von Berlin Partner begleiteten Investitionen von Unternehmen, ob neue Ansiedlungen oder Unternehmenserweiterungen, beliefen sich im letzten Jahr auf eine Rekordsumme von rund 1,1 Milliarden Euro. Damit ist es uns seit 2021 und überhaupt erst zum zweiten Mal seit dem Mauerfall gelungen, ein Investitionsvolumen von über einer Milliarde Euro zu erzielen. Wir setzen darauf, weiterhin Unternehmen und Investitionen in die Stadt zu holen. Es ist allerdings auch richtig, dass wir in den letzten Jahren über 200 Hektar Gewerbefläche durch Umwidmung verloren haben. Deshalb haben wir einen Wirtschaftsentwicklungsplan bis zum Jahr 2040 in enger Abstimmung mit dem Entwicklungsplan Wohnen beschlossen, mit dem wir Gewerbeflächen vor allem für das produzierende Gewerbe gesichert haben. Darüber hinaus haben wir elf Zukunftsorte in der Stadt, zum Beispiel die Urban Tech Republic in Tegel, den Wissenschaftsstandort Adlershof, den Cleantech-Park in Marzahn. Dort gibt es noch Flächen und Potenzial für Ansiedlungen. Über Berlin Partner bieten wir Investoren und Gründern mit dem Berliner Wirtschaftsatlas ein digitales Tool an, mit dem sich jedes Unternehmen über die vorhandenen Standorte in Berlin mit allen Rahmenbedingungen und Entwicklungsplänen informieren kann – sozusagen unseren digitalen Zwilling für die Berliner Wirtschaft.
W+M: Die Berliner Wirtschaft bemängelt weiterhin zu viel Regulierung und Bürokratie. Wann kommt der versprochene Bürokratieabbau für die Unternehmen?
Franziska Giffey: Wir haben darauf reagiert und bauen unseren Digitalen Wirtschaftsservice DIWI konsequent aus. Über 80 digitale Leistungen für die Wirtschaft konnten im letzten Jahr schon genutzt werden und wir haben stetig neue digitalisiert, angefangen bei der Gewerbeanmeldung über die Gaststättenerlaubnis bis zur Anerkennung von vielen ausländischen Berufsabschlüssen. Wir wollen bis zum Ende dieses Jahres 300 digitale Dienstleistungen für die Berliner Wirtschaft anbieten, aktuell sind es schon über 260. Wir arbeiten an einer Vielzahl von Projekten, zum Beispiel an der Möglichkeit, Dienstleistungen der Verwaltung überall mit Paypal bezahlen zu können. Nehmen Sie das Beispiel Gastronomie: Das Gaststättenrecht in unserer Stadt stammt noch aus den 1970er-Jahren und muss dringend modernisiert werden. Wo sind im Gaststättengewerbe Genehmigungen wirklich nötig, wo kann auch Genehmigungsfiktion Prozesse vereinfachen? Ist die Sperrstunde aus den 1970er-Jahren in Zeiten der Clubkultur noch zeitgemäß? All diese Fragen werden wir mit der Berliner Wirtschaft besprechen und ein eigenes modernes Gaststättengesetz für Berlin entwickeln.
Wir wollen bis zum Ende des Jahres 300 digitale Dienstleistungen für die Berliner Wirtschaft anbieten.“
W+M: Das Nachbarland Brandenburg hat gerade beim Vergaberecht einen großen Schritt zur Entbürokratisierung getätigt. Wird Berlin folgen?
Franziska Giffey: Fakt ist: Wir müssen die Vergaberechtsfragen und die Genehmigungsprozesse massiv entschlacken. Dafür sind wir jetzt in Gesprächen. Ein gutes Beispiel, wo uns der Bürokratieabbau bereits gelungen ist, sehen wir beim Glasfaserausbau. Dort haben wir die Genehmigungsprozesse komplett digitalisiert. Zudem haben wir das Verfahren von einem Antrags- auf ein Anzeigeverfahren umgestellt. Auch wegen dieser Vereinfachungen konnten wir in den letzten zwei Jahren die Glasfaserabdeckung von 17 Prozent auf über 46 Prozent steigern. Bis 2028 wollen wir eine 100-Prozent-Abdeckung erreicht haben.
W+M: Braucht es für den Bürokratieabbau einen Kulturwandel in der Verwaltung?
Franziska Giffey: Die wichtigsten Voraussetzungen sind Anerkennung und Wertschätzung auf beiden Seiten. Bürger und Unternehmen sind keine Störfaktoren im Tagesablauf der Verwaltung, sondern das Zielobjekt ihrer Serviceleistungen. Auf der anderen Seite ist Verwaltung nicht per se überflüssig oder unwillig, sondern besteht aus vielen engagierten Mitarbeitenden, die einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir seit elf Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum haben. Mehr Anerkennung und Wertschätzung würde ich mir auch gesamtgesellschaftlich wünschen. Und ich wünsche mir, dass die Bürgerinnen und Bürger bei aller Kritik auch etwas mehr stolz auf das sind, was in dieser Stadt tagtäglich geleistet wird. Sie selbst sind diese Stadt, die heute schon zu den drei führenden Innovationsstandorten in Europa gehört – und wir arbeiten daran, Nummer eins zu werden.
Bürger und Unternehmen sind keine Störfaktoren im Tagesablauf der Verwaltung.“
W+M: Zum Abschluss eine Frage aus Sicht der ostdeutschen Wirtschaft: Gehört Berlin zum ostdeutschen Wirtschaftsraum?
Franziska Giffey: Selbstverständlich.
W+M: Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellten Frank Nehring und Matthias Salm vom Redaktionsnetzwerk Wirtschaft+Markt.
![]() Franziska Giffey Franziska Giffey ist seit 2023 stellvertretende Bürgermeisterin und Berliner Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Zuvor war sie von 2010 bis 2015 Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport und von 2015 bis 2018 Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln, dann von 2018 bis 2021 Bundesfamilienministerin. Von Dezember 2021 bis zur Wiederholungswahl in Berlin im Jahr 2023 übte sie das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin aus. Sie war erst die zweite Frau in diesem Amt in der Geschichte der Hauptstadt. Franziska Giffey wurde 1978 in Frankfurt (Oder) geboren und wuchs im brandenburgischen Briesen auf. Ihr Abitur legte sie 1997 in Fürstenwalde ab. 2001 erwarb sie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin den Titel der Diplom-Verwaltungswirtin. Außerdem schloss sie ein Studium des Europäischen Verwaltungsmanagements mit dem Master of Arts ab. Seit 2007 ist sie Mitglied der SPD. |