Anlässlich des Aufstandes vom 17. Juni 1953 skizziert Dr. Andreas H. Apelt vom Deutsche Gesellschaft e.V. das Streben nach Wiedervereinigung im Osten und im Westen Deutschlands. Von den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum abrupten Ende.

Gedenkplatte für den Aufstand vom 17. Juni 1953 in Gera. Abbildung: Steffen Löwe Gera, Wikimedia Commons.
„Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns Dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.“
Dieser Text von Johannes R. Becher bildet die erste Strophe einer Auftragskomposition, die noch während des Zweiten Weltkrieges geschaffen wird, um die Hymne für ein neues Nachkriegsdeutschland zu werden. Vertont wird der insgesamt dreistrophige Text von dem österreichischen Staatsbürger Hanns Eisler (1898–1962), einem engen Freund von Bertolt Brecht. Damit hat die DDR eine eigene Hymne. Zum ersten Mal erklingt sie am 7. November 1949 zur Feier des 32. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution in der Ostberliner Staatsoper, genau einen Monat nach der Staatsgründung vom 7. Oktober 1949.

Die Nationalhymne der DDR erklang von Anfang der 1970er-Jahre bis Januar 1990 bei offiziellen Anlässen nur in der Instrumentalfassung. Abbildung: Klaaschwotzer, Creative Commons CC0 1.0
Die DDR-Verfassung für ganz Deutschland?
Die Staatsgründung selbst ist das Ende des vergeblichen Bemühens, Deutschland unter sowjetischen Einfluss zu zwingen, und die Antwort auf die Gründung der Bundesrepublik. Sie ist zudem das Ergebnis der sogenannten Volkskongressbewegung, mit der die SED ihren Vertretungsanspruch für ganz Deutschland unterstreicht. Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik lehnt sich an den SED-Entwurf einer „Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik“ vom 14. November 1946 an.
Wie der vertonte Anspruch der Hymne – „Deutschland, einig Vaterland“ – beginnt die Verfassung der Republik mit dem Satz „Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik; sie baut sich auf den deutschen Ländern auf.“ Die Bedeutung dieses Satzes für die Gründungsväter unterstreicht DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl in seinen einleitenden Bemerkungen zur Verfassung unter der Überschrift: „Die Verfassung geht vom Volke aus“. Dort heißt es: „Der Artikel 1 der Verfassung beginnt mit den Worten: ‚Deutschland ist eine unteilbare demokratische Republik‘. Diese Worte sind für uns alle Richtschnur unseres politischen Handelns, bis wir den Bestand eines unabhängigen, einheitlichen, friedliebenden und demokratischen Deutschlands erkämpft haben.“ An anderer Stelle geht die Verfassung davon aus, dass es „nur eine deutsche Staatsangehörigkeit“ gibt. Auch darauf werden sich die Demonstrierenden vom 17. Juni 1953 berufen. Kein Wunder also, wenn diese erste Verfassung sehr schnell aus dem Umlauf in der DDR verschwindet. Zu offensichtlich treten Verfassungsanspruch und Wirklichkeit auseinander. Der Kalte Krieg ist im vollen Gange.
Umso weniger verwundert es, wenn in den Revolutionsmonaten der Jahre 1989/90 die erste DDR-Verfassung fast ihr Comeback feiert. So kann sich der CDU-Vorsitzende Lothar de Maizière durchaus die Wiedereinführung dieser Verfassung vorstellen. Schließlich habe die Verfassung nicht nur die deutsche Einheit und das föderale Prinzip mit starken Ländern beschworen, sondern auch bürgerliche Rechte in Aussicht gestellt.
Wie der Wille zur Vereinigung endete
Die ersten Jahre der jungen kommunistischen Diktatur sind durch eine Reihe von Aktivitäten bestimmt, die die Wiedervereinigungspolitik der SED, freilich unter den von ihr diktierten Bedingungen, glaubhaft machen soll. Dazu zählen die Bekenntnisse des Ministerpräsidenten Grotewohl ebenso wie der Protest der SED gegen die „Losreißung des Saargebiets von Deutschland 1950“, die Initiativen zur Bildung eines „Gesamtdeutschen konstituierenden Rates“ bzw. einer „Provisorischen Gesamtdeutschen Regierung“ oder die unter der Parole „Deutsche an einen Tisch“ laufende Kampagne, mithilfe „Gesamtdeutscher Arbeiterkonferenzen“ deutschlandpolitische Vorstellungen umzusetzen. Diese Politik ist ein Großteil Propaganda, um gegen die von Adenauer betriebene Westbindung mobil zu machen. Schließlich bestimmt der Kalte Krieg die deutschlandpolitischen Debatten. Doch entspricht die Vereinigungspolitik auch der Hoffnung, die Nation wiedervereint unter „antiimperialistischen“, sprich kommunistischen bzw. sowjetischen Einfluss zu zwingen.

Am 18. und 19. März 1949 hält der Deutsche Volksrat seine sechste Tagung ab. Über das Thema „Demokratische Verfassung für ganz Deutschland, kein Besatzungsstatut“ spricht Otto Grotewohl. Abbildung: Bundesarchiv, Bild 183-S83967 / CC-BY-SA 3.0.
Wie weit die DDR eine eigene Souveränität aufgibt, zeigt das Beispiel der sogenannten Stalin-Noten vom Frühjahr 1952. Die Noten, die einen Friedensvertrag mit Deutschland und, wenngleich nur unter Besatzungskontrolle, freie Wahlen in Aussicht stellen, werden unter weitgehender Negierung Ostberliner Mitspracherechte in Moskau verfasst. Die Bedingungen Neutralität (Verzicht auf Militärbündnisse) und Anerkennung der neu geschaffenen Nachkriegsgrenzen scheinen Verhandlungsstoff zu bieten. Doch die Haltungen der Westmächte und der Regierung Adenauer, das Bestehen auf einer internationalen Kontrolle der Wahlen und das Offenhalten möglicher Bündnisverpflichtungen Deutschlands machen weitere Verhandlungen überflüssig, zumal die Bundesrepublik Ende Mai 1952 den EVG-Vertrag unterzeichnet.
Das in den Augen vieler DDR-Bürger unnötige Zuschlagen einer Verhandlungstür seitens des Westens wird mit Unverständnis begleitet. Die geplatzten Hoffnungen, propagandistisch enorm aufgewertet, lassen viele DDR-Bürger am Einigungswillen des Westens zweifeln und sich selbst als Marionetten im Spiel der großen Mächte sehen. Einige glauben sogar, in der DDR den besseren deutschen Staat auszumachen. Dennoch, die deutsche Frage wird durch die starre Haltung beider Seiten verstärkt. Da hilft auch nicht die von Ulbricht verkündete Feststellung, dass die Wiedervereinigung eine „unumstößliche Gesetzmäßigkeit“ sei. Der Glaube an eine schnelle Wiedervereinigung schwindet.
Der Aufstand vom 17. Juni 1953
Mit dem 17. Juni 1953 liefert die DDR-Führung dann den Beweis ihres diktatorischen Selbstverständnisses, der auch die eigene Wiedervereinigungspropaganda konterkariert. Die blutige Niederschlagung des Aufstandes mithilfe sowjetischer Panzer zeigt den wahren Charakter des Systems. Der Satz der DDR-Hymne – „Lass uns Dir zum Guten dienen“ – klingt jetzt wie ein Hohn. Tausende füllen – mit drakonischen Strafen belegt – nach dem 17. Juni die Gefängnisse und Zuchthäuser. In der Folge verlassen Millionen Bürger die DDR. Es sind jene, die jegliche Hoffnung verloren haben. Bis zum Mauerbau werden es zwei Millionen sein.
Ulbricht, den Moskau längst vom Thron holen wollte, sitzt nach der Niederschlagung des Aufstandes fester denn je im Ostberliner Sattel, während die SED-Reformer jeglichen Einfluss verlieren. Eine Annäherung der deutschen Staaten scheint illusorisch.
Beitritt zu Militärbündnissen zementiert Spaltung
Der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO (Mai 1955) und der DDR zum Warschauer Pakt (Januar 1956) vertiefen im Bewusstsein der DDR-Bürger die deutsche und europäische Spaltung noch mehr. Die Genfer Gipfelkonferenz der vier Großmächte vom Juli 1955 bringt in der deutschen Frage auch keinen neuen Ansatz, vielmehr verkünden die sowjetischen Verhandlungsführer Bulganin und Chruschtschow im Anschluss in Ostberlin die „Zwei-Staaten-Theorie“, die eine Wiedervereinigung nur unter Wahrung der „sozialistischen Errungenschaften“ der DDR erlaubt. Damit wird die Spaltung Deutschlands zementiert. Ab Mitte der 1950er-Jahre ist die Politik der SED auf die Anerkennung der DDR als selbstständiger deutscher Staat und den Aufbau des Sozialismus als Alternative zum kapitalistischen Westdeutschland gerichtet. Ulbricht setzt die neue „Zwei-Staaten-Theorie“ um, die ihm vor allem seinen eigenen Machtbereich sichert.
![]() Abbildung: Yasin Jonathan Kandil Dr. Andreas H. Apelt Publizist, Schriftsteller, Mitbegründer und Beauftragter des Vorstandes Deutsche Gesellschaft e.V. |