Das Netzwerk der gemeinnützigen Initiative DenkRaumOst hat es sich zum Ziel gesetzt, den Charme Ostdeutschlands sichtbar zu machen. In Teil vier ihrer Kolumne sprechen Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin, und Dr. Katja Mittrenga, Partnerin Strategie, Transfer & Netzwerk, über den HR-Campus in Quedlinburg. Sie zeigen auf, weshalb biografische Brüche, Prägungen und Umbruchserfahrungen als wertvolle Ressource in der Arbeitswelt erkannt werden sollten.

Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin, und Dr. Katja Mittrenga, Partnerin Strategie, Transfer & Netzwerk von DenkRaumOst.
Manchmal braucht es keine Metropole, um sich wie im Zentrum der Zukunft zu fühlen. Quedlinburg – 25.000 Einwohner, Fachwerkidylle, Weltkulturerbe – war Bühne für ein Thema, das wir in die Personalwelt gebracht haben: innerdeutsche Transformationserfahrung als Ressource und relevanter Future-Skill. Statt Debattenpanels in Berlin oder Leipzig findet seit fünf Jahren – stets im Mai mitten im Harz – der HR-Campus Mitteldeutschland statt, ein Praxis- und Konferenzformat für Personalerinnen und Personaler. Hier konnten wir erstmalig die ostdeutsche Transformationserfahrung und -kompetenz als Ressource thematisieren – mit offenem Interesse, bewegenden Geschichten und ehrlicher Begeisterung. Da dachten wir wieder: Das ist Avantgarde im besten Sinne.
Lange Zeit wurde sie verschwiegen, die ostdeutsche Erfahrung mit Umbrüchen. Ein untergründiges Wissen, oft privat gehalten, mit Scham behaftet, selten auf Bühnen geholt. Dabei wissen Millionen Ostdeutsche, was Transformation wirklich bedeutet. Nicht nur als private oder gesellschaftliche Herausforderung, sondern als biografischer Einschnitt, als kollektive Zumutung – und als bewältigte Lebensleistung. Diese Erfahrung ist heute wertvoller denn je. Denn die kommenden Jahre bringen erneut massive Veränderungen in Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft. Wer könnte das besser vermitteln als Menschen, die Wandel nicht nur moderieren, sondern durchlebt haben?
Dass dieses Thema nun auf einem HR-Event mit mehreren hundert Teilnehmern auf Interesse stößt, zeigt: Die Zeit ist reif. Die vielen Gespräche, die wir vor Ort führten, machten deutlich, wie sehr es einen Bedarf gibt, über Differenzerfahrungen in Belegschaften zu sprechen – ohne sie zu problematisieren, sondern um sie als Ressource zu begreifen. Transformationskompetenz made in Germany: East & West. Denn egal, ob die Ostdeutschen in den Westen gegangen oder in der alten Heimat geblieben sind, jeder musste sich neu erfinden. Gehe zurück auf „Los“ und fange neu an. Oder versuch dein Glück in der Ferne – in der ostdeutschen Heimat liegt kaum Zukunft. Und so wurde in der Diskussion allen klar: Aus einer vermeintlichen Last entspringt eine Zukunftsfähigkeit.

Der HR-Campus fand am 22. Mai 2025 statt.
Wir konnten die neue Sicht der Personaler auf Diversität geradezu wachsen sehen – nicht nur in Bezug auf Herkunft, Geschlecht oder Alter, sondern auch auf Sozialisation, Prägung und Erfahrungshorizont. Und ja, es macht einen Unterschied, ob jemand die erste große Umbruchserfahrung 1990 oder 2010 gemacht hat. Doch diese Unterschiede trennen nicht zwangsläufig – sie bieten Anknüpfungspunkte. Wenn man sie anspricht. Wenn man Räume schafft, in denen sie als Kompetenzen sichtbar werden und sich entwickeln können.
Der Osten, das wurde in Quedlinburg spürbar, versteht sich mittlerweile als Avantgarde mit Vorsprung. In vielen Teams arbeiten Menschen, die gelernt haben, mit Unsicherheit umzugehen, Strukturen neu zu denken, Netzwerke statt Hierarchien zu nutzen. Diese Fähigkeiten sind hoch anschlussfähig an die Zukunft der Arbeit. Tipp von uns an die westdeutschen Organisationen: Findet die ostdeutschen Transformationsexperten in euren Teams – lohnt sich garantiert. Wer in seiner Organisation Menschen mit viel Transformationserfahrungen hat, tut gut daran, dieses Potenzial zu heben und unsere innerdeutschen Erfahrungen immer wieder zu thematisieren. Diese Fundgrube scheint den wenigsten Führungskräften klar zu sein. Aber sie sind höchst dankbar, wenn man sie darauf hinweist.
Und dann war da noch dieser Moment, der persönlich hängen blieb: Zwischen Panels, Workshops und Pausengesprächen wurde uns klar, wie langweilig doch die Konferenzwelt ist. Große Städte, große Bühnen, hippe Locations. Aber warum eigentlich? Quedlinburg hat mit seinem historischen Charme und seiner lockeren, aber konzentrierten Atmosphäre genau den Rahmen geboten, den es braucht, um ein neues Wir-Gefühl entstehen zu lassen und Perspektiven zu wechseln. Und die städtische Wirtschaft hat sich über 350 Gäste an zwei Tagen zusätzlich ebenfalls gefreut: win-win-win.
Es ist eine schöne Erinnerung, offen für Neues zu sein. Die Potenziale liegen oft dort, wo man sie nicht sofort sucht. Der Harz als HR-Hotspot! Janine Koska gebührt mehrfach großer Dank: für dieses Format, verbunden mit dem Mut, diesen HR-Campus in Quedlinburg durchzuführen, uns eingeladen und diesem innerdeutschen Transformationsthema eine Bühne gegeben zu haben.
Was wir aus Quedlinburg mitnehmen? Wir wurden erneut motiviert, den ostdeutschen Reichtum an Geschichten von persönlichen Brüchen sichtbar und hörbar zu machen. Und: Die nächste Avantgarde liegt nicht unbedingt im Berliner Start-up-Loft oder im Hamburger Coworking-Space – eher an einer alten Klostermauer, zwischen Tagungsraum und Fachwerkgasse. Dort, wo man lernt, Wandel nicht nur zu managen, sondern ihn zu verkörpern. Zum Beispiel in Ballenstedt bei der Initiative „Heimat bewegen“ – sie war uns einen Abstecher wert. Auch diesen Tipp geben wir hier gern weiter.
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