Der ostdeutsche CDU-Politiker Mario Czaja ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch im zweiten Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.

Mario Czaja, ostdeutscher Politiker (CDU). Abbildung: Ulrich Brothagen
Deutschland als Land ohne Rohstoffe und für sich gesehen als Absatzmarkt zu klein, hatte über viele Jahrzehnte ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell. Wir haben halbfertige Produkte importiert, sie mit hoher Ingenieurskunst in unserem Land veredelt und anschließend weltweit gewinnbringend verkauft. Branchen wie der Maschinenbau, die Automobil- und die chemische Industrie oder die Energie- und die Medizintechnik haben sich auf diese Art und Weise exzellent entwickelt.
Dieses Geschäftsmodell kommt in der aktuell unruhigen Lage der Weltwirtschaft gehörig ins Wanken. Der härter werdende Wettbewerb und die sich in Deutschland verschlechternden Wettbewerbsbedingungen – unter anderem durch die hohen Energiekosten und den Fachkräftemangel in immer mehr Branchen – führen dazu, dass sich deutsche Produkte international nicht mehr so erfolgreich durchsetzen.
Hinzu kommen wirtschaftliche Konflikte, die sich insbesondere durch den stärker werdenden Protektionismus der USA unter Präsident Donald Trump und die zunehmende Regulierung in China auf unsere Handelsbeziehungen auswirken. Die Zeiten der arbeitsteiligen internationalen Produktionsketten und der Forcierung des Freihandels sind vorerst Geschichte. Und das bringt Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft mit sich. Insbesondere für die ostdeutsche Wirtschaft, die bis heute von einem kleinteiligen Mittelstand geprägt ist, der in Krisenzeiten besonders anfällig ist.
Wir brauchen eine Ostquote, gestaffelt nach Bund und neuen Ländern. 20 bzw. 50 Prozent der zu besetzenden Stellen müssen mit Ostdeutschen besetzt werden.”
Sonderförderzonen in Ostdeutschland
Wie kann es also gelingen, die Wirtschaft zwischen Rügen und dem Fichtelberg unter den skizzierten Rahmenbedingungen zu stabilisieren und zu stärken? Ich plädiere ganz klar für die Schaffung von Sonderwirtschafts- oder Sonderförderzonen in den ostdeutschen Bundesländern, um regionale Ansiedlungsturbos zu zünden. Denn noch immer – 35 Jahre nach dem Vollzug der deutschen Einheit – hängt der Osten dem Westen deutlich hinterher.
Mit meinem Vorschlag zur Schaffung von Sonderwirtschaftszonen in den ostdeutschen Bundesländern geht es mir nicht um privilegierte Steuersätze, Zölle oder Arbeitsgesetze. Daher werde ich für meine Idee auch einen anderen Begriff als den der Sonderwirtschaftszone nutzen – vielleicht trifft es die Bezeichnung Sonderförderzone besser. Denn eine der Lösungen ist aus meiner Sicht, einen immer noch deutlich vorhandenen Kapitalausstattungsunterschied zwischen Ost und West zu beseitigen, der sich jetzt noch einmal ganz maßgeblich als Problem herausstellt. Wir brauchen ein besonderes Förderprogramm zur Stärkung des Eigenkapitals für die Unternehmen im Osten, um ihnen Innovationskraft zu ermöglichen. Dazu sollten Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau mit entsprechendem Rangrücktritt ebenso gehören wie steuerliche Anreize für Unternehmensbeteiligungen der Mitarbeitenden und die Förderung von mittelständischen Beteiligungsgesellschaften.

Friedrich Merz und Mario Czaja als Generalsekretär der CDU, 2023 (zusammen mit der CSU in München). Abbildung: Steffen Böttcher
Dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung stehen mittlerweile Tausende mittelständische Betriebe vor der Unternehmensnachfolge. Während sich in Westdeutschland für die dortigen Unternehmen die Nachfolgen einfach finden lassen, ist dies in den neuen Bundesländern deutlich schwieriger. Zigtausende Unternehmensübergaben von der ersten an die zweite Unternehmergeneration stehen aktuell an. Durch das Steuerrecht und die viel zu geringe Kapitalausstattung im Osten droht ein Wegbrechen unzähliger mittelständischer Betriebe in den neuen Ländern. Um das zu verhindern, braucht es ein auf die Verhältnisse in Ostdeutschland zugeschnittenes Wirtschaftsförderprogramm, das Unternehmensnachfolgern sowohl die Übernahme eines Unternehmens als auch einen darauffolgenden Innovationsschub ermöglicht.
Auf der Konferenz „Ostdeutschland 2030 – Heimat und Zukunft“, die am 17. November 2023 in Leipzig stattfand, forderte auch der damalige Staatsminister und Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider (SPD), zur Überwindung der Spaltung zwischen Ost und West eine stärkere Förderung strukturschwacher Regionen im Osten. Er betonte die Bedeutung von Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Wirtschaft, um die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland voranzutreiben. Poltische Bündnispartner für diese Initiative sind somit durchaus vorhanden.

Mario Czaja als Präsident des Berliner Roten Kreuzes mit dem Team des DRK-Wärmebusses. Abbildung: privat
Das wahre „Ostförderministerium“
Ein weiterer wichtiger Punkt sind die öffentlichen Mittel für Forschung und Entwicklung. Welche Wechselwirkung zwischen den öffentlichen und privaten Investitionen entsteht, lässt sich an den folgenden Zahlen beeindruckend ablesen. Während sich die Ausgaben in Ostdeutschland für Forschung und Entwicklung von 1993 bis 2006 von 1,3 Milliarden Euro auf im Verhältnis magere 4,5 Milliarden Euro erhöht haben, stiegen sie im gleichen Zeitraum in Westdeutschland von 17 Milliarden auf 51 Milliarden. Vereinfacht ausgedrückt heißt das: Wenn der Staat anfängt, in Forschung und Entwicklung zu investieren, entstehen innovative Unternehmen, die ab einer bestimmten Größe und Stärke dann selbst diese Budgets aufbringen. Dieser Hebeleffekt ist in den innovativen Ballungsräumen Südwestdeutschlands deutlich zu sehen. Allein in Tübingen beschäftigt Bosch rund 700 Experten, die dort an anwendungsbezogener künstlicher Intelligenz arbeiten. Ostdeutschland hat mit 1,5 Prozent einen unterdurchschnittlichen Anteil an Beschäftigten in der Forschung und Entwicklung (FuE). Ebenso unterdurchschnittlich sind die Ausgaben für diesen Bereich. Daraus folgt, dass die Politik diesem Bereich mehr Aufmerksamkeit widmen sollte. Insbesondere auch deshalb, wie eingangs beschrieben, weil die allermeisten Unternehmen in den neuen Ländern (noch) nicht über eine entsprechende Kapitalkraft verfügen, um angemessen in diesen Bereich investieren zu können. Ich kann Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer in seiner Einschätzung nur bestätigen, das wahre „Ostförderministerium“ ist das Bundesforschungsministerium.

Mario Czaja und Michael Kretschmer in der Sächsischen Staatskanzlei in Dresden, 8. März 2024. Abbildung: privat
Eine Ostquote ist überfällig
Doch es geht nicht allein darum, an wirtschaftlichen Stellschrauben zu drehen, um die neuen Bundesländer durch die Stürme dieser Zeit zu bringen. Die jüngste Bundestagswahl hat mehr als deutlich gezeigt, wie unterschiedlich die Stimmung in Ost und West ist und wie verschieden die Leistungen der politischen Elite unseres Landes wahrgenommen werden. Die neue Bundesregierung täte gut daran, den „blauen Warnschuss“ aus dem Osten ernst zu nehmen und daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten. Wir müssen in Deutschland endlich über eine faire Repräsentation Ostdeutscher in Führungsetagen nachdenken. Ich könnte an dieser Stelle viele Statistiken anführen, die den aktuellen Stand der deutschen Einheit beschreiben und doch alle seit 35 Jahren zu dem gleichen Ergebnis kommen. Die geringen Anteile ostdeutscher Führungskräfte in Politik und Wirtschaft sind alarmierend und tragen zur Entfremdung zwischen den politischen und wirtschaftlichen Verantwortungsträgern auf der einen und der Bevölkerung auf der anderen Seite bei.
Nur magere 1,7 Prozent der Spitzenpositionen aller Bereiche, von der Politik über die Wirtschaft, die Kultur, die Justiz bis zur Verwaltung haben Ostdeutsche inne. In elf von 14 Bundesministerien gibt es unter der Ampelkoalition keinen einzigen Abteilungsleiter aus dem Osten. Unter 120 leitenden Beamten finden sich drei ostdeutsche Vertreter. Dieser Befund zieht sich durch alle Bereiche. Für einen Bevölkerungsanteil, der je nach Definition zwischen 17 und 20 Prozent des Landes ausmacht, ist dies erkennbar keine angemessene Repräsentanz. Durch diese zu geringe Repräsentanz in den Eliten können ostdeutsche Ideen, Erfahrungen und Interessen nicht genügend in relevante Entscheidungsprozesse eingebracht werden, was sich wiederum nachteilig auf die Regionalentwicklung auswirken kann. Die Herausforderungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels ließen sich mit einer deutlich diverseren Führungsebene mit Vertretern unterschiedlicher Hintergründe besser meistern.

Dr. Wolfgang Schäuble und Mario Czaja im Deutschen Bundestag, 13. Dezember 2022. Abbildung: privat
Bei meinem Plädoyer für eine Quote für Ostdeutsche geht es mir aber nicht nur um Repräsentanz. Es geht mir auch nicht nur darum, dass wir die unterschiedlichen Erfahrungen für unser Miteinander nutzen. Wenngleich ich darin einen bedeutenden Mehrwert für unser Land sehe. Sondern es geht mir auch um den erheblichen Akzeptanzverlust unseres demokratischen Gemeinwesens, der maßgeblich durch dieses Missverhältnis entsteht und beschleunigt wird.
Die Forderung nach einer Ostquote, die sich am Anteil der Ostdeutschen an der Gesamtbevölkerung orientiert, ist längst überfällig. Sie könnte dazu beitragen, das chronische Gefühl der Benachteiligung schrittweise abzubauen und die Teilhabe Ostdeutscher an wichtigen Entscheidungen zu fördern. Es ist an der Zeit, die Stimmen aus dem Osten zu hören und eine echte Mitgestaltung zu ermöglichen. Es ist entscheidend, dass wir den Mut aufbringen, strukturelle Benachteiligungen endlich zu beseitigen. Eine angemessene Repräsentation könnte dazu beitragen, dass die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Ostens in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen besser berücksichtigt werden.
Mein Vorschlag lautet: Wir brauchen eine Ostquote, gestaffelt nach Bund und neuen Ländern. 20 Prozent der zu besetzenden Stellen in den Bundesministerien müssen mit Ostdeutschen besetzt werden. 50 Prozent der Spitzenpositionen in den ostdeutschen Landesministerien, den ostdeutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie kommunalen Verbänden müssen an Ostdeutsche vergeben werden. Allein dieser Schritt würde die Repräsentation deutlich steigern und dazu beitragen, dass sich eine gelungene und faire Wiedervereinigung auch in den Führungspositionen widerspiegelt. Nur so hätte auch der Osten künftig in Deutschland wirklich etwas zu sagen.

Mario Czajas Buch erschien 2024.
Mario Czaja
GEBOREN: 1975/Ostberlin
WOHNORT (aktuell): Ostberlin
MEIN BUCHTIPP: Mario Czaja: „Wie der Osten Deutschland rettet. Lösungen für ein neues Miteinander“, 2024
MEIN FILMTIPP: „Sommer vorm Balkon“, 2005
MEIN URLAUBSTIPP: Ahlbeck, Insel Usedom
BUCHTIPP:
„Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Auch dieser zweite Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die weiteren 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Band 2, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2025, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |




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