Wie konnte sich die AfD in Ostdeutschland so stark festsetzen und die Stimmung in der Region beeinflussen? Antworten darauf geben Alexander Leistner, Manja Präkels, Tina Pruschmann und Barbara Thériault in ihrem Buch „Extremwetterlagen – Reportagen aus einem neuen Deutschland“.
Bereits im Jahr 2023, also ein Jahr vor dem Superwahljahr 2024 mit Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg, entwickelten der Soziologe Alexander Leistner und die Schriftstellerin, Musikerin und Journalistin Manja Präkels die Idee für ein außergewöhnliches literarisch-soziologisches Projekt. Die politische Wende war damals bereits spürbar, denn die AfD war vielerorts die stärkste politische Kraft. Ziel des Projekts war es, vor und nach den Wahlen anhand von Gesprächen, Alltagsbeobachtungen und eingefangenen Stimmungen ein vielschichtiges Bild von Orten und Regionen in den drei Bundesländern zu zeichnen.
Für das Projekt „Überlandschreiberinnen – Ways across the country“ gewannen Leistner und Präkels die Autorin Tina Pruschmann und die kanadische Soziologin Barbara Thériault. Das Quartett näherte sich der Frage aus vier unterschiedlichen Perspektiven.
Manja Präkels, die in Nordbrandenburg geboren und aufgewachsen ist und vier Jahre lang als Lokalreporterin für die Märkische Allgemeine im Landkreis Oberhavel gearbeitet hat, plante, gesellschaftliche Initiativen und Konfliktzonen ihres Bundeslandes aufzusuchen. Ihre Reise führte sie unter anderem nach Jüterbog, wo der damalige parteilose Bürgermeister Arne Onni Raue, inzwischen AfD-Politiker, die Stadt tief spaltete. Die evangelische Kirche bezog öffentlich Stellung gegen ihn. In Rheinsberg erlebte Präkels, wie die Mehrheit der Bürger es vorzog, zu Hause zu bleiben, statt sich für den Erhalt des Kurt-Tucholsky-Literaturmuseums einzusetzen und politischen Druck auf Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow auszuüben. Auch Südbrandenburg bereiste sie, eine Region, die von gigantischen Braunkohletagebauen und jahrzehntelangen Kämpfen gegen erstarkende rechtsextreme Strukturen gezeichnet ist.
Tina Pruschmann erkundete Sachsen mit dem Fahrrad. Die in Leipzig lebende Autorin besuchte den Frankenberger Stadtteil Sachsenburg. Dort stießen Menschen, die an das ehemalige Konzentrationslager erinnern wollen, auf Ignoranz und Geschichtsverdrängung. Eine weitere Station war Groitzsch südlich von Leipzig, wo die Bewohner des Stadtteils Pödelwitz gegen die geplante Umsiedlung durch die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft MIBRAG und gegen ihre eigene Stadt kämpfen. Pruschmann begegnete auch Minh Duc Pham, der im erzgebirgischen Bad Schlema geboren wurde und erst während seines Studiums in Berlin begriff, was Rassismus bedeutet.
Barbara Thériault ging einen anderen Weg: Sie nahm eine Stelle als Lokaljournalistin bei einer thüringischen Zeitung an. Sie berichtete über eine verwahrloste Plattenbausiedlung, in der die letzten 23 Bewohner zusammenhalten. Es sind Menschen, die einst gleichzeitig Familien gründeten, hart arbeiteten und bis 2040 gültige DDR-Mietverträge besitzen. In einer anderen Stadt, die seit 1988 rund 19.000 Einwohner verloren hat, trifft Thériault in einer Kneipe die 72-jährige Marianne. Sie schwärmt von der DDR und erinnert an Freundschaft, Lebensfreude und Gemeinschaft.
Alexander Leistner reiste zu Entwicklungen, deren Wurzeln vor 1989 liegen. Er besuchte einen alten Schulfreund und sprach mit ihm über eine Nacht im Oktober 1999: stundenlange Polizeikontrollen von mehr als 50 Punks und der Mord am 17-jährigen Malerlehrling Patrick Thürmer durch Türsteher aus dem Umfeld des HooNaRa-Gründers Thomas Haller. Eine Tat, die in der Region kaum Empörung auslöste.
Im Wahlsommer 2024 fuhr Leistner nach Greiz, wo Björn Höcke für die AfD kandidierte. Zusammen mit einem Fotografen versuchte er, die Stimmung im Wahlkreis einzufangen. Er besuchte ein Sommerfest der AfD sowie ein gleichzeitig organisiertes Demokratiefest eines lokalen Bündnisses als Protest gegen Höcke. Besonders bleibt eine Szene in Erinnerung: Als Aktivisten den Inhaber eines Handwerksbetriebs fragen, ob er sich dem Protest anschließen wolle, lehnt dieser aus Angst vor der Reaktion seiner Mitarbeitenden ab.
Die vier in diesem Buch vereinten Reportagen zeichnen ein vielschichtiges Bild der politischen und gesellschaftlichen Extremwetterlage im Osten Deutschlands: Es geht um Menschen, die schweigen, wegschauen oder resignieren, aber auch um solche, die Haltung zeigen, kämpfen und ihre Werte gegen einen immer stärker werdenden rechten Wind verteidigen.
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Alexander Leistner, Manja Präkels, Tina Pruschmann, Barbara Thériault (Hg.): „Extremwetterlagen – Reportagen aus einem neuen Deutschland“, Verbrecher Verlag, Berlin 2025, 206 Seiten, 20 € (Broschur mit Fotos).























