Thuy-Ngan Trinh ist in Dresden als Tochter vietnamesischer Gastarbeiter aufgewachsen. Die Geschäftsführerin der Berliner Digitalberatung A11 plädiert mit Blick auf ihren eigenen Werdegang für mehr Selbstvertrauen, Mut und Haltung im Osten, für mehr Machen und Vormachen – besonders beim Thema KI.

Die Geschäftsführerin der Berliner Digitalberatung A11, Thuy-Ngan Trinh, plädiert für mehr Selbstvertrauen, Mut und Haltung in Ostdeutschland. Abbildung: A11
Es wird Zeit, Ostdeutschland neu zu erzählen.
Ich werde oft gefragt, wie es war, in Dresden aufzuwachsen. Meine Antwort: Eine wunderschöne Stadt, aber ich hatte leider mehrere und regelmäßige rassistische Vorfälle, die es mir erschwert haben, Deutschland als Heimat zu verstehen. Und das, obwohl ich von meiner Geburt bis zum Abitur in Dresden aufgewachsen bin.
Erst als ich nach Berlin gezogen bin (und ja – es gibt einen Unterschied zwischen Dresden und Berlin, denn Osten ist nicht gleich Osten), habe ich zum ersten Mal erlebt, was es heißt, wenn Herkunft keine Rolle mehr spielt. Dieser Perspektivwechsel hat damals viel in mir ausgelöst und mich auch dazu ermutigt, stärker ins Unternehmertum zu gehen und tiefer in die Tech-Welt einzutauchen.
Heute weiß ich: Mein Hintergrund und mein Aufwachsen in Ostdeutschland sind kein Nachteil. Im Gegenteil, sie haben mich geprägt und mir Stärken gegeben, die ich in meinem beruflichen Alltag ständig brauche. Ich werde auch häufig gefragt, was ich als Geschäftsführerin bei A11 eigentlich mache. A11 ist die Operations Unit von Project A, die Unicorns wie Trade Republic und ARX Robotics innerhalb des Investmentportfolios aufgebaut hat. Kurz gesagt: Ich bewege mich jeden Tag zwischen „Strategie”, operativen Entscheidungen & Execution und der Rolle als Brückenbauerin zwischen Wirtschaft, Tech und Menschen. Unser Team arbeitet mit dem Mittelstand und Scale-ups daran, technologischen Fortschritt umzusetzen. Von kommerzieller Skalierung bis KI-Integration, die man dann auch wirklich in der Gewinn- und Verlustrechnung spürt.
Dabei treffe ich auch auf Unternehmer aus Ostdeutschland wie Robert Dahl (CEO von Karls Erdbeerhof). Diese Erfahrung hat nicht nur meine Sicht auf den Osten verändert. Auch in meinem Umfeld ist ein neuer Realismus, aber auch ein neuer Wille spürbar. Viele jener Menschen, mit denen ich damals von Dresden nach Berlin ging, sind inzwischen bewusst zurückgekehrt – weil sie nicht zuschauen wollen, wie diese Region populistischen Kräften überlassen wird.
Diese Erfahrungen, meine eigenen und die vieler Menschen, die den Osten verlassen und später bewusst wieder zurückgekehrt sind, haben meinen Blick auf die Region verändert. Heute sehe ich Ostdeutschland nicht nur als den Ort, an dem ich aufgewachsen bin, sondern als Raum voller Chancen. Eine Region, die sich wandelt, die umkämpft ist, aber auch eine, in der enorm viel Potenzial steckt, wenn wir es nutzen.
KI und Ostdeutschland – passt das?
Wenn wir über Transformation in Ostdeutschland sprechen, dann kommen wir an einem Thema nicht vorbei: KI. Kaum eine Region in Deutschland hat gleichzeitig so viel industrielles Potenzial und so große Lücken beim digitalen Anschluss. Gerade deshalb kann KI hier mehr bewirken als anderswo. Sie schafft Chancen für Unternehmen, die oft kleiner, beweglicher und näher an der realen Wertschöpfung arbeiten und die genau jetzt Unterstützung brauchen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Deutschland befindet sich in einer Phase, in der mehrere negative Entwicklungen ineinandergreifen: eine Wirtschaft, die kaum wächst; ein Fachkräftemangel, der ganze Betriebe ausbremst; ein Mittelstand, der Gefahr läuft, den Anschluss an neue Technologien zu verlieren. Diese Gemengelage schafft Unsicherheit und aus Unsicherheit werden schnell Ängste. Während Populisten davon profitieren, kämpfen viele Unternehmen im Alltag darum, überhaupt Schritt zu halten.
Genau das treibt mich gerade sehr um. Wenn wir diese Abwärtsspirale durchbrechen wollen, brauchen wir spürbare Fortschritte dort, wo unsere Wirtschaft am verletzlichsten und zugleich am stärksten ist: im Mittelstand. Hier entscheidet sich, ob Deutschland, und besonders Ostdeutschland, innovativ wird und bleibt.
Für mich und A11 ist KI deshalb kein Buzzword, sondern ein Werkzeug, um genau diese Lücke zu schließen. Wir sehen täglich, wie viel Potenzial brach liegt, weil KI zwar diskutiert, aber zu selten umgesetzt wird. Führungskräfte wissen, dass sie handeln müssen, doch oft fehlt Orientierung, wo sie beginnen sollen.
Die entscheidende Frage ist nicht „Welche KI-Strategie verfolge ich?“, sondern „Wie verändern sich Prozesse durch KI messbar?“. Erfolgreiche Unternehmen machen vor allem dort Fortschritte, wo die Führungsebene selbst vorangeht und KI aktiv nutzt, statt sie nur zu delegieren. Akzeptanz entsteht nicht durch Berichte oder Strategiepapiere, sondern durch Vorbilder im Alltag. Gleichzeitig beginnt wirkungsvolle Transformation nicht mit dem Kauf neuer Tools, sondern mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme: Welche Prozesse sind langsam, fehleranfällig oder doppelt organisiert? Wo entstehen unnötige Kosten und manuelle Arbeit, die automatisiert werden könnten?
Statt große Programme aufzusetzen, sollte viel eher in kurzen vier- bis achtwöchigen Sprints gearbeitet werden. So werden Ergebnisse direkt im Tagesgeschäft getestet. Was funktioniert, wird schrittweise skaliert. Was keinen Effekt hat, wird schnell beendet. So entsteht Fortschritt nicht im Konferenzraum, sondern messbar im Betrieb.
Wünsche und Potenziale für Ostdeutschland
Was wünsche ich mir für den Osten? Vor allem mehr Selbstvertrauen. Mehr Mut zum Wachstum und zum Unternehmertum. So spielerisch, ambitioniert und bodenständig wie Karls Erdbeerhof, der aus einer einfachen Idee ein ganzes Erlebnisuniversum geschaffen hat. Ich wünsche mir, dass wir aus der Opferhaltung herauskommen, die verständlich ist nach dem „fehlgeschlagenen” Angleichungsprozess, uns aber heute nicht mehr weiterbringt. Klar ist aber auch, dass dieser Mut und dieses Wachstum nur durch Zuzug neuer Talente und Investoren möglich sind, um ein innovatives Ökosystem zu schaffen. Das heißt, ich wünsche mir auch, dass Westdeutschland den Osten nicht aufgibt, sondern ihn aktiv gestaltet, statt nur aus weiter Entfernung darauf zu schauen.
Denn das Potenzial ist da, und zwar deutlicher, als es von außen oft wahrgenommen wird. Ostdeutschland vereint exzellente Forschung mit einer starken industriellen Basis: Halbleiter, E-Mobility, Batteriezellen, Wasserstoff, erneuerbare Energien sowie ein wachsendes Luft- und Raumfahrtcluster. Das sind keine Zukunftsversprechen, das sind bereits heute tragfähige Bausteine für Wertschöpfung und Innovation: In Lübbenau entsteht ein Rechenzentrum der Schwarz-Gruppe, SaxoQ treibt in Sachsen-Anhalt die Entwicklung von Quantencomputing voran, neue Innovationsstandorte wachsen.
Gleichzeitig entsteht hier Kultur: dort, wo Raum und Freiheit sind. Bezahlbarer Wohnraum zieht Subkultur an, und Subkultur zieht Talente an – junge Menschen, die experimentieren, gestalten, Neues wagen. Und dann sind da die Menschen, die im Osten groß geworden sind und gelernt haben, sich durchzubeißen. Eine Qualität, die unterschätzt wird, aber oft den Unterschied macht.
Ich glaube fest daran, dass in dieser Mischung eine enorme Chance liegt: wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Ostdeutschland muss nicht aufholen, es kann vormachen, wie Transformation gelingt. Aber dafür braucht es Mut. Haltung. Und Menschen, die bereit sind, den Raum zwischen Vergangenheit und Zukunft zu füllen.




























