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Der Osten als Avantgarde #8: Industriekultur Ost – Wie anders geht Osten?

Das Netz­werk der gemein­nüt­zi­gen Initia­ti­ve Denk­Rau­mOst hat es sich zum Ziel gesetzt, den Charme Ost­deutsch­lands sicht­bar zu machen. In Teil acht ihrer Kolum­ne zeigt Prof. Joseph Hop­pe, Lei­ter des Ber­li­ner Zen­trum Indus­trie­kul­tur bzi und ehe­mals Vize-Direk­tor des Deut­schen Tech­nik­mu­se­ums in Ber­lin, die Ent­wick­lung der ost­deut­schen Indus­trie­kul­tur von 1945 bis heu­te auf.

„Die Landschaft der Industriekultur Ost ist nicht grau, sondern

„Die Land­schaft der Indus­trie­kul­tur Ost ist nicht grau, son­dern auf­fal­lend bunt und viel­fäl­tig“, sagt Prof. Joseph Hop­pe, Lei­ter des Ber­li­ner Zen­trum Indus­trie­kul­tur bzi. Abbil­dung: Lea Geis­berg, bzi

Indus­trie­kul­tur ist für vie­le ein schwie­ri­ger, unzu­gäng­li­cher Begriff. Gemeint sind damit alle Über­lie­fe­run­gen und Erb­schaf­ten der Indus­tria­li­sie­rung: mate­ri­el­le und imma­te­ri­el­le, Gebäu­de, Infra­struk­tu­ren, aber auch Erzäh­lun­gen und Men­ta­li­tä­ten, Lebens­er­fah­run­gen und Haltungen.

Damit ist schon klar: Es gibt so vie­le unter­schied­li­che Indus­trie­kul­tu­ren, wie es unter­schied­li­che Indus­trie­land­schaf­ten gab und gibt. Auf­blü­hen und Ver­fal­len von indus­tri­el­len Clus­tern zei­gen regio­nal unter­schied­li­che Ver­laufs­for­men der Trans­for­ma­ti­on. Sie unter­schei­den sich in Tem­po, Rigo­ro­si­tät und Här­te. Aber eines ist schon bei ober­fläch­li­chem Hin­se­hen klar: Die ost­deut­schen Indus­trie­re­gio­nen haben eine ent­schei­den­de Gemein­sam­keit in der Ver­ar­bei­tung von viel­fa­chem Struk­tur­wan­del und Brü­chen, die sich so wahr­schein­lich nir­gend­wo sonst in Euro­pa fin­den lässt.

Die­se sehr spe­zi­el­le Ent­wick­lung seit 1945 ist auch nach 1990 nicht mit west­deut­schen Ent­wick­lun­gen syn­chro­ni­siert wor­den. Gene­ra­tio­nen der Arbeit und Gene­ra­tio­nen an indi­vi­du­el­len Bio­gra­fien sind durch die Beson­der­hei­ten die­ser Abläu­fe tief geprägt wor­den. Sie gip­feln in der Erfah­rung eines extrem schnell ver­lau­fen­den und tief­grei­fen­den Struk­tur­bruchs nach der poli­ti­schen Wen­de 1989/90. Die bran­chen­über­grei­fen­de, groß­flä­chi­ge Deindus­tria­li­sie­rung der 90er-Jah­re präg­te Nar­ra­ti­ve und Inter­pre­ta­ti­ons­mus­ter, deren tief­grei­fen­de Wir­kung sich nicht allein auf die Erleb­nis­ge­ne­ra­ti­on erstreckt. „Pre­ka­ri­sie­rung“ und „Ent­wer­tung der Lebens­leis­tung“ sind her­vor­ste­chen­de Moti­ve im Kon­sens des Ostens, die sich als schwe­re poli­ti­sche Hypo­thek erwie­sen haben.

Auf dem Gebiet der DDR hat­te sich seit 1945 eine Ener­gie- und Indus­trie­land­schaft mit spe­zi­fi­schen Ele­men­ten des Arbei­tens und der Tech­no­lo­gien ent­wi­ckelt, in der sich Relik­te der Vor­kriegs­zeit mit inno­va­ti­ven Kon­zep­ten misch­ten. Wer­fen wir einen Blick auf die Haupt­mo­ti­ve die­ser Entwicklung:

  • Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges kam es auf dem Gebiet der SBZ (sowje­ti­sche Besat­zungs­zo­ne) zu umfas­sen­den Demon­ta­gen und Dis­lo­zie­run­gen durch die sowje­ti­schen Besat­zungs­kräf­te, die es so nir­gend­wo sonst in Deutsch­land gab.
  • In meh­re­ren Wel­len ent­eig­ne­te die SED Pro­duk­ti­ons­mit­tel, Grund und Boden; seit Gene­ra­tio­nen über­kom­me­ne Eigen­tums­ver­hält­nis­se wur­den auf­ge­bro­chen. Zwangs­so­zia­li­sie­run­gen zer­schlu­gen lan­ge funk­tio­nie­ren­de Koope­ra­tio­nen zwi­schen Betrie­ben und in den Lieferketten.
  • Die unver­meid­li­che Inte­gra­ti­on in die arbeits­tei­li­gen Struk­tu­ren des RGW (Rat für gegen­sei­ti­ge Wirt­schafts­hil­fe) garan­tier­te vor allem der Wirt­schaft der Sowjet­uni­on vie­le Vor­tei­le und ver­hin­der­te zum Teil in der DDR tech­no­lo­gi­sche Inno­va­ti­on (Bei­spiel Luftfahrt).
  • Vor dem Mau­er­bau hat­te die DDR den Bra­in­drain wert­vol­ler Arbeits­kräf­te in Rich­tung Wes­ten zu ver­kraf­ten: Hun­dert­tau­sen­de von Fach­kräf­ten ver­lie­ßen das Land. Ver­lus­te in ähn­li­cher Grö­ßen­ord­nung ereig­nen sich erneut nach dem Fall der Mau­er. Schrump­fen­de Städ­te und demo­gra­fi­sche Schief­la­gen sind bis heu­te die Folge.
  • Moder­ni­sie­rungs­ver­su­che der DDR-Füh­rung mit­hil­fe von Kre­di­ten aus dem Wes­ten soll­ten in den letz­ten Jah­ren vor dem Mau­er­fall Anpas­sun­gen an inter­na­tio­na­le Märk­te ermög­li­chen. Sie hat­ten bei wei­tem nicht die ange­streb­ten Erfol­ge, schu­fen aber neue Abhängigkeiten.
  • Der Zusam­men­bruch gro­ßer Tei­le der DDR-Pro­duk­tiv­kräf­te nach der Wen­de ist his­to­risch beispiellos.
  • Das dis­rup­ti­ve und oft unver­ständ­li­che Agie­ren der Treu­hand in den ers­ten Jah­ren nach der Ver­ei­ni­gung hat­te gra­vie­ren­de sozio­öko­no­mi­sche Fol­gen und wird immer noch als trau­ma­ti­sche Erfah­rung geteilt.
  • Der All­tag vie­ler Beschäf­tig­ter erfuhr radi­ka­le Ver­än­de­run­gen durch den Ver­lust gesell­schaft­li­cher Mikro­or­ga­ni­sa­tio­nen in den Betrie­ben und im Arbeits­um­feld; lang­jäh­ri­ge sozia­le Bin­dun­gen fal­len weg, die gewohn­ten Ein­rich­tun­gen in den volks­ei­ge­nen Betrie­ben ver­schwin­den ersatzlos.
  • In den letz­ten Jahr­zehn­ten konn­ten immer­hin in einem Teil der ehe­ma­li­gen Indus­trie­re­gio­nen durch auf­wän­di­ge Pro­gram­me erfolg­reich Kon­zep­te der Reindus­tria­li­sie­rung und Reor­ga­ni­sa­ti­on umge­setzt wer­den, neue Clus­ter sind auf den Fun­da­men­ten der alten ent­stan­den (Che­mie, Braun­koh­le, Mikro­elek­tro­nik, Kfz-Bau). Ande­re Regio­nen hin­ge­gen betrach­ten sich als ver­ges­sen und ohne Hoffnung.
  • Mit dem ver­ein­bar­ten Aus­stieg aus der Braun­koh­le-Indus­trie steht ein neu­er­li­cher mas­si­ver Struk­tur­bruch bevor, aller­dings abge­fe­dert durch ein mil­li­ar­den­schwe­res Pro­gramm. Es bleibt abzu­war­ten, ob neue Ener­gie- oder Indus­trie­land­schaf­ten ent­ste­hen, die auch hin­rei­chend Beschäf­ti­gung bie­ten werden.

Alle die­se Pro­zes­se fan­den und fin­den nicht jen­seits der Haus­tü­ren und Köp­fe der betrof­fe­nen Men­schen statt. Sie haben offen­kun­dig und tief­grün­dig in den emo­tio­na­len und men­ta­len Struk­tu­ren der Men­schen in Ost­deutsch­land ihren Nie­der­schlag gefun­den. Die Ver­bin­dung von indus­trie­kul­tu­rel­len Pro­zes­sen und einer beson­de­ren Art von Bewusst­heit und Unter­be­wusst­sein in den ost­deut­schen Regio­nen ist bis­lang nicht oft ange­spro­chen wor­den. Dabei liegt es auf der Hand, dass nicht nur poli­ti­sche oder ideo­lo­gi­sche Fak­to­ren ein ost­deut­sches Gefühl des Anders­seins beein­flusst haben, son­dern dass es vor allem die­se Ver­ket­tung von Ver­lus­ten, Nie­der­la­gen, mate­ri­el­len Ein­bu­ßen und Ent­frem­dun­gen ist, die tief­sit­zen­de Prä­gun­gen aus­ge­bil­det haben.

Des­we­gen hat das Ber­li­ner Zen­trum Indus­trie­kul­tur sein dies­jäh­ri­ges Forum für Gesell­schaft und Indus­trie­kul­tur im Okto­ber 2025 dem The­ma „Industriekultur.Ost. Wie geht Osten?“ gewid­met. Mehr als ein Dut­zend Exper­tin­nen und Exper­ten aus allen Tei­len Ost­deutsch­lands kamen zusam­men, um über Bestands­auf­nah­me und Per­spek­ti­ven zu spre­chen. In meh­re­ren „Run­den Tischen“ konn­ten unter­schied­li­che Aspek­te behan­delt wer­den. Eine Zusam­men­fas­sung wür­de den Rah­men die­ses Bei­tra­ges spren­gen, zumal dem­nächst alle Bei­trä­ge unter der genann­ten Web­adres­se als Video abruf­bar sein wer­den. Nur kurz: Es gab viel zu berich­ten, Men­schen aus ganz unter­schied­li­chen Regio­nen und beruf­li­chen Hin­ter­grün­den fan­den schnell eine gemein­sa­me Spra­che, der Reich­tum vor allem der ehren­amt­li­chen Initia­ti­ven und Pro­jek­te hat immer wie­der über­rascht. Und vor allem: Die Land­schaft der Indus­trie­kul­tur Ost ist nicht grau, son­dern auf­fal­lend bunt und viel­fäl­tig, und vie­le Erzäh­lun­gen sind gar nicht mehr so sehr von Moti­ven des Nie­der­gangs und Ver­lusts geprägt.

Vie­le typi­sche Nar­ra­ti­ve der Indus­trie­kul­tur Ost tra­gen einen neu­en „Osti­mis­mus“ in sich und haben zugleich einen beson­de­ren Stel­len­wert für Kom­mu­nen und Regio­nen. Das gibt es so in Rest­deutsch­land nicht zu besich­ti­gen, und in Ost­deutsch­land ist es immer noch zu wenig bekannt. Als Beleg hier ein von der Sozio­lo­gin Julia Gab­ler zitier­ter Link zu einem tol­len Song von Ber­na­dette La Hengst: Mach aus Rui­nen Magie!

 

Die nächs­ten Live-Ter­mi­ne von DenkRaumOst

denkraumost.de/events

 

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