Die Amtszeit des Staatsministers und Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider, endet durch die anstehenden Neuwahlen früher als geplant. W+M sprach mit dem Ostbeauftragten über das Erreichte und wollte wissen, was jetzt liegenbleibt.
W+M: Die Streitereien der Ampelparteien haben zu Neuwahlen geführt. Inwieweit haben die Kontroversen zwischen den Regierungsparteien Ihre Arbeit als Ostbeauftragter beeinträchtigt?
Carsten Schneider: Bei den Entscheidungen der Bundesregierung für Ostdeutschland herrschte Einigkeit. Ich konnte mich immer auf meine Kolleginnen und Kollegen am Kabinettstisch verlassen, meine Anliegen wurden aufgegriffen. Dass schlechte öffentliche Auftreten der Koalition hat die Ergebnisse der Arbeit leider oft verdeckt.
W+M: Wird es noch einen Abschlussbericht des Ostbeauftragten geben?
Carsten Schneider: Nein. Die nächste Bundesregierung muss entscheiden, wie sie mit der Berichtspflicht des Bundestages umgeht. Ich habe in dieser Wahlperiode einen neuen Ansatz mit dem eigenständigen Bericht des Ostbeauftragten vorgelegt, um ein differenzierteres Bild von Ostdeutschland zu zeigen.
W+M: Was haben Sie in Ihrer Amtszeit erreicht?
Carsten Schneider: Eine ganze Menge. Und die Herausforderungen waren groß. Nach dem brutalen russischen Angriff auf die Ukraine mussten wir die Energieversorgung sichern und den Betrieb der für Ostdeutschland wichtigen Raffinerien in Schwedt und Leuna aufrechterhalten. Mit einem Zukunftsprogramm aus GRW-Mitteln (Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ GRW; Anm. Red.) haben wir dort zusätzlich die Weichen für einen Wechsel hin zu klimafreundlicheren Energieträgern gestellt. In Rostock konnten wir die traditionsreichen Arbeitsplätze der insolventen Neptunwerft retten – als Standort des Marinearsenals, aber auch zum Bau von Konverter-Plattformen für Offshore-Windenergie.
Auch haben wir als Bundesregierung den Strukturwandel in der Lausitz weiter unterstützt. Dafür stehen Milliardenhilfen bereit und es werden mehr Arbeitsplätze entstehen als durch das Ende des Kohleabbaus wegfallen. Auch die Gründung von zwei Großforschungseinrichtungen hilft dabei, die Region für neue Fachkräfte attraktiv zu machen. Hinzu kommt: Künftig sollen neue Bundes- und Forschungseinrichtungen vorrangig in Ostdeutschland angesiedelt werden, dazu hat die Regierung einen Kabinettsbeschluss gefasst.
Aber auch von privaten Investitionen hat der Osten deutlich profitiert. Und das aus gutem Grund. Denn wir haben in Ostdeutschland eine sehr gute Versorgung mit erneuerbaren Energien, viele verfügbare Flächen, eine grundsätzlich industriefreundliche Bevölkerung und gut ausgebildete Fachkräfte. Auch wenn sich die Ansiedlung von Intel in Magdeburg erst einmal verzögert, ist viel gelungen. Zum Beispiel mit der Ansiedlung von Tesla in Brandenburg, dem Batteriehersteller CATL in Thüringen oder dem Chiphersteller TSMC in Dresden.
Die Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Bundesländern läuft dabei sehr gut. Hier hilft die Bündelung der Interessen über die Konferenz der ostdeutschen Regierungschefs. Wir haben dort beispielsweise gemeinsam sehr früh Beschlüsse zur gesteuerten Zuwanderungspolitik oder für eine kluge Energiepolitik gefasst. So führen die Neuregelungen der Verteilnetzentgelte dazu, dass die ostdeutschen Länder nicht mehr mit höheren Entgelten dafür bestraft werden, mehr Strom aus erneuerbaren Energien zu produzieren als andere Regionen. Bei all diesen Aktivitäten war es sehr gut, dass ich auf die Strukturen des Kanzleramtes zurückgreifen konnte und die Unterstützung des Bundeskanzlers für alle Vorhaben hatte. Politik ist ein Teamsport.
W+M: Worauf sind Sie persönlich sehr stolz?
Carsten Schneider: Ich werbe für einen neuen, differenzierten Blick auf Ostdeutschland und habe dafür viel positive Resonanz erhalten. Natürlich gibt es im Osten Probleme, aber in den vergangenen 35 Jahren ist auch viel gut gelaufen. Mir geht es darum, dass die Ostdeutschen selbstbewusster sind, aber auch, sich nicht immer nur zu beschweren, sondern noch stärker selber Verantwortung im eigenen Umfeld übernehmen. Ich habe versucht, den aktiven Teil der ostdeutschen Gesellschaft zu stärken, indem ich Menschen aus der Wirtschaft, aber auch aus Kunst und Kultur zusammengebracht habe. Die Zivilgesellschaft wird von der neuen Initiative Zukunftswege Ost profitieren, deren Schirmherr ich bin. Sie stellt privates Kapital für bürgerschaftliches Engagement zur Verfügung, vorrangig in ländlichen Regionen Ostdeutschlands. Denn eine aktive Zivilgesellschaft ist ein unentbehrlicher Standortfaktor für die Lebensqualität vor Ort und Garant für demokratische Räume.
W+M: Haben Sie Studien für das Umfeld Wirtschaft in Auftrag gegeben oder befördert? Wenn ja, welche?
Carsten Schneider: Als Staatsminister beim Bundeskanzler arbeiten wir sehr eng mit den zuständigen Ressorts zusammen. Für das Themenfeld Wirtschaft greifen wir auf die breite Arbeit des Bundeswirtschaftsministeriums zurück. Aber wir haben auch selbst Zahlen erhoben. Zum Beispiel mit einer Befragung von ostdeutschen Unternehmenslenkern zum zukünftigen Fachkräftebedarf. Schon 2023 gaben 40 Prozent der Befragten an, der Arbeitskräftemangel könnte existenzbedrohend werden. Zum Glück packen viele ostdeutsche Firmen die Herausforderung des Fachkräftemangels aktiv an, etwa durch mehr Aus- und Weiterbildung. Viele setzen auf Zuwanderung aus anderen Regionen und aus dem Ausland. Die Modernisierung des Einwanderungsgesetzes durch die Bundesregierung hilft ihnen dabei.
W+M: Was haben Sie nicht (mehr) geschafft?
Carsten Schneider: Wir sind bei einigen Punkten noch in der Umsetzung. Zum Beispiel beim Thema Wasserstoff. Wir haben den Aufbau eines Wasserstoff-Kernnetzes beschlossen, mit einer sehr guten Anbindung Ostdeutschlands. Das Vorhaben wird noch einige Zeit dauern. Auch beim Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation in Halle sind wir im Plan. Die Betreibergesellschaft hat ihre Arbeit aufgenommen, derzeit läuft der Architekturwettbewerb für die Gestaltung des Gebäudes. Ein Ziel des Zukunftszentrums ist es, die Beziehungen zu ost- und mitteleuropäischen Ländern auszubauen. Durch die gemeinsamen Umbrucherfahrungen können wir noch viel voneinander lernen und Ostdeutschland kann eine starke Brücke zwischen Ost und West in Europa sein.
W+M: Sie sind ein Verfechter des Ostens. Welche Themen sind Ihnen am wichtigsten?
Carsten Schneider: Mir war immer das Bild des Ostens wichtig. Das äußere Bild aus Sicht des Westens war eher defizitorientiert. Oft wurde das Negative in den Vordergrund gerückt. Das versuche ich zu ändern, ohne alles schönzureden. Ich will zeigen, was alles funktioniert, was besser geworden ist, aber auch, wo noch Herausforderungen liegen. Dabei ist es mir wichtig, die Menschen zu bestärken, selbst Verantwortung für ihr Umfeld zu übernehmen und die Lösung der Probleme nicht von Dritten zu erwarten. Und ich will die unterstützen, die schon Verantwortung tragen. Sie verdienen unseren Respekt.
Außerdem habe ich mich intensiv mit dem Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen beschäftigt. Das Thema hat viel Resonanz erfahren. Als erste Bundesregierung haben wir uns selbst verpflichtet, den Anteil von Ostdeutschen in Führungspositionen in der Bundesverwaltung zu steigern. Zusätzlich ist es mir wichtig, entsprechende Netzwerke zu stärken und Unternehmen dafür zu sensibilisieren. Diverse Teams schaffen bessere Lösungen. Das gilt für Frauen, Menschen mit Migrationsgeschichte, aber eben auch für Ostdeutsche.
In den vergangenen dreieinhalb Jahren war ich sehr oft unterwegs, habe unzählige Menschen getroffen und dabei viel gelernt. Das war eine tolle Erfahrung.
W+M: Viel wird über die Transformationskompetenz der Ostdeutschen gesprochen. Gibt es sie und was heißt das für die künftigen Herausforderungen?
Carsten Schneider: Viele Ostdeutsche haben die Fähigkeit zu improvisieren und aus Nichts etwas zu machen. Auch bei größeren Veränderungen finden sie Lösungen. Das hilft bei den anstehenden Herausforderungen, zum Beispiel beim Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Von der Veränderungskompetenz der Ostdeutschen kann das ganze Land profitieren. Das heißt übrigens nicht, dass sie diese Veränderungen aktiv suchen. Im Gegenteil: Viele wünschen sich, dass die Dinge erst mal so bleiben, wie sie sind. Zugleich wissen die meisten auch, dass nichts so beständig ist wie der Wandel. Deshalb bin ich optimistisch.
W+M: Haben Sie es manchmal mit dem Lob für die Menschen im Osten übertrieben?
Carsten Schneider: Mir geht es nicht um Lob, sondern darum, die eigenen Leistungen zu sehen und sich nicht kleiner zu machen als man ist. Oft wird den Ostdeutschen eine Opferrolle eingeredet. Aber wir sind keine Opfer, sondern selbstbewusste Gestalter unserer Gegenwart und Zukunft.
W+M: Industrieansiedlungen sind wichtig für die Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft. Die Menschen vor Ort wollen aber genau solche Ansiedlungen oftmals nicht. Was läuft da falsch?
Carsten Schneider: Grundsätzlich sind die Ostdeutschen offen für industrielle Ansiedlungen, für Technologie und Fortschritt. Aber das ändert sich ein bisschen. Mittlerweile wird häufiger hinterfragt, was es für einen persönlich bedeutet, wenn neben dem eigenen Wohngebiet eine Industrieansiedlung entstehen soll. In den vergangenen 30 Jahren wurde jeder neu geschaffene Arbeitsplatz gefeiert, jetzt gibt es kritischere Stimmen. Erfolgreich sind diejenigen Unternehmen, die vor Ort die Menschen gut einbinden, die Mitarbeiter fair bezahlen und die klar zeigen, was sie für den Umweltschutz tun.
Zum Beispiel ist der Bau einer Munitionsfabrik in Großenhain am Widerstand vor Ort gescheitert. Jetzt bleibt da eine leere Fläche, es kommen keine tariflich bezahlten Jobs und die Kommune muss auf Steuereinnahmen verzichten. Hingegen war die geplante Ansiedlung von Intel in Magdeburg trotz der aktuellen Verschiebung ein Beispiel für sehr gute und vorausschauende Unternehmenskommunikation. Hier gab es kaum Beschwerden und viel Zustimmung.
Klar ist: Wir brauchen weitere Ansiedlungen. Wir sind, besonders in Ostdeutschland, eine alternde Gesellschaft, die auf Wachstum und Zuzug dringend angewiesen ist.
In den vergangenen 30 Jahren wurde jeder neu geschaffene Arbeitsplatz gefeiert, jetzt gibt es kritischere Stimmen.“
W+M: Muss die Politik alles richten?
Carsten Schneider: Grundsätzlich gilt, Politik allein kann vieles nicht allein bewegen. Sie braucht Menschen vor Ort, die sich engagieren, die Unternehmen gründen und sich für eine positive Veränderung einsetzen. Das geht nur gemeinsam und mit einer offenen Grundhaltung. Gute Kommunalpolitiker können das unterstützen – und da kenne ich viele.
W+M: 86 Prozent der ostdeutschen Unternehmen haben weniger als zehn Mitarbeitende. Ist das eine gute Nachricht?
Carsten Schneider: Es gibt im Osten sehr viele kleine Unternehmen. Das ist eine Stärke. Aber uns fehlen gleichzeitig Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten, die für mehr Wachstum sorgen. Es mangelt an Unternehmen, die weltweit aktiv sind, entsprechend Gewinne machen, deshalb in neue Produkte investieren können und auch viele Leute anziehen. Denn darum geht es, kluge Köpfe machen Regionen lebenswerter. Jena ist da ein gutes Beispiel, als ein internationales Zentrum der optischen Industrie. Solche Hubs haben wir für Mikroelektronik in Dresden, für den Handel in Leipzig und dann natürlich auch in Berlin. Von solchen Zentren brauchen wir mehr. Dafür müssen wir den Osten mit seinen Möglichkeiten noch bekannter machen.
W+M: Unternehmensnachfolge ist im Osten ein existenzielles Thema für den Mittelstand. Wie stehen Sie dazu?
Carsten Schneider: Die Unternehmensnachfolge ist ein entscheidender Punkt für die Entwicklung Ostdeutschlands in den nächsten Jahren. Die Herausforderung ist es, jemanden, der etwa 35–40 Jahre alt ist, dafür zu gewinnen, aus dem sicheren Angestellten- in das spannendere Unternehmerleben zu wechseln. Das geht mit größerer Verantwortung einher und bietet viele Chancen – für die Selbstentwicklung, für die Unternehmen, auch für gesellschaftliches Engagement vor Ort. Ich hoffe, dass dies immer besser gelingt. Die Bundesregierung fördert die Suche nach der Nachfolge zum Beispiel mit Onlinebörsen.
Eine andere Möglichkeit ist es, den Betrieb an ein größeres Unternehmen zu verkaufen. Dann besteht aber die Gefahr, dass die Entscheidungsträger nicht mehr vor Ort sind und die Unternehmen zu Filialen werden. Besser ist es, einen Nachfolger im Unternehmen aufzubauen und ihm die finanziellen Möglichkeiten der Übernahme zu erleichtern. So werden Arbeitsplätze, die Steuerkraft und der Entscheider vor Ort erhalten.
Die Unternehmensnachfolge ist ein entscheidender Punkt für die Entwicklung Ostdeutschlands in den nächsten Jahren.“
W+M: Wie wichtig war es aus Ihrer Sicht, einen Ostbeauftragten im Bundeskanzleramt zu haben?
Carsten Schneider: In dieser Legislaturperiode hat das Amt mit der Anbindung im Bundeskanzleramt ein deutlich stärkeres politisches Gewicht bekommen. Das zeigt das Vertrauen und die Unterstützung des Bundeskanzlers Olaf Scholz für meine Arbeit. So konnte ich die Entscheidungen der Bundesregierung für den Osten positiv beeinflussen.
W+M: Sollte es auch künftig einen Ostbeauftragten der Bundesregierung geben?
Carsten Schneider: Darüber muss die nächste Bundesregierung entscheiden. Die Vorteile eines Beauftragten für Ostdeutschland liegen auf der Hand. Die historisch bedingten, strukturellen Unterschiede zwischen Ost und West bestehen ja fort. Andererseits gibt es auch im Westen strukturschwache Regionen. Der erste Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung, der im Sommer 2024 erschienen ist, zeichnet hier ein differenzierteres Bild. Das explizite Ziel aus dem Grundgesetz, überall im Land gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, ist jedenfalls eine dauerhafte Aufgabe.
W+M: Würden Sie erneut bereit stehen für diese Funktion?
Carsten Schneider: Ich bewerbe mich jetzt erneut um das Bundestagsmandat für meinen Wahlkreis Erfurt/Weimar. Ein solches Regierungsamt ist immer ein Mandat auf Zeit. Alles andere zeigt sich nach der Bildung einer neuen Regierung.
Die Fragen stellte Frank Nehring vom Redaktionsnetzwerk Wirtschaft+Markt.