Das Netzwerk der gemeinnützigen Initiative DenkRaumOst hat es sich zum Ziel gesetzt, den Charme Ostdeutschlands sichtbar zu machen. In Teil drei ihrer Kolumne sprechen Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin, und Dr. Katja Mittrenga, Partnerin Strategie, Transfer & Netzwerk, über Genossenschaften als mögliches Erfolgsmodell für den Osten.

Ira Roschlau, Gründerin und Geschäftsführerin, und Dr. Katja Mittrenga, Partnerin Strategie, Transfer & Netzwerk von DenkRaumOst.
Genossenschaften gelten manchen als altmodisch oder mit einem gewissen Geschmack behaftet – dabei sind sie ein modernes und etabliertes internationales Wirtschaftsmodell unserer Zeit. Wir blicken zurück auf einen besonderen Abend in Magdeburg und laden ein, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam und kooperativ zu denken.
Wir freuen uns immer, wenn wir aufgrund unserer Expertise für besondere Events und Projekte angefragt werden. So auch dieses Mal: Eine Bank fragte uns als gemeinsames Netzwerk an, eine lebendige Diskussion in Magdeburg zu organisieren. Katja, seit Herbst 2024 neue Partnerin-in-Crime bei DenkRaumOst, fühlte sich sofort angesprochen – denn sie möchte Magdeburg und Sachsen-Anhalt sichtbarer machen. Gemeinsam mit Ira aus Berlin legte sie dann los.

Am 23. April fand in Magdeburg die Veranstaltung „Genossenschaften: ein Erfolgsmodell für den Osten?!“ statt. Abbildung: Jana Dünnhaupt, janaduennhaupt.de
Wir haben es geschafft, an einem Mittwochabend im April 2025 in den neu erstrahlenden Räumen der Sparda-Bank Berlin eG mit einer bunten Mischung aus interessierten und engagierten Menschen zum Thema Genossenschaften zu diskutieren: nicht nur über die DDR (und Kuba und Sozialismus und Genossenschaften). Nicht nur über die Gründerväter Raiffeisen und Schulze-Delitzsch als Denkmal, sondern über das Heute und die Zukunft: Was braucht es, damit Wirtschaft wieder gemeinschaftlich(er) wird? Damit Verantwortung nicht nur ein Wort ist, sondern geteilt wird? In Unternehmen, in Schulen, in Dorfgemeinschaften?
„Wir wollen unsere Standorte zu Begegnungsorten machen“, sagte Anja Kranich, Marktleiterin der Sparda-Bank in Magdeburg. Und man merkt: Das ist keine Floskel. Es ging nicht um eine Imageveranstaltung, sondern um einen echten Versuch, Raum zu öffnen – für Gespräche auf Augenhöhe. „Mich hat begeistert zu sehen, mit wie viel Leidenschaft und Engagement Genossenschaft nicht nur Theorie, sondern auch gelebte Praxis ist“, sagte sie im Nachgang. Uns hat bewegt, dass ein für uns nicht so sichtbares Thema so viel Brisanz und Leidenschaft weckt und wir echte „Genossenschaft-Junkies“ dabei hatten, die Lobes- und Liebeshymnen sangen.
Es war, wie eine Teilnehmerin später sagte, „ein komprimierter Bildungskurs in Sachen Genossenschaft“. Es ging um Nachfolge, um Haftung, um Nachwuchs, um Integration. Darum, wie gemeinschaftlich und dennoch gewinnorientiert gewirtschaftet werden kann. Um das Gemeinwohl. Und um das Ehrenamt, das leider an vielen Orten langsam müde wird und manchmal auch andere Formen des Engagements braucht.
Konkrete Beispiele machten das deutlich: In einem Dorf gründet sich eine Genossenschaft, um das letzte verbliebene Haus mit Begegnungsfunktion zu retten. Eine Brauerei wird gemeinschaftlich getragen – mit über 800 Mitgliedern. Nicht alle sind aktiv, aber alle sind beteiligt. Es geht nicht nur um wirtschaftlichen Ertrag, sondern um das soziale Gefüge. Um Verbindung.
Fabian Gebert, Mitgründer von GenoDigitales, einem Netzwerk zur Digitalisierung genossenschaftlicher Unternehmensformen, wies auf die internationale Anschlussfähigkeit des Modells hin – und darauf, dass Begriffe wie „Kooperative“ oder „Company“ in anderen Ländern mehr Leichtigkeit und Zukunftshoffnung erzeugen als das in Deutschland oft historisch beladene Wort „Genossenschaft“.
Prof. Dr. Heike Walk, Politikwissenschaftlerin an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), machte lebendig deutlich, wie sehr genossenschaftliches Denken an Hochschulen und in Bildungszusammenhängen unterrepräsentiert ist. Und welche Chance genau darin liegt: wirtschaftliches Lernen als Frage von Sinn, Verantwortung und gemeinschaftlichem Handeln zu denken.
Johannes Ulrich, Mitgründer von Ostwerk, einem Netzwerk für kooperatives Wirtschaften in Ostdeutschland, brachte es auf den Punkt: „Genossenschaften machen etwas mit Menschen, wenn sie wissen, was es ist. Das motiviert mich.“ Besonders beeindruckt hat ihn die Mischung aus genossenschaftlich Interessierten und engagierten Praxisbeispielen aus der Region. Gleichzeitig wurde deutlich: Das kooperative, partizipative und demokratische Wirtschaften hinter der Rechtsform kommt an einigen Stellen noch an seine Grenzen und ist oft durch die Leidenschaft weniger getragen. Doch durch gesetzliche Modernisierungen und internationale Vorbilder wird sichtbar, wie viel Potenzial in diesem Modell steckt – auch jenseits des Ehrenamts.
Und natürlich kam er zur Sprache, dieser „Ostkontext“. Nicht zu platt, nicht überhistorisiert, ein bisschen emotional und trotzig, aber auch vielstimmig und pragmatisch motiviert. Genossenschaften tragen bei uns eine doppelte Geschichte: als reale Wirtschaftsform und als Erinnerungsort. Die Frage ist nicht nur, was Genossenschaft heute heißt, sondern auch, wie wir darüber sprechen – und welche Werte und Hoffnungen sich dahinter verbergen.
Gerade in Ostdeutschland, wo in den kommenden Jahren Tausende kleine und mittlere Unternehmen zur Übergabe anstehen, bietet das Modell der Genossenschaft eine konkrete, oft unterschätzte Möglichkeit der Nachfolgegestaltung. Gleichzeitig wird es kaum in klassischen Gründungsberatungen aufgegriffen – auch das wurde an diesem Abend deutlich. Dabei eignet sich das Modell gerade für gemeinschaftliche Start-ups, die Verantwortung teilen und langfristig verankert wirtschaften wollen.
Genossenschaften sind hochdemokratische Räume, in denen Entscheidungen nicht einfach durch Kapitalmacht verkürzt werden können. Sie fordern Aushandlung – und eröffnen damit Räume für echte Teilhabe.
Die Potenziale der Genossenschaft sind so überraschend vielfältig – sie passt inhaltlich und formell so sehr zu unserer Initiative, dass wir gerade prüfen, unsere Initiative in eine Genossenschaft umzuwandeln. Genossenschaft ist nicht einfach eine Rechtsform. Es ist eine Haltung. Und genau das macht sie zukunftsfähig.
Der nächste Live-Termin von DenkRaumOst
5. Juni 2025: Hans-Otto-Theater in Potsdam: „Die Schwierigkeit mit der Freiheit“ |