Eine Kurzstudie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zeigt, dass angesichts des AfD-Aufstiegs viele Menschen über Auswanderung aus Deutschland oder Wegzug aus ihrem Bundesland nachdenken. Die Folgen für Wirtschaft, Demokratie und Zusammenhalt wären vor allem in Ostdeutschland verheerend, warnen beteiligte Forscher.
Die Alternative für Deutschland (AfD) ist bei den Landtagswahlen 2024 in Thüringen stärkste Kraft geworden, in Sachsen lag sie nur knapp hinter dem Sieger CDU. Auch in Brandenburg belegte sie Platz zwei. Ergebnisse, die sich ankündigten: In den vergangenen Jahren haben die Rechtspopulisten bei Wahlen auf allen Ebenen dazugewonnen, zuletzt bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unter dem Titel „Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne: Die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs der AfD“ hat das DeZIM-Institut eine Kurzstudie veröffentlicht, in der Fragen rund um die gesellschaftlichen Folgen empirisch nachgegangen wird. Dazu hat das Forschungsteam um Prof. Dr. Sabrina Zajak (DeZIM-Institut) mit Prof. Dr. Gert Pickel (Universität Leipzig), Prof. Dr. Matthias Quent (Hochschule Magdeburg-Stendal) und Prof. Dr. Andreas Zick (Universität Bielefeld) zusammengearbeitet. Die deutschlandweite Befragung wurde im März 2024 mit rund 3.000 Personen aus dem fortlaufenden DeZIM-Panel durchgeführt.
Auswanderungspläne – hypothetisch und konkret
Erhebliche Teile der Bevölkerung denken angesichts des AfD-Aufstiegs über Auswanderung nach oder haben sogar bereits derartige Pläne, so ein Ergebnis der Studie. Fast jede vierte befragte Person mit Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund trifft das immerhin noch auf mehr als jeden Zehnten zu (11,7 Prozent). Der Anteil derer, die bereits konkrete Pläne gemacht haben, beträgt bei Befragten mit Migrationshintergrund 9,3 Prozent – also fast ein Zehntel. Bei Befragten ohne Migrationshintergrund trifft dies nur auf wenige zu (1,9 Prozent).
Wegzug in ein anderes Bundesland
Die Werte sind höher, wenn nach Überlegungen und Plänen für den Wegzug in ein anderes Bundesland gefragt wird – im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD im eigenen Wohnbundesland: Mehr als ein Drittel (33,8 Prozent) der Befragten mit Migrationshintergrund spielt mit dem Gedanken, das Bundesland zu wechseln. Konkrete Pläne haben 12,5 Prozent von ihnen, wobei dies für Menschen mit Herkunft aus dem arabischen Raum (24,1 Prozent) und aus europäischen Nicht-EU-Staaten (15,3 Prozent) besonders häufig zutrifft. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund denkt fast jeder Siebte (14,2 Prozent) über einen Wegzug nach, ein geringer Teil (3,4 Prozent) hat dazu konkrete Pläne.
60 Prozent haben Angst
Die meisten Befragten (84,9 Prozent) lehnen die AfD-Pläne zur „Remigration“ ab. Sogar knapp drei von zehn AfD-Anhängern (28,9 Prozent) stehen diesen Plänen kritisch gegenüber. Die Ergebnisse zeigen, dass die Debatte um „Remigration“ bei knapp 60 Prozent aller Befragten – unabhängig von der Herkunftsregion – Angst auslöst.
Demokratiefeindlich, rassistisch, extremistisch
Eine klare Mehrheit der Befragten stuft die AfD als demokratiefeindlich (72,4 Prozent), rassistisch (80,0 Prozent) und extremistisch (76,9 Prozent) ein. Rund 71 Prozent der Befragten sehen sie nicht als eine Partei „wie jede andere“ (70,8 Prozent). Diese Einschätzungen sind weitgehend unabhängig von Faktoren wie Herkunft oder politischer Einstellung. Einzig AfD-Anhänger bewerten dies anders.
Kaum verkraftbarer Verlust
„Wenn fast jeder Fünfte bei einem Sieg der AfD darüber nachdenkt, sein Bundesland zu verlassen, bedeutet dies gerade für Ostdeutschland einen kaum verkraftbaren Verlust an Wissen, Know-how und Wirtschaftskapazität. Zudem dürfte eine Gewinnung von Fachkräften bei einem solchen Image faktisch unmöglich werden“, so die Einschätzung von Prof. Dr. Gert Pickel, Professor für Kirchen- und Religionssoziologie an der Universität Leipzig.
Forderung nach klarer Abgrenzung
Prof. Dr. Sabrina Zajak, Leiterin der DeZIM-Abteilung Konsens und Konflikt: „Die Studie zeigt, dass die AfD keine breite ideologische Unterstützung hat. Extreme Positionen, etwa zur ‚Remigration‘, stoßen auf deutliche Ablehnung. Die bürgerlichen Parteien sollten sich also klar von der AfD abgrenzen. Um gravierende Folgen für Demokratie, Zusammenhalt, aber auch die Wirtschaft abzuwenden, sollten sie Lösungen bieten und jene ernst nehmen, die den Aufstieg der Partei mit Sorge sehen.“ Prof. Dr. Matthias Quent, Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal, betont mögliche schädliche Auswirkungen: „Die Daten belegen, dass rechtsextreme Vertreibungsnarrative schädliche Auswirkungen für viele Menschen in Deutschland haben und den öffentlichen Frieden beschädigen. Wenn über die AfD und deren Wahlergebnisse diskutiert wird, sollten diese Implikationen aus dem Parteiprogramm stets problematisiert werden. Der demokratische Verfassungsstaat ist verpflichtet, die Menschenwürde aller vor rassistischen Aggressionen zu schützen.“