Nun also auch weißer Rauch bei der SPD. Damit steht das Bundeskabinett – sofern Friedrich Merz morgen zum Bundeskanzler gewählt wird. Sind auch Ostdeutsche in der künftigen Bundesregierung vertreten und wenn ja, wie viele?

Die neue Ostbeauftragte Elisabeth Kaiser (SPD). Abbildung: Deutscher Bundestag/Achim Melde
Im Koalitionsvertrag, in dem Ostdeutschland nur unter ferner liefen begegnet, heißt es euphemistisch: „Wir wollen die Repräsentation Ostdeutscher in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen weiter verbessern. Das Bundeskonzept zur Steigerung des Anteils an Ostdeutschen in Führungspositionen der Bundesverwaltung schreiben wir fort und setzen es konsequent um.“
Nachdem Ostdeutsche in den Sondierungsgesprächen unterrepräsentiert waren und deren Anzahl im neuen Bundestagspräsidium von drei auf null geschrumpft ist, ruhte nun die Hoffnung in diesem Zusammenhang auf der Besetzung der Minister- und Staatssekretärsposten.
Zwei Bundesminister aus dem Osten
Bei 17 Ministerämtern und einem Kanzler müssten 3,6 Stellen in der Bundesregierung an Ostdeutsche gehen, um deren Bevölkerungsanteil von 20 Prozent zu entsprechen. Es sind aber nur zwei in Ostdeutschland geboren:
Der Thüringer Carsten Schneider (*1976, Erfurt) wird Umweltminister. Er ist der dienstälteste SPD-Bundestagsabgeordnete (seit 1998) und war zuletzt der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Diese Aufgabe hat er sehr respektabel gestaltet, auch wenn CDU/CSU, AfD und BSW da eine andere (Wahlkampf)-Meinung hatten. Mit Carsten Schneider hat der Osten Deutschlands in jedem Fall eine starke Stimme in der Bundesregierung.
Die in Brandenburg geborene Katherina Reiche (*1973 Luckenwalde, CDU) soll Bundeswirtschaftsministerin werden. Das Wirtschaftsressort verliert an Einfluss. Ihr Vorgänger war Vizekanzler. Das Ministerium gibt die Bereiche Klimaschutz, Digitalpolitik und Raumfahrt sowie weitgehend seine Europa-Zuständigkeit ab. Dennoch liegt die Messlatte hoch: Krise seit 2020, kein Wirtschaftswachstum seit 2023. Ob Reiche die richtigen Anreize für eine Wirtschaftswende setzen kann und ob die Vorsitzende von Westenergie darüber hinaus auch Vorreiterin für Ostbelange sein kann? Wir drücken die Daumen. Mindestens einen guten Berater hat sie: Ihr aktueller Lebensgefährte Karl-Theodor zu Guttenberg war auch schon Bundeswirtschaftsminister. In einem gemeinsamen Podcast mit Gregor Gysi lässt er sich geraumer Zeit den Osten erklären.
Zwei Ministerposten – mehr sind es leider nicht geworden. Vielleicht hat man sich an der Bundesliga orientiert: 18 Teams, zwei aus dem Osten. Eines aus der DDR-Oberliga und ein – sagen wir – angeheiratetes.
Eine ostdeutsche Sozialisation hat im Übrigen auch die neue Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan. Ihre Eltern stammen aus dem Irak. Geboren wurde sie 1990 in Moskau. Die Familie zog 1996 nach Mecklenburg-Vorpommern, wo Reem Alabali-Radovan bis zu ihrem Abitur 2008 wohnte. Im Anschluss lebte, studierte und arbeitete sie bis 2015 in Berlin (Politik-Bachelor an der Freien Universität). Von 2015 bis 2021 wirkte sie dann politisch in MV und seitdem wieder in Berlin, zuletzt als Staatsministerin für Migration und Beauftragte für Antirassismus im Kabinett Scholz.
Wer als Ostdeutscher gilt, dazu gibt es viele Meinungen. In der Wissenschaft wird unter anderem zwischen „geo-ostdeutsch“ nach Wohnort, „bio-ostdeutsch“ nach Geburtsort, „sozio-ostdeutsch“ nach Sozialisationshintergrund und „emo-ostdeutsch“ nach emotionaler Zugehörigkeit unterschieden. Aber sind dann am Ende auch die seit Langem in Potsdam lebenden Olaf Scholz und Annalena Baerbock Ostdeutsche? Plausibel erscheint, was Mario Czaja uns dazu im Interview gesagt hat: „Es bestehen verschiedene Möglichkeiten, den Begriff „ostdeutsch” zu definieren. [...] In meiner Buchpublikation orientiere ich mich an einer Kategorisierung, die sich am Geburtsort orientiert. Da Führungspositionen in der Regel in der Mitte der beruflichen Laufbahn erreicht werden, möchte ich vorsichtig die These aufstellen, dass eine Unterscheidung nach ost- und westdeutscher Herkunft, basierend auf dem Geburtsort, angemessen sein könnte. Darüber hinaus wird der Geburtsort zusammen mit dem Wohnort in der Personalstatistik erfasst, was diese Vorgehensweise auch praktikabel macht.“
Ostdeutsche in der zweiten Reihe
In der zweiten Reihe finden sich dann mehr Ostdeutsche. Gemessen an der Gesamtzahl setzt sich die Unterrepräsentanz hier aber offenbar fort. Es gibt 38 Staatssekretäre und Staatsminister, fünf sind aus dem Osten. Es bietet sich hier wieder ein Vergleich mit dem Fußball an: In der zweiten Bundesliga gibt es einen Ostklub und 17 aus dem Westen, in der dritten Liga spielen vier Ost- und 16 Westklubs.
Als zehnte Ostbeauftragte und zugleich Staatsministerin ist die Thüringerin Elisabeth Kaiser (*1987 in Gera, SPD) vorgesehen. Der Posten wandert vom Kanzleramt ins Finanzministerium, was formal ein Downgrade ist. Als Erfolg dürfte aber bereits gewertet werden, dass es ihn überhaupt noch gibt. Danach sah es im Wahlkampf nicht aus: Wer braucht schon einen „Reiseonkel“? Elisabeth Kaiser hat einen Master in Politik- und Verwaltungswissenschaften und war zuletzt Parlamentarische Staatssekretärin im Bauministerium.
Die in Weißenfels geborene Dr. Christiane Schenderlein (*1981, CDU) wird Staatsministerin für Ehrenamt und Sport. Die Kommunikationsberaterin war unter anderem Kirchvorsteherin und ist Mitglied im Freundeskreis der Bundeswehr Leipzig sowie im Verband der Reservisten.
Der Jurist Philipp Amthor (*1992 Ueckermünde) soll Parlamentarischer Staatssekretär unter dem parteilosen Mediamarkt-Chef Karsten Wildberger werden, dem künftigen Minister für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Generalsekretär hat eine Lobbyaffäre von 2019/20 überstanden, ist Jäger und seit 2019 katholisch.
Der Jurist Tino Sorge (*1975 Ilmenau, CDU) wird Parlamentarischer Staatssekretär im Gesundheitsministerium. 2020 schwänzte er Gesundheitsdebatten für einen Jagdschein. Gilt seitdem als treffsicher. 😉
Der Jurist Christian Hirte (*1976 Bad Salzungen, CDU) ist als Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium vorgesehen. Er war 2018 bis 2020 Ostbeauftragter der Bundesregierung. Er bat auf „Anregung der Bundeskanzlerin“ um seine Entlassung, nachdem er Thomas Kemmerich (FDP) gratulierte, als sich dieser mit Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen ließ.
Ostquote nur ein Symbol
Welche Bedeutung die Repräsentation im Osten Deutschlands hat, ist mittlerweile bekannt. Wo sich viele als Bürger zweiter Klasse fühlen und wo sich nur für wenige die Türen zur Elite des Landes öffnen, da ist eine Gleichbehandlung bei der Vergabe politischer Ämter besonders wichtig. Sie ist Symbol und Signal: Ihr werdet gesehen, ihr werdet beteiligt, nicht benachteiligt.
Was dabei nie vergessen werden darf: Im Grunde geht es überhaupt nicht um eine Ostquote. Denn sie dient in erster Linie nur dem äußeren Anschein. In Ostdeutschland gibt es besondere Herausforderungen und diese bedürfen einer besonderen Zuwendung. Um sich diese zu erkämpfen, braucht es einflussreiche Akteure, die sich so sehr für die neuen Bundesländer zerreißen, wie es die CSU-Minister für Bayern tun werden. Wo diese Akteure geboren wurden, ist tatsächlich zweitrangig.