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Die Wende und die Literatur #2: Das Legitimationsproblem

Wäh­rend ost­deut­sche Schrift­stel­le­rin­nen inter­na­tio­nal gefei­ert wer­den, gibt es in Deutsch­land wei­ter­hin Wider­stand gegen ihre Dar­stel­lung der DDR. Im zwei­ten Teil sei­ner Kolum­ne setzt sich Dr. Tobi­as Leh­mann bei­spiel­haft mit dem Fall Jen­ny Erpen­beck auseinander.

Dr. Tobi­as Leh­mann hat an der Uni­ver­si­ty of Ore­gon zum The­ma Wen­de­li­te­ra­tur pro­mo­viert. Gebo­ren 1981 in Eisen­hüt­ten­stadt war er lan­ge Zeit in Süd­ko­rea und anschlie­ßend in den USA tätig.

Als am 9. Novem­ber 1989 die Ber­li­ner Mau­er fiel, war das der Anfang vom Ende der ost­deut­schen Kunst und Lite­ra­tur. Alles, was unse­re Kul­tur­ge­schich­te geprägt hat­te, wur­de weg­ge­dacht, weg­ge­re­det und weg­ge­schrie­ben. Die West­deut­schen über­nah­men die Deu­tungs­ho­heit über die Erzäh­lung, und ihr Urteil war ein­deu­tig: Die DDR war in jeder Hin­sicht nichts (mehr) wert. Das bedeu­te­te, dass Bücher, Thea­ter­stü­cke, Gemäl­de, Skulp­tu­ren, Fil­me und Musik begra­ben und zurück­ge­las­sen wur­den, weil sie genau­so wie der unter­ge­gan­ge­ne Staat als nicht mehr legi­tim gal­ten. Die­se Kopp­lung von staat­li­cher Legi­ti­ma­ti­on und Kul­tur ist ratio­nal nicht begründ­bar und führ­te zum Aus­schluss der ost­deut­schen Kul­tur­sze­ne aus dem „gesamt­deut­schen“ Kulturbetrieb.

In den letz­ten Jah­ren hat sich der Dis­kurs ver­scho­ben. Nach Jahr­zehn­ten, in denen die deut­sche Öffent­lich­keit die har­ten, aber wich­ti­gen Nar­ra­ti­ve über Unrecht, Unter­drü­ckung, Pro­pa­gan­da und Über­wa­chung in der DDR ver­ar­bei­tet hat­te, gab es end­lich Raum, das ver­lo­re­ne kul­tu­rel­le Erbe der DDR wie­der­zu­be­le­ben. Mitt­ler­wei­le haben vie­le Schrift­stel­ler dem ver­schwun­de­nen Land und sei­nen Bür­gern Lite­ra­tur gewid­met. Vie­le spre­chen von der soge­nann­ten Wen­de­li­te­ra­tur. Es sieht so aus, als ob es ein Come­back für ost­deut­sche Schrift­stel­ler gibt, ins­be­son­de­re für Autorin­nen, deren Bio­gra­fien, Stim­men und Bücher plötz­lich Gren­zen über­schrei­ten und Leser in aller Welt in ihren Bann zie­hen. Im letz­ten Jahr erhielt die 1967 in Ost­ber­lin gebo­re­ne Jen­ny Erpen­beck den Inter­na­tio­na­len Boo­ker-Preis für ihren Roman „Kai­ros“. Erpen­beck wur­de über­all hoch gelobt und als poten­zi­el­le Nobel­preis­trä­ge­rin gehan­delt – außer in Deutschland.

Hier wird Erpen­beck vor­ge­wor­fen, die DDR-Geschich­te zu beschö­ni­gen. His­to­ri­ker behaup­ten, die inter­na­tio­na­le Pres­se – vor allem die eng­lisch­spra­chi­ge – roman­ti­sie­re den sozia­lis­ti­schen Staat und ver­harm­lo­se sei­ne Grau­sam­kei­ten. Es ist ein neu­er Kul­tur­kampf ent­stan­den, der das Poten­zi­al hat, die Leser in Ost und West zu spal­ten. Der DDR-His­to­ri­ker Ilko-Sascha Kowal­c­zuk wies in der Taz dar­auf hin, dass Erpen­beck „in einer kom­mu­nis­ti­schen Par­al­lel­welt mit allen mög­li­chen Pri­vi­le­gi­en“ auf­ge­wach­sen sei. Sie leb­te mit ihrer Mut­ter vor dem Mau­er­fall etwa ein Jahr lang in Ita­li­en. Aus die­ser Per­spek­ti­ve erschien ihr das „DDR-Gefäng­nis wohl­füh­li­ger, annehm­ba­rer“ als der Mehr­heit der DDR-Bür­ger. Kowal­c­zuk wirft ihr vor, in „Kai­ros“ den Osten als „Sehn­suchts- und Hoff­nungs­ort“ zu verklären.

Als „Kai­ros“ im Jahr 2021 erschien, sprach in Deutsch­land kaum jemand über den Roman, bis er aus­ge­zeich­net wor­den ist. Die Hand­lung spielt in Ost­ber­lin, in den spä­ten 1980er-Jah­ren und in den ers­ten Jah­ren nach der Ver­ei­ni­gung. Erpen­beck erzählt die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Hans, einem ver­hei­ra­te­ten Schrift­stel­ler Anfang 50, und der 19-jäh­ri­gen Katha­ri­na. Die Autorin glaubt, dass es kaum ein Buch gibt, das eine schlim­me­re Geschich­te über die DDR erzählt: „Auto­kra­tie und Mani­pu­la­ti­on gehen Katha­ri­na buch­stäb­lich ins Fleisch“, erzähl­te sie mir bei einem Tref­fen. Hans war bei der Sta­si. „Wo ist da die Ver­herr­li­chung?“, frag­te sie zurecht.

Was in der aktu­el­len Debat­te ver­ges­sen wird: Katha­ri­na und Hans sind fik­ti­ve Figu­ren und Erpen­beck ist kei­ne His­to­ri­ke­rin, son­dern Schrift­stel­le­rin. Ihr geht es vor allem dar­um, Emo­tio­nen, sub­jek­ti­ve Erfah­run­gen und Erin­ne­run­gen frei­zu­le­gen. Vie­le Kri­ti­ker stö­ren sich an der Art und Wei­se, wie Erpen­beck West­deutsch­land beschreibt. Katha­ri­na sieht es nicht als einen Ort der Frei­heit, zu dem sie sich sehnt, dazu­zu­ge­hö­ren. Wie Erpen­beck zuge­ge­ben hat, war es für sie auch so. Hät­te sie über die gro­ße Dank­bar­keit eines ost­deut­schen Mäd­chens schrei­ben sol­len, das end­lich den leuch­ten­den Wes­ten besu­chen darf? Schon Tho­mas Brussig und Ingo Schul­ze haben in ihren Roma­nen erzählt, wie ver­blen­det vie­le Ost­deut­sche gera­de in der unmit­tel­ba­ren Nach­wen­de­zeit waren und wie sie geblen­det wor­den sind.

Erpen­beck ist nicht die ein­zi­ge Schrift­stel­le­rin, der eine nai­ve und beschö­ni­gen­de Sicht auf die DDR vor­ge­wor­fen wird. Der Autorin Kat­ja Hoyer, deren his­to­ri­sches Buch „Dies­seits der Mau­er“ ein inter­na­tio­na­ler Best­sel­ler war, wur­de in Deutsch­land his­to­ri­sche Unkennt­nis vor­ge­wor­fen. Ihre Dar­stel­lung der DDR-Geschich­te wur­de nicht nur als ent­täu­schend, son­dern auch als ech­tes Ärger­nis bezeich­net. Für man­che war es auch ein Schock, dass eine glü­hen­de Sozia­lis­tin wie Bri­git­te Rei­mann und ihr Roman „Die Geschwis­ter“ im New Yor­ker eupho­risch bespro­chen wurden.

Es gibt ein spe­zi­el­les deut­sches Wort, Deu­tungs­ho­heit, das bedeu­tet: Inter­pre­ta­ti­ons­sou­ve­rä­ni­tät. Wenn es um his­to­ri­sche Ereig­nis­se inner­halb des Lan­des geht, wird es so häu­fig ver­wen­det wie unse­re gelieb­te Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung. 35 Jah­re nach der deut­schen Ver­ei­ni­gung strei­ten wir dar­über, was his­to­ri­sche Wahr­heit ist und wer die Mei­nungs­ho­heit über Ost­deutsch­land hat. Die­se Dis­kus­si­on hat einen Punkt erreicht, an dem eini­ge Medi­en die Lite­ra­tur zu einem ideo­lo­gi­schen Sprach­rohr gemacht haben. Wie stün­de es um die deut­sche Kul­tur im Aus­land, wenn Autorin­nen wie Erpen­beck oder Hoyer plötz­lich den Ton angä­ben? Wenn ost­deut­sche Frau­en das inter­na­tio­na­le Bild der DDR bestimm­ten? Die Ant­wort lau­tet: Das wird (darf) nicht passieren.

Als ich in der DDR auf­wuchs, waren die Erwach­se­nen vom Sozia­lis­mus geprägt. Nach dem Fall der Mau­er gal­ten sie als Ver­lie­rer, wenn sie arbeits­los gewor­den sind und die Ori­en­tie­rung ver­lo­ren hat­ten. Daher tru­gen sie ein Gefühl der Scham und des Ver­lusts mit sich, denn sie haben mit der DDR auch ein Stück Hei­mat ver­lo­ren. Bei eini­gen hat sich die­se Scham in Wut ver­wan­delt, beglei­tet von einem Drang, gegen den Sta­tus quo zu rebel­lie­ren. Lei­der ist das Mit­tel ihres Pro­tests die popu­lis­ti­sche und rechts­extre­me AfD (Alter­na­ti­ve für Deutsch­land). In Thü­rin­gen ist sie bereits die stärks­te Kraft gewor­den. Dabei ist die AfD kein ost­deut­sches Pro­blem, wie oft dar­ge­stellt wird. Die Grün­der und Anfüh­rer der Par­tei sind zu einem gro­ßen Teil West­deut­sche. Viel­leicht liegt genau hier die unbe­que­me Wahr­heit: Es gibt kei­ne „dei­ne Geschich­te, mei­ne Geschich­te“ mehr. Es ist unse­re Geschich­te, die aus vie­len ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven besteht. Wenn „wir“ die ost­deut­sche Geschich­te nicht als gleich­be­rech­tig­ten Teil „unse­rer“ Kul­tur aner­ken­nen, wenn Erfah­run­gen und Erin­ne­run­gen wei­ter­hin abge­tan, igno­riert und weg­ge­spült wer­den, wird es nie ein ver­ein­tes Deutsch­land geben. Das ist etwas, das Bri­git­te Rei­mann in den 1960er-Jah­ren vor­aus­ge­sagt hat. Aber wer hört schon auf eine Frau, die auf der fal­schen Sei­te der Glei­se gebo­ren wurde?

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