Dr. Ute Bergner, Gründerin und Gesellschafterin der VACOM Vakuum Komponenten & Messtechnik GmbH, ist eine wichtige Impulsgeberin für Ostdeutschland. Sie setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist sie auch im zweiten Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.

Dr. Ute Bergner, Gründerin und Gesellschafterin VACOM Vakuum Komponenten & Messtechnik GmbH. Abbildung: Arlene Knipper
Der von Heinrich Heines „Nachtgedanken“ inspirierte Titel hat bei mir sofort die Frage aufkommen lassen, warum ich nicht – wie Heine – an das ganze Deutschland denken sollte. In Ostdeutschland, genauer gesagt Thüringen, wurde ich geboren, bin ich aufgewachsen, habe ich meine Firma und – gemeinsam mit meinem Mann − unsere Familie gegründet. Es ist die Region, die mich und meine Sicht auf die Welt geprägt hat, die mir besonders am Herzen liegt und in der ich bis heute gern lebe.
Geprägt haben mich gleichermaßen meine soziale Herkunft und die Geschichte meiner geteilten Familie im als Folge des Krieges in Besatzungszonen geteilten Deutschland.
Ich bin das Kind eines Flüchtlingskindes. Meine Mutter stammte aus Ostpreußen, mit zwölf Jahren musste sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern ihre Heimat verlassen. In Polen wurde sie festgehalten und gehörte zusammen mit ihrer Mutter bis 1949 zu den Arbeitskräften, die dort und im ehemaligen Königsberger Gebiet Wiedergutmachung leisten mussten.
Mein Vater war der Sohn eines mittelständischen Bauunternehmers, dem nach dem Krieg die Enteignung drohte. Da er in der Nazizeit trotz Repressalien auch Kommunisten beschäftigt hatte, durfte er seinen Betrieb in geringem Umfang weiterführen. Das Ende der DDR bot mir, die ich aus einer Unternehmerfamilie stammte und schon als Kind die Vor- und Nachteile der Eigenverantwortung erlebt hatte, die Möglichkeit, selbst ein Unternehmen zu gründen – mit allen Chancen und Risiken.
Ich möchte meine Erfahrungen aus dem internationalen Geschäft nutzen, um Brücken zu bauen.”
1990 − Gewinne und Verluste
Als größten und für mich wichtigsten Gewinn der Wiedervereinigung habe ich die Reisefreiheit empfunden. Dass mit ihr auch Verluste einhergingen, wurde mir bald ebenfalls bewusst. Das betraf zum Beispiel – obwohl auch in der DDR keineswegs perfekt – die Gleichberechtigung der Frau. Als ich mich 1990 bei einem Liechtensteiner Unternehmen bewarb, musste mein Mann für die Annahme der Stelle sein Okay geben.
Auch das Engagement für die Entwicklung und Bildung der Jugend hatte ich anders erlebt. Bildung war − im Rahmen der Staatsräson − nie eine soziale oder finanzielle Frage. Ich erinnere mich bis heute, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gern an meine Schulzeit, die mir die Welt des Wissens erschloss. Ein unvergessliches Erlebnis ist für mich bis heute ein Ferienaufenthalt in der Pionierrepublik am Werbellinsee. Der Kontakt zu Jugendlichen aus anderen Ländern bestärkte schon damals meine Sehnsucht, die Welt zu entdecken. Einige Freundschaften aus dieser Zeit haben bis heute Bestand.
Zu den weniger positiven Entwicklungen nach der Wiedervereinigung gehört aus meiner Sicht zum Beispiel der sozial differenzierte und profitorientierte Umbau des Gesundheitswesens, dem manche bewährte Errungenschaften wie die Polikliniken weichen mussten.

Dr. Ute Bergner (MdL) spricht im Thüringer Landtag. Abbildung: privat
Mein Weg in die Marktwirtschaft
In der Wendezeit habe ich mich politisch engagiert. Ich war die erste Kreisvorsitzende der FDP in Jena, in der die LDPD aufging, deren Mitglied ich auf Anraten meines Vaters seit meinem 18. Lebensjahr war. Schon bald nahm ich wahr, dass in der Politik vielfach Machtkämpfe die Sachfragen dominieren. In der Nachwendezeit gab es unter anderem viele Kontakte zu Parteifreunden der Jenaer Partnerstadt Erlangen. Die Äußerung eines Parteifreundes, dass die erste Garnitur in die Wirtschaft gehe und die zweite eine Parteikarriere wähle, schien meine Beobachtungen zu bestätigen – und zweitklassig wollte ich nicht gleich sein.
Mit großen Erwartungen nahm ich meine Arbeit in einem renommierten westlichen Unternehmen auf. Ich war sehr verwundert, dass man in vieler Hinsicht eine ähnliche Mentalität an den Tag legte, wie ich sie in sozialistischen Großbetrieben erlebt hatte. Ich wollte etwas bewegen und den Kunden nicht erklären, was alles nicht geht.
Als mich ein leitender Mitarbeiter des Unternehmens fragte, ob ich gemeinsam mit ihm ein eigenes Unternehmen gründen möchte, erschien mir das als die Chance, meine Arbeit nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Da mein Partner aus Liechtenstein kam, wurde problemlos ein Kredit zugesagt. Daraus folgte dann jedoch die klare Haftungsansage an mich, die – ohne jedes Eigenkapital – als Einzige vor Ort greifbar war. So wurde Angst für mich zu einer entscheidenden Triebkraft.
Die bürokratischen Anforderungen der Firmengründung wie die um ein Haar abgelehnte Eintragung ins Handelsregister dank der unqualifizierten Arbeit eines „Aufbauhelfers“ haben viel Kraft gekostet.
Was hat meine Arbeit gekennzeichnet? Meine Neugier, ich wollte den Dingen auf den Grund gehen. Von Anfang an war es mir wichtig, Mitarbeitern, Kunden und Geschäftspartnern auf Augenhöhe zu begegnen. Die internationale Ausrichtung korrespondierte mit meinem unbefriedigten Fernweh aus der Jugend. Nun nutzte ich die Möglichkeit, als Lernende in die Welt zu gehen. Ich habe im Ausland auch erfahren, dass Ostdeutschen durchaus Respekt gezollt wurde, da diese nicht so hochnäsig auftreten würden und auch unter schwierigen Bedingungen wirklich etwas geleistet hätten.
Meine internationalen Erfahrungen haben mir außerdem gezeigt, dass die DDR-Standards vielfach nicht so schlecht waren, wie wir dachten oder wie man uns glauben machen wollte. Ich erinnere mich daran, wie Anfang der 1990er-Jahre im Jenaer Zeiss-Werk alle Ausrüstungen und Möbel unabhängig von ihrem Zustand entsorgt worden sind und ich für 1 DM je Stück einen Teil für meine Firma gerettet habe. Was ich stattdessen zum Beispiel in England als Firmenausstattung zu sehen bekam, konnte sich damit keinesfalls messen.

VACOM Campus in Großlöbichau, Saale-Holzland-Kreis, Thüringen. Abbildung: VACOM
Innovation führt zum Erfolg
Als Frau war ich unter westlichen Geschäftsleuten meist die Ausnahme. Ich habe viel Respekt und Anerkennung erfahren und auch kollegiale Hilfestellung durch die Empfehlung von deutschen und ausländischen Unternehmern erhalten, während zum Beispiel an deutschen Forschungsinstituten Wetten abgeschlossen wurden, dass ich es nicht schaffen werde, sieben Jahre zu überleben.
Mit nicht nachlassendem Einsatz, pragmatischen Lösungen, innovativen Ideen und indem ich mich bei Rückschlägen nicht entmutigen ließ, habe ich es mit meiner Firma VACOM geschafft, mich nicht nur am Markt zu behaupten, sondern mich auch als gefragten Entwicklungspartner für Hightech-Unternehmen zu etablieren und stetig zu wachsen.
In über drei Jahrzehnten ist es gelungen, Produkte und Technologien zu entwickeln, die Weltspitze sind. Das betrifft unter anderem eine hoch qualifizierte Reinigungstechnologie und Messtechnik, die – um es bildhaft zu machen – in der Lage ist, Verunreinigungen zu detektieren, die drei Tropfen Öl auf einem Fußballfeld entsprechen. Ein absolutes Alleinstellungsmerkmal.

Jens Bergner und Dr. Ute Bergner – Straßenschild auf dem VACOM Campus. Abbildung: VACOM
Soziale Verantwortung und die Wertschätzung des Teams prägen meine Unternehmensphilosophie. Die qualifizierte Ausbildung junger Menschen, die Förderung von Schülern und Studenten, auch im Rahmen von „Jugend forscht“, gehören zum Markenkern. VACOM führt einen betriebseigenen Kindergarten mit dem pädagogischen Konzept Natur und Technik. Es gibt eine Fußballmannschaft, eine VACOM-Band und viele andere Initiativen.
2017 hat VACOM begonnen, die erste Smart Factory in Deutschland aufzubauen. Der ressourcenschonende Einsatz von Energie und Wertstoffen wird von Anfang an praktiziert. Umso unverständlicher ist es, dass für den mittels Photovoltaikanlagen selbst erzeugten und verwendeten Strom Zähler zwischengeschaltet werden müssen, um die EEG-Abgabe zu erheben.

Gespräche zum Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen zwischen Saudi-Arabien und Thüringen mit Prinz Dr. Hasan Ali Al Shareef. Abbildung: VACOM
Gern habe ich meine Erfahrungen und mein Wissen in zahlreichen Gremien weitergegeben, etwa als Wirtschaftsberaterin von Angela Merkel im Innovationsdialog zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft. Längerfristig habe ich die Übergabe des Familienunternehmens an meinen Sohn vorbereitet. Heute hat VACOM über 400 Mitarbeiter und verfügt über sechs Standorte in Deutschland, Belgien und den USA.
Pragmatismus in die Politik bringen
Als ich mich 2019 auf Bitten meiner Parteifreunde entschlossen habe, als Thüringer Landtagsabgeordnete in die Politik zu gehen, habe ich viel Zuspruch erhalten. Ich bin damals angetreten, um den Pragmatismus der Wirtschaft in die Politik zu tragen, um Steine aus dem Weg zu räumen, damit sich der Mittelstand – das viel zitierte Rückgrat der deutschen Wirtschaft – in Deutschland und Thüringen erfolgreich entwickeln kann.
1990 waren die Rahmenbedingungen geradezu freiheitlich, auch für Existenzgründer. Inzwischen haben Gesetzesdschungel und überbordende Bürokratie immer mehr die Kraft der Kreativität erdrückt.
Ich musste erkennen, dass das Streben um Machterhalt parteiübergreifend die pragmatische Lösung von Sachfragen nahezu unmöglich macht. Leider musste ich auch erfahren, dass Wahlen, wenn sie nicht wie gewünscht verlaufen, rückgängig gemacht werden können. Mit meinem kürzlich verfassten Buch „Zwischen Brücken und Brandmauern“ habe ich das, was mich umtreibt, zu Papier gebracht. Angst gibt es in meinem Leben seit meinem Buch „Mitmach- Demokratie“ nicht mehr – mit diesem Buch habe ich mich von der Angst befreit.
Nach meinem Ausscheiden aus der aktiven Politik möchte ich meine Erfahrungen aus dem internationalen Geschäft nutzen, um Brücken zu bauen, zwischen Völkern zu vermitteln und Frieden zu stiften.
Ostdeutschland verdanke ich meine Prägung, die mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. Ich bin groß geworden mit der kleinen weißen Friedenstaube und nicht mit Hass und Hetze – aus Liebe zu dem Land meiner Kindheit.

VACOM: Smart Factory. Abbildung: VACOM
VACOM Vakuum Komponenten & Messtechnik GmbH
GEGRÜNDET: 1992/Jena
STANDORT: Großlöbichau
MITARBEITENDE: >400
WEBSITE: vacom.net
Dr. Ute Bergner
GEBOREN: 1957/Jena
WOHNORT (aktuell): Saale-Holzland-Kreis
MEIN BUCHTIPP: Markus Wolf: „Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen“, 1997
MEIN FILMTIPP: „Die Legende von Paul und Paula“, 1973
MEIN URLAUBSTIPP: Sächsische Schweiz
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Auch dieser zweite Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die weiteren 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Band 2, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2025, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |