Mit einem Mix aus Musik, Rebellion und Freiheit prägte er nicht nur die Jugendkultur der DDR. Nach der Wende aber musste der legendäre Radiosender DT64 um seine Existenz kämpfen. 1993 ging der Kampf endgültig verloren.

DT64 war überall. Abbildung: Ideogram
Lange Zeit war es vergriffen, nun liegt es – als erweiterte Neuauflage – wieder vor: „Power von der Eastside! Jugendradio DT64: Massenmedium und Massenbewegung“. Das Buch mit Beiträgen von Marion Brasch, Jürgen Balitzki und vielen weiteren Insidern huldigt einem Phänomen, dessen Geschichte vor über 60 Jahren begann.
Wir werfen ebenfalls einen Blick auf die bewegte Vergangenheit des Senders. Denn vielen, die in der DDR aufgewachsen sind, wird bei der Zeichenfolge DT64 warm ums Herz. Ein Hauch von Abenteuer, eine Prise Rebellion und vor allem eine gehörige Portion Musik – das waren die wesentlichen Zutaten des auf junge Hörer ausgerichteten Radiosenders, der eher aus Zufall entstand und doch zu einem wichtigen Element der Jugendkultur wurde.
Keimzelle: „Die Junge Welle“
Es war 1959, als das Radio der DDR, damals noch ein eher strenger und gezähmter Ort für Informationsvermittlung, die Redaktion „Junge Welle“ ins Leben rief. Ziel war es, einen frischen Wind in den Äther zu blasen. Doch dieser war zunächst nur ein laues Lüftchen. Mit Programmen wie „Aus dem Butzemannhaus“ für die Kleinsten und einem „Kinderradio DDR“ für den Nachwuchs wurde ein seichtes Fundament gelegt. Der wahre Anstoß kam dann 1961: Der „Abend der Jugend“ ging an den Start. Ein wöchentlicher Ritt durch die Themen, die junge Menschen damals beschäftigten: Politik, Sport, Freizeit – und natürlich Musik. Klaus Schneider, damaliger Redakteur, bemühte sich, ein Programm zu schaffen, das dem Geschmack der jungen Leute entsprach. Das bedeutete: keine altmodische Klaviermusik, sondern die frischen Wellen des Rock’n’Roll und der aufkommenden Beatmusik, die die Welt eroberten.
Startschuss: „Deutschlandtreffen“
Es war 1964, als die DDR das „Deutschlandtreffen der Jugend“ vorbereitete. Um dem Event Gehör zu verleihen, wurde ein „Sonderstudio“ ins Leben gerufen. Der Name: DT64. Anfang Mai lief das erste Programm. Ein regelrechter Musikmarathon: eine 99 Stunden lange Übertragung mit internationalen Einflüssen. Ein Projekt, das sich schnell einer großen Anhängerschaft erfreute und eine viel größere Frage aufwarf: Warum nicht täglich so etwas anbieten? Warum nicht der Jugend eine eigene Stimme im Radio geben? Tatsächlich war die erste Reaktion der DDR-Intendanten ausweichend: nicht machbar, nicht ins Konzept passend! Doch der Berliner Rundfunk ergriff die Chance und am 29. Juni 1964 war es dann soweit: Das erste reguläre DT64-Programm ging auf Sendung und nahm einen festen Platz im Radio ein.
Beats zwischen Beton
Es war nicht immer ein „Freundschaftsspiel“. Schon 1965, nur ein Jahr nach der Gründung von DT64, wetterte Erich Honecker gegen das Programm und stellte die Musikpolitik des Senders in Frage. Besonders die „einseitige Propagierung der Beatmusik“ missfiel ihm, er verlangte eine stärkere Betonung auf „allseitige Bildung“. Ein klarer Versuch, die musikalische Freiheit, die der Sender verkörperte, einzuschränken. Aber DT64 ließ sich nicht beirren.
Später sorgten die „Jugendkonzerte“, die ab 1976 regelmäßig ausgestrahlt wurden, und das im Jahr 1981 neugestaltete Abendprogramm (mit regelmäßigem Musikmix zwischen 19 und 24 Uhr) für einen regelrechten Boom. Auch der „Morgenrock“ und die „Hit-Globus-Show“ (mit Charts aus der BRD, Großbritannien und den USA) sorgten für Aufsehen und ließen die DDR-Jugend aufhorchen. Internationale Hits, die sonst nur über die West-Radio-Stationen oder von illegalen Bändern zirkulierten, fanden nun ihren Weg in die Häuser. Und durch das Programm „Duett – Musik für den Rekorder“, bei dem komplette Schallplatten abgespielt wurden, konnte man den Sound sogar mit nach Hause nehmen. Ein cleverer Schachzug, der es der aufkeimenden Jugendkultur ermöglichte, ihre eigene Musikbibliothek zu schaffen.

Keep it simple: Das Logo von DT64 fällt ins Auge. Abbildung: Public domain, via Wikimedia Commons
Vom Wandel zur Revolution
Im Jahr 1986, als DT64 eigenständig wurde, war der Sender nicht mehr einfach nur ein Musikprogramm, er war ein kultureller Leuchtturm. Doch der Wind der Geschichte wehte immer schneller. Am 2. Oktober 1989 hatte das Ministerium für Staatssicherheit bereits Verbindungen zum „Neuen Forum“ vermerkt – eine Bewegung, die der Obrigkeit aufgrund ihrer rebellischen Attitüde eher unbequem war.
Die politische Stimmung in der DDR spitzte sich zu. Und DT64 blieb davon nicht unberührt. Als der Sender während der friedlichen Revolution samt seiner Montagsdemonstrationen über die Ereignisse berichtete, war er für viele die erste Anlaufstelle, um mehr über das zu erfahren, was in der Welt und im eigenen Land geschah. Und dann fiel die Mauer.
DT64 nach 1990: Kampf ums Überleben
Als DT64 im April 1990 unter neuer Leitung und in einem veränderten Land wieder auf Sendung ging, war das Motto klar: „Power von der Eastside!“ Ab sofort war der Kanal rund um die Uhr auf Sendung und nicht nur die Tagesordnung wurde neu geschrieben, sondern auch die musikalischen Maßstäbe. Am 17. August 1990 starteten DT64 und der SDR 3 gemeinsam das ambitionierte Projekt „Top 2000 D“. Neun Tage lang wurden 2000 von den Hörern gewählte Songs gesendet.
Doch was anfangs wie ein Triumph wirkte, sollte bald einem unerbittlichen Wettlauf mit der Zeit weichen. Nur einen Monat nach diesem musikalischen Meilenstein, am 7. September 1990, wurden die Frequenzen von DT64 außerhalb Berlins ohne Vorankündigung an den westberliner Sender RIAS abgegeben. Ein harter Schlag für die Fans und eine unmissverständliche Botschaft, dass der Sender in der neuen Ära nicht sicher war. Es gab Empörung. Proteste in Berlin, Dresden und Neubrandenburg brachen los – die Leute wollten ihren Sender zurück. Die Wut war so groß, dass DT64 nach nur einem Tag der „Enteignung“ seine Frequenzen wiedererhielt. Doch damit war nur eine Schlacht gewonnen, nicht der Krieg.
Spaltung und Widerstand
Mit der Wiedervereinigung und dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages kam auch das große Zerreißen: Der Jugendkanal der DDR stand vor dem Aus. Es wurde beschlossen, dass bestimmte Programme, die als „spezielle Angebote“ galten, entweder abgewickelt oder in öffentlich-rechtliche Strukturen integriert werden müssten. DT64 – als ein solcher Fall – sollte in die Geschichte eingehen.
Doch die Fans des Senders waren nicht bereit, dabei einfach zuzusehen. Im Mai 1991 formierte sich an der Technischen Universität Chemnitz der Verein „Freunde des Jugendradio DT64 e. V.“, um für den Erhalt des Senders zu kämpfen. Es war der Beginn einer langen und leidenschaftlichen Protestwelle, die sich durch die einstigen DDR-Gebiete zog. In Leipzig, Dresden, Halle, Potsdam und Altenburg gingen Tausende auf die Straßen, um zu zeigen: DT64 war mehr als ein Sender. Er war ein Symbol für die Freiheit, für die Jugend und für die Musik.

DT64 sendete vom Funkhaus Nalepastraße. Abbildung: Bundesarchiv, Bild 183-J0701-0301-001/CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, Wikimedia Commons
Techno, Mayday und Politik
Mehr noch: DT64 war einer der ersten Sender, die Techno-Musik spielten. Die Sendung „Dancehall“ von Marusha wurde zum Kult. Zudem entstand 1991, als der Sender von Techno-DJs und der Berliner Szene gefeiert wurde, die „Mayday“, ein riesiger Indoor-Rave, der am 14. Dezember 1991 zum ersten Mal stattfand. Ursprünglich als Protestveranstaltung für den Erhalt von DT64 gedacht, entwickelte sich daraus eines der größten Festivals in Deutschland.
Doch die unsichere Lage und die fehlende Unterstützung vonseiten der Medienpolitiker wurde die Situation für den Sender immer unhaltbarer. Am 16. November 1991 gingen in Dresden nochmals 10.000 Menschen auf die Straße, um lautstark den Erhalt des Senders zu fordern. Es war ein letzter verzweifelter Versuch, dem Sender eine Zukunft zu sichern. Doch die Politik hatte andere Pläne.
Schließung und letzte Fahrt
Am 12. Dezember 1991 lehnte der Bundestag einen Entschließungsantrag für den Erhalt von DT64 ab. In Magdeburg zeigte sich der MDR zwar bereit, den Sender für sechs Monate weiter auszustrahlen, doch das war im Prinzip nicht mehr als ein Gnadenakt. Schließlich, am 31. Dezember 1991, war für die Region Mecklenburg-Vorpommern Schluss: DT64 wurde dort aus den UKW-Frequenzen genommen.
Doch die Fans gaben nicht auf. Am 25. Januar 1992 fand in der Berliner Werner-Seelenbinder-Halle ein großer Rockmarathon statt. Ein Sonderzug fuhr nach Pankow, mit legendären Bands und einer Abfertigung durch Udo Lindenberg. Er brachte die Musik direkt auf die Schiene. Der Protest war groß, doch der Countdown lief unaufhaltsam. Am 18. Januar 1993 wurde beschlossen, die Produktion von DT64 nach Halle zu verlegen und ab März 1993 auf dem Astra-1B-Satelliten auszustrahlen. Aber auch das nützte nichts mehr, die politische Stimmung war längst gegen den Sender. Am 1. Mai 1993 war es dann endgültig vorbei.
Dass die Erinnerung dennoch lebendig bleibt, beweist auch die „Power von der Eastside!“-Neuauflage, die am 6. Dezember 2024, pünktlich zum 60. Jahrestag der Gründung, erschienen ist. Sie zeichnet die wesentlichen Kapitel eindrucksvoll nach, ergänzt durch Abbildungen und weitere Materialien. DT64 mag Geschichte sein. Aber was für eine!
![]() Heiko Hilker, Alexander Pehlemann, Andras Ulrich, Jörg Wagner (Hg.): „Power von der Eastside! Jugendradio DT64: Massenmedium und Massenbewegung“, Ventil Verlag 2024, 384 Seiten (Softcover), 28,00 €. |