Am 4. November 2025 hat die Deutsche Gesellschaft e.V. ihren Preis für Verdienste um die deutsche und europäische Verständigung an den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck verliehen. Wir veröffentlichen eine Würdigung durch Dr. Sabine Bergmann-Pohl.

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck wurde von der Deutschen Gesellschaft e.V. für sein Engagement für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und menschliche Würde ausgezeichnet. Abbildung: Bundesregierung/Steffen Kugler.
Joachim Gauck steht wie kaum ein anderer für gelebte Freiheit und Verantwortung. Sein Wirken erinnert daran, dass Demokratie Engagement und Dialog braucht. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner würdigte ihn beim Festakt in Berlin als Stimme der Vernunft und des Muts. Sie betonte, Gauck lehre Demokratie durch eigenes Handeln, nicht durch Worte allein. Sein Beispiel bleibe ein Kompass für eine freie und offene Gesellschaft in Europa. Im Anschluss wurde Joachim Gauck von der Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft e.V. und Präsidentin der ersten und letzten frei gewählten Volkskammer, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, gewürdigt. Wir veröffentlichen einen entsprechenden Textbeitrag von ihr:
„Der 9. November wird häufig als der ‚Schicksalstag der Deutschen‘ bezeichnet. Richtig ist, dass sich Licht und Schatten der deutschen Geschichte in kaum einem Datum so eindrücklich bündeln wie an diesem 9. November. Es ist ein Tag, der mehr als jeder andere für unsere wechselvolle Geschichte steht. Wir können uns diesem Tag und seiner Geschichte nicht entziehen, denn er hat unsere Nation mit Schuld und Scham beladen. Zugleich macht uns dieser Tag stolz, denn mit dem Sturz des SED-Regimes und dem Mauerfall haben die Deutschen die Voraussetzungen für die Einheit in Freiheit geschaffen. Wir tun bis heute, trotz aller Klagelieder, die landauf und landab gesungen werden, gut daran, uns zu erinnern. Denn über Jahrzehnte hinweg waren wir es, die nichts Sehnlicheres erhofft hatten. Freiheit und Einheit. Verkörpert in den zentralen Losungen der Friedlichen Revolution: Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk!
Es ist zu hoffen, dass das gleichnamige Denkmal auf der Schlossfreiheit bald an jenen Glücksmoment deutscher Geschichte erinnern wird, der uns, zumindest für kurze Zeit, zum glücklichsten Volk der Welt machte. Denkmäler, die an das Versagen und unsere Schuld erinnern, haben wir viele, Denkmäler des Stolzes und der Freude dagegen fehlen. Wie hat es Richard Schröder mal auf den Punkt gebracht? ‚Kein Mensch und kein Volk kann allein aus seinem Versagen Orientierung gewinnen und schon gar nicht Ermunterung.‘
Das Freiheits- und Einheitsdenkmal soll vor allem die vielen Bürger würdigen, die dazu beigetragen haben, einen ganzen Staat zum Einsturz zu bringen. Und nicht nur das. Sie haben ein demokratisches Gemeinwesen geschaffen und den Weg für die deutsche und europäische Vereinigung geebnet. Die Einheit ist tatsächlich das Werk vieler. Doch im Rampenlicht haben die wenigsten gestanden. Sie wurde überhaupt erst möglich, weil sich die Bürgerinnen und Bürger der DDR im Herbst 1989 erhoben und mit der Friedlichen Revolution den Sturz des Systems herbeiführten.
Joachim Gauck hat als Pfarrer in Rostock diesen Prozess hautnah begleitet und wurde schnell zum Wortführer des Widerspruchs und Widerstandes. Das brachte ihn in das Visier der Staatssicherheit. Mutig bot er dem System die Stirn. Doch er machte auch anderen Mut. So rief er in einem Gottesdienst den Menschen zu: ‚Wir sagen unserer Angst Auf Wiedersehen!‘ Später berichtete er, dass erst ein Raunen durch die übervolle Kirche ging, das schließlich zu einem „befreienden Beifallklatschen“ führte. Und dann folgt ein Satz, über den ich lange nachgedacht habe. Er lautet: ‚Wir waren auf dem Weg, uns unsere Handlungsfreiheit zurückzuerobern.‘ Dieser Satz ist weit mehr als eine historische Erinnerung – er ist Ermutigung und Auftrag zugleich. Denn die Freiheit, an die wir uns hierzulande gewöhnt haben und die wir voraussetzen, bedeutet immer auch Verpflichtung. Denn alle Freiheiten, die es uns erlauben, unsere Persönlichkeit zu entfalten und unsere demokratischen Rechte wahrzunehmen, sind untrennbar mit Verantwortung verbunden.
‚Freiheit für Erwachsene heißt Verantwortung‘ – in diesem Satz, den Joachim Gauck bei zahlreichen Gelegenheiten vortrug, fasste er selbst das Leitmotiv so treffend zusammen, das sein Denken und Handeln auszeichnet. Der Satz meint, dass Freiheit nicht Beliebigkeit bedeutet. Vielmehr bedeutet Freiheit auch Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen: und zwar für das eigene Handeln und für das demokratische Gemeinwesen. Deshalb hat Joachim Gauck als Abgeordneter der ersten frei gewählten Volkskammer und später als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes entscheidend zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beigetragen. Er wusste: Das Unterdrückungssystem der SED-Diktatur war das Gegenmodell zum freiheitlich-demokratischen Staat, der immer aufs Neue gesichert werden muss und der immer neues verantwortliches Engagement braucht.
Auch als Bundespräsident hatte Joachim Gauck sein Verständnis von Freiheit zum Maßstab des Handelns gemacht. Mit ihm hatte die Bundesrepublik ihren ersten Präsidenten ostdeutscher Herkunft – aber er war doch im besten Sinne ihr erstes gesamtdeutsches Staatsoberhaupt. Er hat zwar 40 Jahre lang ein Leben in der DDR geführt, aber ist, um in dem Bild zu bleiben, im wiedervereinten Deutschland zu Hause. Er hat nicht nach einem ‚Dritten Weg‘ gesucht, sondern die liberale Demokratie und die soziale Marktwirtschaft stets als die tragenden Säulen unseres Gemeinwesens verstanden, weil er wusste, dass Freiheit ohne Verantwortung ebenso wenig Bestand hat wie Wohlstand ohne Solidarität. Und dieses Gemeinwesen hat Joachim Gauck gegen Anfechtungen von innen und außen verteidigt. Deshalb war er das, was man einen ‚politischen Präsidenten‘ nennen kann.
Er hat die Spielräume, die ihm das Amt des Staatsoberhaupts gelassen hat, für politische Interventionen ausgenutzt. Mit seinem jahrzehntelangen Engagement hat er sich herausragende Verdienste um das gedeihliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland und Europa erworben. Sein Lebenswerk ist Ansporn, sich für die Freiheit einzusetzen und Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen. Denn die Freiheit, an die wir uns hierzulande gewöhnt haben und die wir voraussetzen, bedeutet immer auch Verpflichtung. Freiheiten, die es uns erlauben, unsere Persönlichkeit zu entfalten und unsere demokratischen Rechte wahrzunehmen, sind untrennbar mit Verantwortung verbunden. ‚Freiheit heißt Verantwortung‘ – in diesem seinem Satz fasst er selbst das Leitmotiv seines Denkens und Handelns treffend zusammen. Freiheit bedeutet eben nicht Beliebigkeit, sondern auch Verpflichtung und Verantwortung.“



























