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„Hier steht euer neuer Ministerpräsident!“ Der überraschende Ausgang der ersten freien DDR-Wahlen

Die Wahl zur Volks­kam­mer der DDR am 18. März 1990 war der ers­te Urnen­gang unter demo­kra­ti­schen Bedin­gun­gen. Der Publi­zist, Schrift­stel­ler und Beauf­trag­ter des Vor­stan­des Deut­sche Gesell­schaft e.V. Dr. Andre­as H. Apelt schil­dert, wie er die­sen Tag erlebt hat.

Wolfgang Schnur, Vorsitzender des Demokratischen Aufbruchs im Kongreßsaal des Brühlzentrums. Abbildung: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1216-021 / Gahlbeck, Friedrich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Creative-Commons-Lizenz

Wolf­gang Schnur, Vor­sit­zen­der des Demo­kra­ti­schen Auf­bruchs im Kon­gress­saal des Brühl­zen­trums. Abbil­dung: Bun­des­ar­chiv, Bild 183-1989-1216-021 / Gahl­beck, Fried­rich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Creative-Commons-Lizenz

Revo­lu­tio­nen gebä­ren ihre eige­nen Geis­ter. Die­sen Satz schrieb ich im Febru­ar 1990 in mein Tage­buch. In den Sinn kam er mir, als ich Zeu­ge eines merk­wür­di­gen Wahl­kampf­auf­trit­tes wur­de. Der Red­ner war kein gerin­ge­rer als Wolf­gang Schnur, immer­hin Vor­sit­zen­der des Demo­kra­ti­schen Auf­bruchs (DA), einer neu­en, Ende Okto­ber 1989 gegrün­de­ten oppo­si­tio­nel­len Ver­ei­ni­gung in der DDR und ab Mit­te Dezem­ber Par­tei. Er stand auf dem Markt in Hal­le an der Saa­le und sei­ne Augen leuch­te­ten gera­de­zu dia­bo­lisch, als er einer stau­nen­den Men­schen­men­ge ver­kün­de­te: „Hier steht euer neu­er Minis­ter­prä­si­dent.“ Der­ar­tig dick auf­zu­tra­gen hat­te sich bis­her nie­mand gewagt. Auch kein Wolf­gang Schnur, Anwalt und Kir­chen­ju­rist, dem es nicht an Selbst­be­wusst­sein man­gel­te. Doch irgend­et­was hat­te sich geändert.

Wie stark sein Ego aus­ge­prägt war, zeig­te sich auf der Rück­fahrt nach Ber­lin. Als Bei­fah­rer kur­bel­te Schnur auf der Auto­bahn unver­mit­telt das Sei­ten­fens­ter des Wagens her­un­ter, schob den Ober­kör­per bis zu den Hüf­ten aus dem Wagen­in­ne­ren und schrie wie­der­holt gegen den Fahrt­wind an: „Ich, Wolf­gang Schnur, bin der neue Ministerpräsident.“

Wie bei sei­nen Mit­fah­rern, die fürch­te­ten, der Spit­zen­kan­di­dat des DA kön­ne aus dem Auto fal­len, sah man auch auf dem Hal­len­ser Markt­platz ent­setz­te Gesich­ter. Kopf­schüt­teln mach­te die Run­de. Noch mehr bei den Funk­tio­nä­ren der Par­tei, die auf­grund einer Haupt­aus­schuss­sit­zung mit­ge­reist waren, auch um sich Schnur gegen­über soli­da­risch zu zei­gen. Schließ­lich war er mehr­fach hart ange­grif­fen wor­den, unter­stell­te man ihm doch eine Zusam­men­ar­beit mit der Staats­si­cher­heit. Bewei­se gab es bis dahin kei­ne und Men­schen zu beschul­di­gen gehör­te in die­sen unru­hi­gen Zei­ten all­ge­mei­nen Miss­trau­ens zum Volkssport.

Als Mit­glie­der des Aus­schus­ses wuss­ten wir um den Zustand der Par­tei und die inhalt­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Es war völ­lig ver­mes­sen, an einen Wahl­sieg des DA zu den­ken, zumal die­ser erheb­li­che Federn gelas­sen hat­te und durch quä­len­de Debat­ten noch mehr Zeit ver­lor. Mit dem lin­ken Flü­gel ver­lie­ßen auch nam­haf­te Grün­dungs­mit­glie­der wie Fried­rich Schor­lem­mer, Rudi Karl Pahn­ke, Edel­bert Rich­ter, Ehr­hart Neu­bert oder Gün­ter Noo­ke die Par­tei, die sich trotz­dem schwer­tat, eine poli­ti­sche Rich­tung vor­zu­ge­ben. Da nutz­ten auch stun­den­lan­ge Vor­stands­sit­zun­gen nichts, bei denen ohne­hin kei­ne greif­ba­ren Ergeb­nis­se erzielt wur­den. So war schon im Janu­ar nicht an einen gro­ßen Erfolg zu den­ken, zumal sich die Par­tei nur lang­sam von den per­so­nel­len Ader­läs­sen erhol­te. Die Situa­ti­on ver­schärf­te sich noch, als am 28. Janu­ar 1990 in einer Bespre­chung zwi­schen der Regie­rung und den Ver­tre­tern des Run­den Tisches im DDR-Gäs­te­haus der Wahl­ter­min vom 6. Mai auf den 18. März vor­ge­zo­gen wur­de. Das brach­te gera­de die neu­en oppo­si­tio­nel­len, mate­ri­ell schlecht aus­ge­stat­te­ten Grup­pie­run­gen unter enor­men Zug­zwang. Dar­über hin­aus hat­ten die Mit­be­wer­ber, allen vor­an die aus der „Natio­na­len Front der DDR“ aus­ge­tre­te­ne Ost-CDU mit ihrer Ver­gan­gen­heit gebro­chen. Eine pro­gram­ma­ti­sche Erneue­rung durch ein Bekennt­nis zur Sozia­len Markt­wirt­schaft und zur Wie­der­ver­ei­ni­gung sowie die Wahl von Lothar de Mai­ziè­re zum neu­en CDU-Vor­sit­zen­den hat­ten erheb­lich zur Repu­ta­ti­on der eins­ti­gen Block­par­tei bei­getra­gen. Für Schnur und den DA wur­de fort­an die Luft noch dünner.

Böhme inszenierte sich als Kumpeltyp

Vor allem aber gab es die SDP, im Okto­ber 1989 in Schwan­te gegrün­det, die sich noch recht­zei­tig vor den Wah­len in SPD umbe­nannt hat­te. Ihr Vor­sit­zen­der Ibra­him Böh­me behaup­te­te nicht nur Minis­ter­prä­si­dent zu wer­den, son­dern er führ­te sich schon als sol­cher auf. So kam er im Anzug nebst Wes­te und Schlips akku­rat geklei­det in einer dunk­len Limou­si­ne vor­ge­fah­ren, lächel­te in die Kame­ras und negier­te die übri­gen Anwe­sen­den mit einer gewis­sen Arro­ganz. Auf­wer­tung erfuhr er zusätz­lich in der Bon­ner SPD-Zen­tra­le, als er sich vor lau­fen­den Kame­ras mit Män­nern wie Wil­ly Brandt und Hans-Jochen Vogel als Kum­pel­typ insze­nier­te. Und das so selbst­si­cher, als gehör­te er seit Jah­ren zum Estab­lish­ment. An sei­nem Wahl­sieg hat­te auch die sowje­ti­sche Regie­rung kei­nen Zwei­fel. Schließ­lich wur­de er bereits vor den Wah­len nach Mos­kau ein­ge­la­den und ent­spre­chend hofiert. Den Wahl­sieg der Genos­sen pro­gnos­ti­zier­ten auch die Ber­li­ner poli­ti­schen Beob­ach­ter und bestä­tig­ten damit eine tele­fo­ni­sche Wahl­um­fra­ge. Rücken­wind gab es auch für die SPD durch die haus­hoch gewon­ne­ne Land­tags­wahl im Saar­land. Das hin­ter­ließ im Osten Spuren.

Auch Lothar de Mai­ziè­re sah sich schon als Minis­ter­prä­si­dent. Er hät­te das nie öffent­lich gesagt. Doch als ich ihn anläss­lich sei­nes Geburts­ta­ges am 2. März im Sitz der Ost-CDU am Gen­dar­men­markt traf, über­rasch­te er eine Hand­voll Gäs­te mit der hypo­the­ti­schen Fra­ge, was er wohl tun sol­le, wenn er nun Minis­ter­prä­si­dent wer­de. Ich war ent­täuscht, denn eigent­lich hat­te ich dem Mann, mit dem ich kur­ze Zeit vor­her den ers­ten gesamt­deut­schen Ver­ein gegrün­det hat­te, mehr Rea­li­täts­sinn zuge­traut. Wie nur, dach­te ich, konn­te er anneh­men, mit der ehe­ma­li­gen Block-CDU Wahl­sie­ger zu wer­den? Was mir und den meis­ten Beob­ach­tern ent­ging, war die Situa­ti­on fern­ab der Haupt­stadt. Das führ­te zu einer Betriebs­blind­heit, dabei war das schwarz-rot-gol­de­ne Fah­nen­meer gera­de im Süden der Repu­blik nicht zu über­se­hen. Die DDR war eben nicht Berlin.

DDR-Bürger kannten sich mit West-Parteien aus

Vom Sieg träum­te trotz­dem noch so manch ein DDR-Dis­si­dent. Dabei gin­gen sie von der irri­gen Annah­me aus, dass ihr muti­ges Auf­tre­ten vom Wahl­volk hono­riert wer­den wür­de. Ganz nach dem Bibel­wort „Undank ist der Welt Lohn“ gab es von den Wäh­lern kei­nen Dank. Das Gegen­teil war der Fall. Die neu­en Grup­pie­run­gen, allen vor­an das Neue Forum, hat­ten zwar die revo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lun­gen ange­sto­ßen, waren aber als Bür­ger­be­we­gung, die ein viel zu brei­tes Spek­trum ver­tre­ten woll­te, nicht mehr attrak­tiv. Zu unter­schied­lich waren die Auf­fas­sun­gen, wenn es um mehr als die rei­ne SED-Geg­ner­schaft ging. Joa­chim Gauck in Ros­tock und Arnold Vaatz in Dres­den waren eben um Mei­len von Bär­bel Boh­ley ent­fernt und schlu­gen ganz ande­re Töne an. Das aber schmä­lert nicht ihren Ver­dienst. Dazu kam, dass den DDR-Bür­gern das Par­tei­en­sche­ma West ver­traut war, hier­mit konn­ten sie etwas anfan­gen. Sie wuss­ten bei der abend­li­chen Aus­rei­se per Fern­seh­schirm, wofür wel­che Par­tei im Wes­ten steht und kann­ten alle wich­ti­gen Reprä­sen­tan­ten. Da hat­ten es die eige­nen Revo­lu­ti­ons­ge­wäch­se, vie­le erst im Win­ter 1989/90 ent­stan­den, deut­lich schwerer.

Obgleich zunächst von den Oppo­si­ti­ons­kräf­ten ver­ein­bart wur­de, auf West­hil­fe zu ver­zich­ten, roll­te bald mas­si­ve Wahl­kampf­hil­fe von Mensch und Mate­ri­al von West nach Ost. Dabei unter­stütz­ten sich ins­be­son­de­re die Par­tei­fa­mi­li­en. Schwer hat­ten es jene, die weder Par­tei­schwes­tern noch Adop­tiv­el­tern fan­den. Oder jene, die auf eine eige­ne Aus­rich­tung nicht ver­zich­ten woll­ten. Hier betraf es ein­mal mehr die Lis­ten­ver­ei­ni­gung Bünd­nis 90 (Neu­es Forum, Demo­kra­tie Jetzt, Initia­ti­ve Frie­den und Menschenrechte).

Als gro­ße Hil­fe kön­nen auch die Red­ner­auf­trit­te in der DDR gewer­tet wer­den. West-Red­ner füll­ten von der Ost­see bis zum Erz­ge­bir­ge die Markt­plät­ze mit Hun­dert­tau­sen­den. Zuwei­len schien es, als wür­den Pop­ido­le auf­tre­ten. Einen der­ar­ti­gen Zulauf kann­te man auch im Wes­ten nicht oder nicht mehr. Davon pro­fi­tier­ten vor allem die SPD, der Bund Frei­er Demo­kra­ten (F.D.P der DDR, LDP, DFP) und das libe­ral-kon­ser­va­ti­ve Wahl­bünd­nis der Alli­anz für Deutsch­land. Dies war kei­ne Lis­ten­ver­ei­ni­gung, son­dern ein locke­res Bünd­nis aus der Ost-CDU, der in Leip­zig gegrün­de­ten CSU-Schwes­ter­par­tei Deut­schen Sozia­len Uni­on (DSU) und dem Demo­kra­ti­schen Auf­bruch. Dass die­ses Bünd­nis über­haupt zustan­de kam, glich eher einem Wun­der, zumal die drei Part­ner oft­mals zäh­ne­knir­schend auf­ein­an­der zugin­gen. Lan­ge Zeit hat­te CDU-Gene­ral­se­kre­tär Vol­ker Rühe es abge­lehnt, mit der ehe­ma­li­gen Block-CDU zu reden und nur den DA als zu unter­stüt­zen­de Par­tei aner­kannt. Letzt­end­lich war es Hel­mut Kohl, der sich nach einem Gespräch mit Lothar de Mai­ziè­re von den stra­te­gi­schen Vor­tei­len der Ost-CDU über­zeu­gen ließ. Dazu gehör­te ein flä­chen­de­cken­des Netz von Kreis­ge­schäfts­stel­len inklu­si­ve haupt­amt­li­cher Ange­stell­ter. Ost-West-Paten­schaf­ten von Orts-, Kreis-, und Lan­des­ver­bän­den boten sich gera­de­zu an und wür­den man­chen Nach­teil ausgleichen.

Vier Tage vor der Wahl platzte die Bombe

Doch vier Tage vor der Wahl platz­te die Bom­be. Aus­ge­rech­net der Vor­sit­zen­de des DA, Wolf­gang Schnur, wur­de als Sta­si­zu­trä­ger ent­tarnt, ein Desas­ter für die DA-Wahl­kämp­fer, die seit Mona­ten bis zur Erschöp­fung arbei­te­ten. Ver­zweif­lung mach­te sich breit. Schnur wird noch am glei­chen Tag aus der Par­tei gewor­fen, mit Rai­ner Eppel­mann ein neu­er Vor­sit­zen­der gewählt. Doch was bedeu­tet das für die Wahl?

Mit Span­nung wur­den am 18. März die Wahl­er­geb­nis­se der 24 Par­tei­en und Grup­pie­run­gen erwar­tet. 400 Sit­ze sind zu ver­ge­ben. Es ist eine ein­fa­che Ver­hält­nis­wahl, der Wäh­ler hat nur eine Stim­me. Beacht­lich ist schon die Wahl­be­tei­li­gung von 93,4 Pro­zent, ein Wert, der seit­dem nicht mehr erreicht wird. Ent­ge­gen allen Pro­gno­sen wird die CDU mit 40,8 Pro­zent der Stim­men mit Abstand die stärks­te Kraft. (Die Alli­anz errang 48 Pro­zent.) Aller­dings hat sie ihren Sieg den Bezir­ken außer­halb Ber­lins zu ver­dan­ken, denn in der Haupt­stadt kommt sie nach der SPD und der PDS gera­de mal auf Platz drei. Den zwei­ten Platz beleg­te die SPD mit 21,9 Pro­zent, eine Rie­sen­ent­täu­schung, den drit­ten Platz mit immer­hin 16,4 Pro­zent die PDS. Der Demo­kra­ti­sche Auf­bruch erhielt nur 0,9 Pro­zent der Stim­men. Und doch war­tet ein Trost­pflas­ter. Da der Gesetz­ge­ber auf eine Fünf-Pro­zent-Hür­de ver­zich­te­te, zie­hen vier DA-Abge­ord­ne­te, die sich der CDU-Frak­ti­on anschlie­ßen, in die Volks­kam­mer. Der Demo­kra­ti­sche Auf­bruch aller­dings wird sich nie mehr erho­len. Fort­an sind sei­ne Tage gezählt.

Dr. Andreas H. Apelt, Publizist, Schriftsteller, Mitbegründer und Beauftragter des Vorstandes Deutsche Gesellschaft e.V. Abbildung: Yasin Jonathan Kandil

Abbil­dung: Yasin Jona­than Kandil

Dr. Andre­as H. Apelt

Publi­zist, Schrift­stel­ler, Mit­be­grün­der und Beauf­trag­ter des Vor­stan­des Deut­sche Gesell­schaft e.V.

deutsche-gesellschaft-ev.de

 

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