In seiner zweiten Kolumne beschreibt Daniel Heidrich Ostdeutschland als dauerhafte Transferregion. Schon aufgrund der dortigen Überalterung werde sich daran so schnell nichts ändern. Würde sich der Osten in dieser Situation vom Westen abschotten, wie Populisten es heute fordern, hätte das verheerende Folgen.
Überholen ohne einzuholen. Ostdeutschlands Weg in die Bedeutungslosigkeit führt über das Selbstbewusstsein, es besser zu wissen als der wirtschaftlich erfolgreiche Westen.
Das mit der Wirtschaft ist ja so eine Sache. Deutschlands Volkswirtschaftsverständnis ist in der Breite eher unterentwickelt. Makroökonomie kommt in der Schule so gut wie nie vor. Wirtschaft ist also mehr ein Gefühl, welches am Küchentisch diskutiert wird und ihrer Komplexität selten angemessen ist. Und wenn Wirtschaft ein Gefühl ist, dann speist es sich meist aus Erfahrungen und Erlebtem.
Hier gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen Ost und West. Die DDR war ein Transferstaat. Niemand konnte seinen bescheidenen Lebensstandard auf die eigene Wertschöpfung zurückführen. Der Lebensstandard der DDR wurde durch die Sowjetunion und die Staatsverschuldung in Devisen gepampert. 1990 war man dann schlichtweg nicht mehr zahlungsfähig. Man befand sich wohl eher auf dem wirtschaftlichen Niveau Polens als auf dem behaupteten Platz zehn der Welt.
Die Nachwendejahre zeigen bis heute eine dauerhafte Transferregion Ost. 2023 sind immer noch 122 Millionen Euro pro 100.000 Einwohner aus dem Länderfinanzausgleich in die ostdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) geflossen. In die westdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) flossen nur 24 Millionen Euro pro 100.000 Einwohner. Bei den Renten sieht es ähnlich aus. Aufgrund seiner Überalterung ist Ostdeutschland dauerhaft auf Transfers aus dem Westen angewiesen, um das Niveau der Rentenansprüche zu halten. Ostdeutschland hat sich mithilfe dieser Subventionen von einer sehr armen Region Europas ins Mittelfeld hochgearbeitet. Das BIP pro Kopf liegt über dem aller osteuropäischen Staaten, ungefähr auf dem Level von Italien. Man lebt aber auf einem deutlich höheren Niveau.
Und da wird es jetzt eng: Der Freihandel wurde durch die zwei größten Volkswirtschaften der Welt, USA und China, abgeblasen. Das Geschäftsmodell Westdeutschlands gerät ins Wanken. Die Transfers könnten mittelfristig sinken. Und da kommen wir zum ökonomischen Empfinden. In einer Transfergesellschaft ist es folgerichtig anzunehmen, dass wenn mehr Leute in das Verteilungssystem drängen, es weniger zu verteilen gibt. Ein klassisches Nullsummenspiel. Fremdenfeindlichkeit wäre im Sinne der Nullsumme wirtschaftlich sogar sachlogisch. Eine 1+1=3-Erfahrung fehlt in der ostdeutschen Wirtschaftserzählung völlig. Es wurde eigentlich immer nur darauf geschaut, was noch zum Westniveau fehlt.
Niemals wurde erzählt, wie weit man eigentlich von Polen oder Tschechien entfernt ist. AfD und BSW bespielen das hervorragend. Wenn mehr Leute zu euch kommen, geht es euch schlechter. Im Klartext heißt die Forderung: „Süddeutschlands Zahlungen in den Finanzausgleich nur für Deutsche“. 50 Prozent der Wähler im Osten wollen die Westbindung und die EU auflösen. Sie finden eine wirtschaftliche Bindung an Russland sogar sinnvoller als an die USA. Das ist bemerkenswert. Würde es doch das Geschäftsmodell der Transfergeber endgültig zerstören. Seit die BRD in der NATO ist und die EU für einen starken Wirtschaftsraum steht, brummt das Wirtschaftswachstum in Süddeutschland unaufhaltsam. Jedes Land, welches in die NATO eingetreten ist, hat einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg hinter sich. Auch Ostdeutschland ist ein Teil dieser Erfolgsgeschichte. Nur hat dieser Teil Deutschlands einen erheblichen Nullsummen-Bias.
Das BIP pro Kopf ist in den USA von 1991 bis 2023 um den Faktor 3,2 gewachsen. Deutlich mehr als in Deutschland. Die USA scheitern politisch an der Verteilungsgerechtigkeit. Sie scheitern nicht an der wirtschaftlichen Gesamtleistung. Dieser Aufschwung hat drei klare Ursachen.
1. Ein irrer Anstieg der Staatsverschuldung, dessen Geld die Nachfrage ankurbelte.
2. Technologische Innovationen wurden durch privates Kapital gehebelt.
3. 30 Prozent! Bevölkerungswachstum, unter anderem durch Zuwanderung.
Wenn wir diese Vorschläge in Ostdeutschland umsetzen wollten, würde ich auf 90 Prozent Ablehnung wetten. Interessant ist, dass in den USA Wirtschaft auch zunehmend als Nullsumme interpretiert wird. Die Abschottung hat begonnen. Ende offen.
Eine Abschottung des Ostens vom Westen hat jedoch kein offenes Ende. Der Niedergang wäre beschlossene Sache. Die Transferbereitschaft des Westens ist durch die Verfassung und die Moral gedeckt. Aber nur, solange der Osten nicht die verrückte Forderung stellt, sich aus dem Westbündnis zu lösen. Wenn solche Stimmen zu lauten werden, würde die Solidarität enden. „Macht euer Experiment allein, aber ohne unsere Transfers.“
Eine völlig überalterte Gesellschaft bezieht dann billiges Gas aus Russland und löst sich endlich vom Westen. Sie wächst als erste Volkswirtschaft in der Wirtschaftsgeschichte ohne Arbeitskräfte, ohne privates Kapital und ohne Innovationen. Die jungen Menschen aus Dresden, Leipzig und Rostock gehen nach Barcelona oder Berlin und alle internationalen Firmen gehen mit. Dann wäre man endlich genderfrei und die Wirtschaft der rüstigen Rentner mit Lebensleistung funktioniert wieder. Die erste erfolgreiche Nullsummenökonomie der Welt. Lauter Hurrameldungen über die neue Planerfüllung. Zwischen den Zeilen lesen wird dann wieder en vogue. Im Osten nichts Neues.