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Jägerschnitzel. Der Ost-Ost-Blick #1: Alle Jahre wieder

Jeden Herbst rückt der Osten kurz ins Ram­pen­licht: Tag der Deut­schen Ein­heit, Mau­er­fall, Media­the­ken vol­ler DDR-Dokus. Dann ver­schwin­det er wie­der bis zum nächs­ten Mal. Der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Juli­an Nej­kow spürt in sei­ner mehr­tei­li­gen Kolum­ne den Unter­schie­den, Ungleich­hei­ten und Unklar­hei­ten im deutsch-deut­schen Ver­hält­nis nach. Teil eins han­delt vom Ritu­al des Redens über den Osten.

Julian Nejkow, 1988 in Thüringen geboren, ist Deutsch-Bulgare mit Bindestrichidentität. Er hat Politikwissenschaft in Jena und Dresden studiert. Seit 2021 beschäftigt er sich verstärkt mit Ostdeutschland. Abbildung: Paul Glaser

Juli­an Nej­kow, 1988 in Thü­rin­gen gebo­ren, ist Deutsch-Bul­ga­re mit Bin­de­stri­chi­den­ti­tät. Er hat Poli­tik­wis­sen­schaft in Jena und Dres­den stu­diert. Seit 2021 beschäf­tigt er sich ver­stärkt mit Ost­deutsch­land. Abbil­dung: Paul Glaser

Rou­ti­nen geben uns Halt. So wird in vie­len Haus­hal­ten zu Weih­nach­ten das bekann­te Lied „Alle Jah­re wie­der” gesun­gen. Eben­so ist es für uns völ­lig nor­mal, dass wir ab August/September durch Weih­nachts­ge­bäck und Co. in Weih­nachts­stim­mung gebracht wer­den. Vor­freu­de ist ja bekannt­lich die schöns­te Freude.

Eine eben­so mani­fes­tier­te Rou­ti­ne in den ost­deut­schen Lan­den, in denen ich zu Hau­se bin, weckt kei­ne Vor­freu­de in mir, eher macht sie mich aggres­siv. Den ers­ten Akt die­ses Ritu­als haben wir schon hin­ter uns. Der 3. Okto­ber, der „Tag der Deut­schen Ein­heit”, ist ein Fei­er­tag, der eher gewür­felt als his­to­risch gewach­sen ist. Dies­mal fand die Ein­heits­fei­er in Saar­brü­cken statt, der Fest­akt geschmückt von der Rede des fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten sowie vie­ler­lei Kunst und Kul­tur. Die „neu­en Län­der“ nicht nur geo­gra­fisch weit weg, son­dern im Prin­zip auch kaum poli­tisch oder gesell­schaft­lich ver­tre­ten, wie so oft. Auch die Bericht­erstat­tung zum 3. Okto­ber, geprägt von der Rede Macrons sowie den Stär­ken und den Schwä­chen der koket­tier­ten „Ruck­re­de“ des Bun­des­kanz­lers. Der „Osten“ war mal wie­der eine Rand­be­mer­kung wert. Dass die Ren­ten end­lich ange­gli­chen sind, dass dies und jenes auf einem guten Weg ist und am Ende, wie immer, noch eine Sta­tis­tik, die noch Auf­hol­be­darf zeigt. Gar­niert wird die­se Bericht­erstat­tung mit „west­deut­scher Bril­le“ gern mit einem poli­ti­schen Schman­kerl: die Wahl­um­fra­gen in den ost­deut­schen Län­dern, die sämt­lich die AfD vorn wäh­nen und zei­gen, der „Ossi“ hat die Demo­kra­tie immer noch nicht verstanden.

Ob sich jemand bei den Fran­zo­sen ein sol­ches Urteil trau­en wür­de? Wenn man vor­aus­setz­te, dass das Wäh­len von Rechts­po­pu­lis­ten per se ein Demo­kra­tie­de­fi­zit bedeu­ten würde.

Doch zurück zum Ritu­al. Dies­mal haben sich die Medi­en mit Sitz links­sei­tig der Elbe gewapp­net. Arti­kel im Poli­tik- und Kul­tur­teil, selbst das Feuil­le­ton war vol­ler Bei­trä­ge über „den Osten“. Von der ost­deut­schen See­le bis zum Labor-Cha­rak­ter der „neu­en“ Län­der, von Struk­tur­wan­del und Inno­va­ti­on, Nost­al­gie und Dystopien.

Auch der Rund­funk lässt sich nicht lum­pen. In den Media­the­ken unzäh­li­ge Fil­me, Dokus, Pod­casts und aller­lei dazwi­schen und außer­halb, eini­ges über die DDR, eini­ges über die Zeit danach bis heute.

Eini­ge benut­zen den Begriff „neue Län­der”, ande­re „Ost­deutsch­land”, wie­der­um ande­re erfin­den Kunst­be­grif­fe, deren Nen­nung den Rah­men spren­gen würde.

Auf die Idee, die Sach­sen Sach­sen zu nen­nen und die Thü­rin­ger Thü­rin­ger, auf die­se kom­men die wenigs­ten. Wie irre­füh­rend der Ver­such sein kann, etwas Ost­deut­sches in all dem zu fin­den, zeigt das Gegen­bei­spiel: Bay­ern und Baden-Würt­tem­ber­ger pau­schal als Süd­deut­sche zu bezeich­nen und ihnen die­sel­ben Eigen­schaf­ten zuzu­schrei­ben – ein Auf­schrei gin­ge vor allem durch den Süden der Republik.

Die­ser Auf­schrei wür­de wohl län­ger anhal­ten, als der kur­ze media­le Fokus auf den „Osten“, der sei­nen Höhe­punkt stets rund um den 9. Novem­ber fin­det. Dies ist der zwei­te Akt im Ritual.

Dies­mal wird dem Mut der DDR-Bür­ger gehul­digt, eine fried­li­che Revo­lu­ti­on geschafft zu haben. Wir sehen die Bil­der, die wir immer sehen. Wie die Mau­er fällt, die Mas­sen der Men­schen, die Freu­de und irgend­wo ist immer David Has­sel­hoff. Dies­mal, im Ver­gleich zum ers­ten Akt, wer­den Ver­ant­wort­li­che und Zeit­zeu­gen ein­ge­la­den, in Inter­views und Talk­shows, um die Gescheh­nis­se aus ihrer Sicht zu schil­dern – die tur­bu­len­ten Tage, Wochen und Mona­te danach. Weni­ge von ihnen, vor allem von den Ver­ant­wor­tungs­trä­gern rund um den Mau­er­fall, spiel­ten bei der Aus­hand­lung oder gar der Unter­zeich­nung des Eini­gungs­ver­trags, der am 3. Okto­ber 1990 in Kraft trat, eine Rol­le, was wie­der­um erklärt, wes­halb die 3.-Oktober-Jahrestag-Routine eine ande­re ist.

So kommt es nicht sel­ten vor, dass spä­tes­tens am 11. Novem­ber zur Eröff­nung des Kar­ne­vals in eini­gen Tei­len der Repu­blik das Buch „Ost­deutsch­land” so schnell als mög­lich zuge­schla­gen wird.

Geöff­net wird es nur noch, wenn erneut der „Brau­ne” oder der „Blaue” in Erschei­nung tritt oder Chem­nitz Kul­tur­haupt­stadt ist. Ansons­ten gilt die Zeit zwi­schen 3. Okto­ber und 9. Novem­ber als „Ost­ti­me“ und das „Alle Jah­re wie­der“, auch nächs­tes Jahr. Das ist so sicher wie der Leb­ku­chen im August in den Rega­len. Rou­ti­nen geben uns eben Halt.

BUCHTIPP:

Juli­an Nej­kow: „Höl­len­jah­re – von jetzt auf gleich”, epu­b­li, Ber­lin 2024, 336 Sei­ten, 19,90 € (Soft­co­ver).

Mehr Infor­ma­tio­nen unter Ölbart.de.

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