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Kowalczuk mit ordentlich Krawall: Ohrfeige für Ostdeutsche in Opferrolle

Der His­to­ri­ker Ilko-Sascha Kowal­c­zuk zählt zu den popu­lärs­ten Ost­deutsch­land-Exper­ten. Er ver­öf­fent­licht am lau­fen­den Band. Kowal­c­zuk wur­de schon als His­to­ri­ker-Punk bezeich­net. Sein Mar­ken­zei­chen ist es aus­zu­tei­len. Das stellt er in sei­nem aktu­el­len Buch „Frei­heits­schock“ ein­drück­lich unter Beweis.

Vie­le Ost­deut­sche erlit­ten im Herbst 1989 einen „Frei­heits­schock“. Der Pro­zess der Wie­der­ver­ei­ni­gung wur­de von ihnen als Zumu­tung und nicht als Befrei­ung emp­fun­den. Das ist die Aus­gangs­the­se von Ilko-Sascha Kowal­c­zuk. Zur Ver­deut­li­chung ver­gleicht der His­to­ri­ker den Bei­tritt zum Bun­des­ge­biet mit der Öff­nung eines Gefäng­nis­ses. Nach ihr sei­en die Insas­sen mit sich allein­ge­las­sen wor­den – ohne Reso­zia­li­sie­rung, ohne Hil­fe und Mit­tel, die neue Welt da drau­ßen zu ver­ste­hen und an ihr ange­mes­sen teilzunehmen.

Kowal­c­zuk, ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter der Stif­tung zur Auf­ar­bei­tung der SED-Dik­ta­tur, dia­gnos­ti­ziert Ost­deutsch­land eine dik­ta­tur­ge­schä­dig­te, dis­kus­si­ons­un­fä­hi­ge, selbst ver­schul­de­te Unmün­dig­keit, die sowohl an das Stock­holm-Syn­drom als auch an Arnulf Barings Vor­wurf der „Ver­zwer­gung“ der DDR-Bür­ger durch ihren Staat erin­nert. Jeg­li­che Form der Ost­al­gie ver­bie­te sich. Die Dik­ta­tur des SED-Regimes sei von Natio­na­lis­mus, Mili­ta­ris­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus geprägt gewe­sen. Außer­dem ging sie schä­big mit Alten und Behin­der­ten um.

Der Autor möch­te auf­rüt­teln. Dazu spit­ze er bewusst zu. Er schrei­be mit Wut im Bauch, wenn­gleich nicht mit so viel davon wie „Wutseller“-Autor Dirk Osch­mann. Und hier sind wir bei einem roten Faden, der das Buch auf unan­ge­neh­me Wei­se durch­zieht und prägt. Kowal­c­zuk pole­mi­siert gegen so ziem­lich jeden, der auch nur ein gutes Haar an der DDR oder Ost­deutsch­land lässt. So wer­den nicht nur AfD, BSW und SED/PDS/Linkspartei zur Ziel­schei­be, son­dern zum Bei­spiel auch (in alpha­be­ti­scher Reihenfolge):

  • Ber­li­ner Zei­tung: „Ber­lins­ka­ja Praw­da“ und das DDR-Nost­al­gie­blatt schlechthin
  • Chris­toph Dieck­mann: ver­wi­sche den Unter­schied zwi­schen Dik­ta­tur und Demokratie
  • Jen­ny Erpen­beck: „Ost­deutsch­tü­me­lei“!
  • Chris­toph Hein: habe den Eli­ten­aus­tausch von 1935 mit dem von 1990 gleichgesetzt
  • Kat­ja Hoyer: eklek­ti­sche Weich­zeich­nung der SED-Dik­ta­tur, wel­che Sta­sis­eil­schaf­ten sicher gefalle
  • San­dra Hül­ler: ver­klä­re die DDR
  • Leip­zi­ger Auto­ri­ta­ris­mus-Stu­di­en: lah­men der Zeit hinterher
  • Stef­fen Mau: habe sich erst 2019 des The­mas Ost­deutsch­land ange­nom­men, sei­ne „Trig­ger­punk­te“ erzähl­ten nichts Neu­es, das Werk des ver­gleichs­wei­se unbe­kann­ten Raj Koll­mor­gen sei besser
  • Chris­ti­na Mori­na: über­neh­me eine unzu­tref­fen­de Selbst­dar­stel­lung des DDR-Regimes und ver­wäs­se­re den Unter­schied zwi­schen Demo­kra­tie und Diktatur
  • Alex­an­der Osang: stel­le sich immer selbst in den Mit­tel­punkt und habe wie sei­ne Frau für das SED-Blatt Ber­li­ner Zei­tung gearbeitet
  • Dirk Osch­mann: habe sich vor sei­nem Buch nie zu Ost­deutsch­land geäu­ßert und erzäh­le nichts Neu­es, das aber so laut wie die Populisten
  • Ramm­stein: DDR-Verherrlicher
  • Anja Reich-Osang: habe die USA ein­sei­tig nega­tiv beschrieben
  • Mat­thi­as Sam­mer: habe sei­ne Tätig­keit als Unter­of­fi­zier im Sta­si-Wach­re­gi­ment als alter­na­tiv­los bezeichnet
  • Kata­ri­na Witt: Ostalgikerin
  • Chris­ta Wolf: IM „Mar­ga­re­te“ habe ihr Schick­sal nach 1990 mit dem von jüdi­schen Emi­gran­ten 1933 verglichen

Loben­de Wor­te gibt es im Grun­de nur für Mit­her­aus­ge­ber Raj Koll­mor­gen, sei­nen Freund Wolf Bier­mann und sei­ne Frau Sus­an Arndt, die mit dem eben­falls 2024 erschie­ne­nen Buch „Ich bin ost­deutsch und gegen die AfD“ ins glei­che Horn wie ihr Mann bläst: Die DDR war anti­se­mi­tisch, ras­sis­tisch, sexis­tisch. Men­schen mit Behin­de­rung wur­den dis­kri­mi­niert und gefol­tert. Die Stel­lung der Frau in der DDR wer­de voll­kom­men über­trie­ben dar­ge­stellt. In Wahr­heit wur­den sie geschla­gen, ent­führt und ver­ge­wal­tigt. Auch im Stil gibt es Gemein­sam­kei­ten: Jedes „Ja, aber ..“ wird dem Leser ver­bo­ten, denn Zwei­fel ver­kör­pert hier die Figur eines unre­flek­tier­ten West­deut­schen. Und auf eine Stu­fe mit die­sem Udo will kein Leser gestellt werden.

Aber zurück zu Kowal­c­zuk. Obwohl er den Vor­wurf gern selbst erhebt, ist das meis­te in „Frei­heits­schock“ nicht neu. Wesent­li­che Pas­sa­gen ste­hen sogar schon in sei­nem sehr zu emp­feh­len­den Buch „Die Über­nah­me“ von 2019. Ganz ähn­lich brach­te übri­gens Stef­fen Mau mit „Ungleich ver­eint“ 2024 ein Buch her­aus, das wesent­lich auf dem nicht weni­ger emp­feh­lens­wer­ten „Lüt­ten Klein“ von 2019 (und auf „Trig­ger­punk­te“ von 2023) basiert. Obwohl Kowal­c­zuk Dirk Osch­mann Markt­schreie­rei vor­wirft, macht er eigent­lich nichts ande­res. Das wird übri­gens nicht bes­ser, wenn man selbst dar­auf hin­weist. Am pro­ble­ma­tischs­ten aber ist die Ver­un­glimp­fung so vie­ler Per­sön­lich­kei­ten, die auch – und zwar durch­aus dif­fe­ren­ziert – zum The­ma Ost­deutsch­land ver­öf­fent­licht haben. Anecken mag ein Per­sön­lich­keits­merk­mal des Autoren sein – zuletzt hat er Bun­des­prä­si­dent Frank-Wal­ter Stein­mei­er in einem offe­nen Brief zum Rück­tritt auf­ge­for­dert sowie Ex-Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Thier­se und 1.-FC-Union-Berlin-Präsident Dirk Zin­gler ange­zählt. Hier aber wirkt es wie aus nie­de­ren Beweg­grün­den her­aus entstanden.

Kowal­c­zuk kri­ti­siert Undif­fe­ren­ziert­heit. Aber es scheint ihm nicht in den Sinn zu kom­men, dass die Äuße­run­gen der von ihm Kri­ti­sier­ten oft auch Reak­tio­nen sind – etwa auf Erklä­run­gen aus dem Wes­ten, wie man sei­ne DDR-Ver­gan­gen­heit zu bewer­ten habe.

Die Ost­deut­schen haben für Kowal­c­zuk nicht ver­stan­den, dass Demo­kra­tie auf Kom­pro­mis­sen basiert und nicht auf Kon­sens oder Kon­sent. Hier ent­geht dem Autor die Mög­lich­keit, dass das vie­le Ost­deut­sche das durch­aus begrif­fen haben könn­ten, die­ses Ver­fah­ren aber unge­eig­net fin­den für die Lösung der aktu­el­len Pro­ble­me. Kom­pro­mis­se – vor allem sol­che, in denen sich kei­ner mehr wie­der­fin­det – kön­nen ein Land in den Still­stand ver­set­zen. Die Ost­deut­schen haben die Vor­stel­lung vom Kom­pro­miss als einem Ide­al nicht mit der Mut­ter­milch auf­ge­so­gen. Hier gibt es trotz allem Klein­bür­ger-Ego­is­mus eine Sehn­sucht nach Ent­schei­dun­gen zum Woh­le des Lan­des, die unter Ver­nünf­ti­gen offen­sicht­lich not­wen­dig sind. Eine Sehn­sucht, die nicht die nach einem Füh­rer ist, der macht, was er will.

Vie­le Zah­len, Fak­ten, Zusam­men­hän­ge in „Frei­heits­schock“ sind erhel­lend. Vie­le Stand­punk­te sind plau­si­bel, auch wenn man­cher hier ande­rer Mei­nung sein mag. Etwa, dass die meis­ten Ost­deut­schen für den Mau­er­fall nichts konn­ten, weil sie hin­ter der Gar­di­ne blie­ben und abwar­te­ten. Dass ihnen die Frei­heit geschenkt wur­de und sie sich die­se nicht erkämpft haben. Den Höhe­punkt der fried­li­chen Revo­lu­ti­on datiert Kowal­c­zuk auf den 9. Okto­ber, nicht auf den 9. Novem­ber 1989. Er spricht von „Ver­än­de­rungs­er­schöp­fung“ und „Trans­for­ma­ti­ons­schock“ statt von „Trans­for­ma­ti­ons­kom­pe­tenz“. Und es ist abso­lut nach­voll­zieh­bar, dass er den Aspekt der Eigen­ver­ant­wor­tung betont.

Wer aber den oft für ihre Zurück­hal­tung belä­chel­ten Ost­deut­schen unter­stellt, sich gern als Mit­tel­punkt der Welt dar­zu­stel­len und ihre Erfah­run­gen für ein­zig­ar­tig zu hal­ten, sowie von „Osch­män­ner und Osch­frau­en“ spricht, die sich wie bocki­ge Kin­der in ihrer Opfer­rol­le aalen, der kann bestimmt auch ein­ste­cken: Kra­wallch­uks Buch ist eine Ohr­fei­ge für alle Ost­deut­schen in der Opfer­rol­le. Lei­der über­sieht es, dass sich vie­le tat­säch­lich in ihr befin­den. Sie muss­ten bei null anfan­gen und eine fort­dau­ern­de struk­tu­rel­le Benach­tei­li­gung hin­dert sie an einem erfolg­rei­chen Lebens­weg in blü­hen­den Land­schaf­ten. Für Kowal­c­zuk war die DDR Euro­pas größ­tes Frei­luft­ge­fäng­nis nach 1945. 1989 wur­de es geöff­net und die Insas­sen wur­den sich selbst über­las­sen. Kowal­c­zuk kri­ti­siert nun die­je­ni­gen von ihnen, die noch immer kei­ne ordent­li­chen Wes­sis gewor­den sind.

Ilko-Sascha Kowal­c­zuk: „Frei­heits­schock. Eine ande­re Geschich­te Ost­deutsch­lands von 1989 bis heu­te”, C. H. Beck 2024, 240 Sei­ten (Hard­co­ver), 22,00 €.

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