Die Berliner Wirtschaft lebt vom Mittelstand. In rund 8.600 Unternehmen räumen allerdings demnächst die Inhaber ihren Chefsessel. Finden sich keine Nachfolger, droht ein Firmensterben. Die Berliner Nachfolgezentrale will Abhilfe schaffen. Ein Beitrag von Wirtschaft+Markt.

Das Team der Nachfolgezentrale Berlin: Thomas Gütschow, Susanne Kluttig und Dr. Christian Schuchardt (v. l. n. r.). Abbildung: Bürgschaftsbank
Mit der Nachfolgezentrale gibt es in Berlin erstmals eine zentrale Anlauf- und Vermittlungsstelle für Unternehmensnachfolgen. Getragen wird das Projekt von der IHK Berlin, der Handwerkskammer Berlin sowie der Bürgschaftsbank Berlin, unter deren Dach die Nachfolgezentrale angesiedelt ist. Die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe ist ebenfalls mit an Bord. Mit der Anlaufstelle für nachfolgesuchende Unternehmen greifen die Projektpartner das bereits in Mecklenburg-Vorpommern erfolgreich etablierte Modell einer Nachfolgezentrale auf. Auch die Software, die den Matching-Prozess zwischen Unternehmen und potenziellen Nachfolgekandidaten unterstützt, wurde von der Nachfolgezentrale Mecklenburg-Vorpommern übernommen und erweitert.
8.600 Unternehmen auf Nachfolgersuche
In den nächsten zwei Jahren, so schätzen die Projektpartner, werden rund 8.600 Unternehmen in Berlin eine Nachfolgeregelung finden müssen. Laut Mittelstandsatlas der KfW-Bankengruppe sind die Inhaber im Berliner Mittelstand im Durchschnitt 53 Jahre alt. 16 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen in der Hauptstadt planen eine Nachfolge innerhalb von fünf Jahren. Von diesen streben 53 Prozent eine Familiennachfolge, 43 Prozent eine externe und 35 Prozent eine firmeninterne Lösung an. In einer Umfrage der Berliner IHK unter Berliner Unternehmen, die ein Beratungsinteresse beim Thema Nachfolge signalisiert haben, gaben fast 60 Prozent der Befragten an, eine externe Lösung für die Unternehmensnachfolge zu benötigen. Für 80 Prozent der Umfrageteilnehmer gilt der Suchprozess nach einem passenden Nachfolger als größte Herausforderung.
Diese Suche will die Nachfolgezentrale Berlin nun vereinfachen und unterstützen. Im September 2024 gestartet, stößt sie mittlerweile auf reges Interesse. Ende Februar 2025 hatten sich bereits 194 Unternehmen auf Nachfolgesuche registriert. Noch größer ist die Zahl der potenziellen Übernehmer: Hier haben sich bereits 525 Interessenten angemeldet. Hinzu kommen 77 Netzwerkpartner. Dahinter verbergen sich Steuerberater, Rechtsanwälte oder Banken, die im Namen ihrer Mandanten agieren. „Dass sich mehr Nachfolgeinteressierte als Unternehmen registriert haben, ist überraschend“, sagt Thomas Gütschow, Senior Referent und gemeinsam mit Dr. Christian Schuchardt, ebenfalls Senior Referent, verantwortlich bei der Nachfolgezentrale Berlin. Zum einen, glaubt Gütschow, sind die potenziellen Nachfolger jünger und daher oftmals affiner für Angebote im Internet, zum anderen ist die Registrierung für die Nachfolger niederschwelliger, da sie zunächst nicht so viele Daten offenlegen müssen.
Die Mehrheit der registrierten Unternehmen sind entsprechend der Wirtschaftsstruktur der Stadt im Dienstleistungssektor zu finden. Sie machen rund 50 Prozent aus, gefolgt vom Handwerk inklusive Baugewerke, dem produzierenden Gewerbe und Handelsunternehmen. Die durchschnittliche Umsatzgröße der Unternehmen beträgt rund 1,3 Millionen Euro. Die Betriebsgröße liegt im Durchschnitt bei 11,8 Beschäftigten. In Summe gilt es, bei den in der Nachfolgezentrale angemeldeten Unternehmen 1.880 Arbeitsplätze durch eine Nachfolgelösung zu erhalten.

Unternehmer Bernhard Deutz, der Geschäftsführer der Bürgschaftsbank Berlin Steffen Hartung und Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (v. l. n. r.) bei der Eröffnung der Nachfolgezentrale. Abbildung: Bürgschaftsbank
Zahl der Anmeldungen wächst
Thomas Gütschow freut sich, dass das Angebot einen Nerv getroffen hat: „Es kommen monatlich 40 bis 60 Registrierungen neu hinzu, sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Nachfolgeinteressierten.“ Die Nachfolgezentrale ist eine Chance, die dezentralen Strukturen des Berliner Mittelstands zu erhalten. Der Mittelstand, betont Gütschow, sorgt in der Hauptstadt auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt, sozialen Frieden, für Ausbildungs- und Arbeitsplätze und für einen großen Teil des Steueraufkommens.
Unternehmer, die einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin suchen, können sich in der Nachfolgezentrale kostenfrei registrieren. Dort werden dann die wichtigsten wirtschaftlichen Kenndaten des Unternehmens abgefragt, aber beispielsweise auch die Vorstellungen des Unternehmers hinsichtlich der Qualifikation eines möglichen Nachfolgers. „Die zur Verfügung gestellten Daten werden strikt vertraulich behandelt“, versichert Thomas Gütschow. „Der gesamte Prozess läuft sehr diskret.“ Der Unternehmer muss sich weit weniger in der Öffentlichkeit offenbaren, als es bei anderen Nachfolgeplattformen der Fall ist. Die Nachfolgezentrale operiert aber nicht nur virtuell. Nach der Registrierung wird zeitnah das persönliche Gespräch gesucht, um die Unternehmensangaben noch einmal zu präzisieren. Auf der anderen Seite können potenzielle Interessenten ihre Vorstellungen zum gesuchten Unternehmen hinterlegen. Die Nachfolgezentrale stellt dann das Matching her und leitet die vertrauliche Kontaktanbahnung zwischen potenziellen Übergebern und Übernehmern ein.
Bei der Nachfolge spielt der Kaufpreis eine zentrale Rolle. Thomas Gütschow hat aber darüber hinaus einen bemerkenswerten Aspekt in der Nachfolgefrage in Berlin festgestellt: „Viele Unternehmer möchten gern, dass das Lebenswerk fortgeführt wird und sich die Beschäftigten keine Sorge um ihre Zukunft machen müssen. Sie wünschen sich, dass der Nachfolger auch den sozialen Aspekt der Übernahme berücksichtigt. Das ist vielen wichtiger als eine reine Kaufpreismaximierung.“
Auf der Seite der Interessenten bilden sich bei den Anmeldungen in der Nachfolgezentrale drei unterschiedliche Gruppen heraus. Zum einen jene, die das Unternehmen operativ selber führen wollen. „Typisch ist beispielsweise im Handwerk der Jungmeister, der seine Potenziale nutzen will und eine Nachfolge einer Eigengründung vorzieht“, erläutert Gütschow. Zudem merken viele Angestellte im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, dass die Aufstiegsmöglichkeiten in ihren Unternehmen ausgeschöpft sind und möchten deshalb einen Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Seltener sind reine Finanzinvestoren. Hingegen ein wachsender Trend: Bestandsunternehmen, die bereits am Markt etabliert sind und durch einen Zukauf weiter wachsen und ihr Portfolio ausweiten wollen. Ende Februar konnte die Nachfolgezentrale bereits 64 Matches vermelden, die sich zum Teil schon in weit fortgeschrittenen Gesprächen befinden.

Steffen Hartung, Geschäftsführer der Bürgschaftsbank Brandenburg (l.), gratuliert Unternehmer Bernhard Deutz und Nachfolger Jürgen Boß (r.) zur gelungenen Unternehmensübergabe. Abbildung: Bürgschaftsbank
Erfolgreiche Suche dank Medieninteresse
Eine erfolgreiche Vermittlung fand in gewisser Weise bereits im Vorfeld des Starts der Nachfolgezentrale statt. Bei der offiziellen Präsentation des Projekts, der auch Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey beiwohnte, stellte Bernhard Deutz, Inhaber von „Die Klangwerkstatt Bernhard Deutz“, die Nachfolgeproblematik aus Unternehmersicht dar. 37 Jahre hat Deutz in seinem Unternehmen erfolgreich Instrumente für die Musik- und Klangtherapie entwickelt und hergestellt. Das Angebot seines kleinen Betriebes umfasst zudem Seminare zum Selbstbau der Instrumente und Klangkurse. Die Instrumente, aufwendig gestaltet und mit ausgesuchtem feinjährigen Tonholz von Hand gearbeitet, haben über Berlin hinaus ein Alleinstellungsmerkmal.
Vor seinem 70. Lebensjahr suchte der Firmengründer nun für seinen Betrieb mit drei Mitarbeitenden im Prenzlauer Berg einen motivierten Nachfolger. „Ich suche seit über einem Jahr sehr intensiv nach einer Nachfolgelösung. Es muss nicht unbedingt ein Instrumentenbauer sein, da die handwerkliche Seite durch die Mitarbeiter gut abgedeckt ist“, erläuterte Deutz bei der Gründungsveranstaltung der Nachfolgezentrale. Doch Inserate in Fachzeitschriften und eine Anmeldung in der Nachfolgebörse nexxt-change blieben ohne Erfolg. Deutz nahm auch das Förderprogramm „Coaching Bonus“ der Investitionsbank Berlin in Anspruch, durch das er Zuschüsse für eine Beratung bei seiner Nachfolgesuche erhielt. Dass dieses Programm nun eingestellt wird, hält Deutz für einen Fehler.
Mittlerweile hat er aber sein Unternehmen erfolgreich in die Hände eines Nachfolgers übergeben können. Auslöser war seine Firmenpräsentation im Rahmen der Eröffnung der Nachfolgezentrale Berlin. Denn die umfangreiche Berichterstattung in den Medien machte gleich mehrere potenzielle Übernehmer auf den Betrieb aufmerksam. „Am Ende konnte ich unter zwei Kandidaten aussuchen“, sagt Deutz. Seit Mitte Februar leitet nun Jürgen Boß als neuer Inhaber die Geschicke der Klangwerkstatt. Sein Nachfolger ist kein ausgebildeter Instrumentenbauer, bringt aber als gelernter Maschinenbauer und ehemaliger Produktmanager in der Industrie Erfahrung in der Herstellung und im Vertrieb von Produkten mit und ist zudem selbst Musiker. Deutz zieht sich nun sukzessive aus dem Unternehmen zurück. „Ich bin aber noch nicht im Rentnermodus, führe bis zum Ende des Jahres beispielsweise noch als Dozent die Anwendungsseminare in der Klangwerkstatt durch“, erzählt Deutz, der sich aber auf seinen Ruhestand freut: „Es war mein großer Wunsch, mehr Zeit zu haben.“
Informationen für Nachfolgesuchende in Berlin
Nachfolgezentrale Berlin In Zusammenarbeit mit den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern in Berlin bietet die Nachfolgezentrale Berlin regelmäßig Beratungssprechtage in den Kammerbezirken an. Termine gibt es auf der Webseite. Bürgschaftsbank Berlin Die Bürgschaftsbank Berlin bietet auf ihrem Portal eine Checkliste zur Nachfolge und einen Unternehmenswertrechner an. Industrie- und Handelskammer Informationen der Industrie- und Handelskammer Berlin finden sich hier. Unternehmensnachfolge in Ostdeutschland Weitere Informationen und Ansprechpartner für Erstberatung, Finanzierung und Matching aus den ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin stehen auf der Seite der Initiative Nachfolge Ostdeutschland NFOst.de bereit. |
Ein Beitrag des Redaktionsnetzwerks Wirtschaft+Markt.