Jährlich stehen bei rund 760 Firmen im Freistaat Thüringen Unternehmensnachfolgen an. Derzeit sind es dort rund 1.500 Betriebe, deren Inhaber oder Geschäftsführer älter als 55 Jahre sind. Schätzungen belegen, dass gut ein Viertel dieser Unternehmen, die eine Nachfolge planen, am Ende stillgelegt werden. Das Kammernetzwerk Unternehmensnachfolge will das ändern. Ein Beitrag von Wirtschaft+Markt.

Erfurt ist ein zentraler organisatorischer und infrastruktureller Knotenpunkt für die Nachfolgeunterstützung in Thüringen. Abbildung: Val_th, Depositphotos
Der Verlust von Unternehmen durch gescheiterte Nachfolgen ist ein dringliches Problem im Freistaat. „Dadurch sind jedes Jahr in Thüringen mehrere Hundert Arbeitsplätze bedroht“, sagt Thüringens Wirtschaftsstaatssekretär Mario Suckert. Er bezieht sich dabei auf die Erhebungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM Bonn), demzufolge 760 Unternehmen pro Jahr in Thüringen eine Nachfolgelösung anstreben.
Um Schließungen entgegenzuwirken, haben die Thüringer Wirtschaftskammern ein gemeinsames Beratungsprojekt, das Kammernetzwerk Unternehmensnachfolge, ins Leben gerufen. Es ist unter dem Dach des Thüringer Zentrums für Existenzgründungen und Unternehmertum (ThEx) in Erfurt angesiedelt, arbeitet aber im gesamten Bundesland. Es ist die primäre Anlaufstelle zu allen Fragen der Unternehmensnachfolge zwischen Harz und Thüringer Wald.
Das Thüringer Wirtschaftsministerium unterstützt das ThEx-Kammernetzwerk im Zeitraum von 2022 bis 2025 mit 1,9 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus sowie aus Landesmitteln. Durch die finanzielle Unterstützung des Landes können die Angebote des Kammernetzwerks kostenfrei angeboten werden. Das Projekt wird aufgrund der hohen Nachfrage verlängert, mindestens bis zum 31. Dezember 2027.

Beim ThEx-Award werden jährlich auch die besten Unternehmensnachfolgen in Thüringen ausgezeichnet. Abbildung: Thomas Müller
„Gemeinsam mit den Förderprogrammen der Thüringer Aufbaubank ist das eine gute staatliche Unterstützung für das Thema Nachfolge“, sagt Mandy Zirk. Sie ist Projektleiterin des Kammernetzwerks Unternehmensnachfolge und hält die Bündelung der Kräfte für unverzichtbar: „Das Thema Nachfolge ist gerade in Thüringen und in Ostdeutschland wegen der zahlreichen nach 1990 gegründeten Unternehmen besonders drängend. Zudem ist auch Thüringen vom demografischen Wandel stark betroffen. Es fehlen junge Menschen für die Nachfolge.“
Laut KfW-Mittelstandsatlas sind die Inhaber der thüringischen KMU im Durchschnitt 52 Jahre alt und können auf 25 Jahre Branchenerfahrung zurückgreifen. Die Unternehmen sind zu 16 Prozent frauengeführt. Im Jahr 2023 verzeichnete das Statistische Bundesamt 75.000 Unternehmen im Freistaat, davon waren 65.000 Kleinunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden. Die meisten waren im Baugewerbe, im Handel und in der Kfz-Branche tätig.
Demografischer Wandel in Thüringen
Für Thüringen wird bis zum Jahr 2050 ein Bevölkerungsrückgang um 14 Prozent prognostiziert. Damit trifft der demografische Wandel das Land im bundesweiten Vergleich besonders hart. Nur in Sachsen-Anhalt fallen die Prognosen zum Bevölkerungsschwund noch ungünstiger aus. Allein deshalb wird die Lücke zwischen den in Ruhestand gehenden Firmeninhabern und potenziellen Übernehmern weiter wachsen.
Die überalterte Unternehmerschaft wirkt sich auch auf die Attraktivität der Unternehmen aus. Denn einer Untersuchung der KfW-Bank zufolge sind ältere Wirtschaftstreiber weniger investitionsfreudig. Ungeklärte Nachfolgefragen erweisen sich dabei als noch größeres Investitionshemmnis. Das zeigt sich daran, dass es laut der Studie eine überaus positive Wirkung auf die Investitionsfreude hat, wenn sich ein Unternehmer bereits in Verhandlungen mit einem potenziellen Nachfolger befindet.
Durch die Bündelung der Aktivitäten der Wirtschaftskammern ist es aber gelungen, das Thema Nachfolge in Thüringen stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. „Es ist ein Riesenvorteil“, sagt Mandy Zirk. „So können wir die Nachfolgefrage auch viel direkter in die Politik einbringen.“
Nachfolgesuche wird zunehmend komplexer
Im Nachfolgereport 2024, einer Umfrage des Kammernetzwerks Unternehmensnachfolge unter thüringischen Unternehmern älter als 55 Jahre, wird deutlich, dass die Anforderungen an die Nachfolge, etwa in bürokratischer Hinsicht, in den letzten Jahren komplexer geworden sind. Ohne Beratung von Experten sind Nachfolgen kaum zu bewältigen. Die notwendigen Informationen beziehen die Unternehmen vor allem über ihre Steuerberater, über das Internet oder die thüringischen Wirtschaftskammern. Ein weiterer Befund der Befragung: Gegenüber einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2017 ist die Zahl der Unternehmen, die eine Schließung in Betracht ziehen, auf rund 26 Prozent gestiegen. Damit folgt Thüringen einem bundesweiten negativen Trend bei der Unternehmensnachfolge.
Die Zahl der Unternehmer, die eine Nachfolge suchen, hat entsprechend abgenommen. Als Gründe für diese Entwicklung werden der demografische Wandel und die damit verbundenen Schwierigkeiten, einen passenden Übernehmer zu finden, genannt, ebenso die bürokratischen Hürden und höhere Finanzierungskosten, die potenzielle Nachfolger abschrecken. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage zeigt, dass die Unternehmen in Thüringen entgegen dem allgemeinen Rat der Experten vermehrt zu einer eher kurzfristigen Nachfolgeplanung neigen, die oft nur bis drei Jahre Vorbereitungszeit umfasst.
„In Thüringen gestaltet sich die Nachfolgesuche vor allem in Handel und in der Gastronomie im ländlichen Raum schwierig. Der stationäre Handel ist durch die Konkurrenz des Online-Handels ohnehin unter Druck“, erklärt Nachfolgeexpertin Mandy Zirk. Bei der Nachfolgesuche im Handwerk wirke sich vor allem der Fachkräftemangel negativ aus.
Gefragter sind Unternehmen aus der Industrie. Nachfolgeinteressierte sind hier im Schnitt um die 40 Jahre alt, haben bereits Führungserfahrung gesammelt und verfügen über eine betriebswirtschaftliche Ausbildung. Oft ist ihr Interesse daher auch branchenunabhängig. Im Handwerk geht die Tendenz eher zu jüngeren Nachfolgern im Alter von Mitte oder gar Anfang 30. Ein weiterer Trend ist der Zukauf von zur Übergabe anstehenden Unternehmen. „In diesen Fällen ist die Nachfolge im Rahmen eines Zukaufs ein probates Mittel, um dem Fachkräftemangel zu begegnen“, sagt Mandy Zirk.
Trotz aller Hindernisse sieht Thüringens Wirtschaftsstaatssekretär Mario Suckert das Land beim Thema Nachfolge auf einem guten Weg. So liege Thüringen beim Anteil von Übernahmen an allen Gewerbeanmeldungen seit 2009 deutlich über dem bundesdeutschen Durchschnitt, das heißt, bei einem besonders hohen Anteil an neu angemeldeten Unternehmen handelt es sich um gelungene Betriebsübernahmen. Im Jahr 2024 lag diese Quote bei knapp neun Prozent und damit deutlich vor dem zweitplatzierten Bundesland Schleswig-Holstein (7,8 Prozent). „Das zeigt: Unsere Unterstützungsangebote greifen und tragen dazu bei, dass aussichtsreiche Unternehmen weiter in der Erfolgsspur bleiben können“, zieht Suckert eine positive Bilanz.
Vielfältige Hilfestellung für Unternehmer
Zu den Unterstützungsangeboten gehören die vielfältigen Aktivitäten des ThEx-Kammernetzwerk Unternehmensnachfolge. So veranstaltet das Kammernetzwerk unter anderem seit 2010 eine Roadshow zur Beratung und Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Übernehmern. Sie ist Teil der Thüringer Nachfolgewoche, die thüringenweit über die Möglichkeiten der Unternehmensübergabe informiert. Die Veranstaltungen dienen häufig als erster Impuls für Unternehmer, um sich bei den Kammern oder bei Beratern weiter zu informieren.
Darüber hinaus verleiht das ThEx jährlich den ThEx-Award, einen Gründerpreis, der in einer gesonderten Kategorie auch erfolgreiche Nachfolgelösungen würdigt. Das Kammernetzwerk versucht zudem, vor allem Frauen für das Thema Nachfolge als Zielgruppe zu aktivieren. Dazu nimmt das Netzwerk auch am Nationalen Aktionstag zur Unternehmensnachfolge durch Frauen unter dem Motto „Nachfolge ist weiblich!“ teil. Auch an den Hochschulen in Thüringen informiert das Kammernetzwerk über das Thema.
Darüber hinaus wenden sich einzelne Kammern im Land mit weiterführenden Angeboten aktiv an die Unternehmerschaft. Die IHK Erfurt hat beispielsweise einen Nachfolge-Club ins Leben gerufen. Hier werden kostenfrei Übernahmeinteressierte mit ihren Qualifikationen, ihren Wünschen hinsichtlich Branchen und Regionen in einen Datenpool aufgenommen. Die Kammer gleicht die Daten der Nachfolgeinteressierten dann mit möglicherweise passenden Unternehmen ab. Für die Mitglieder des Nachfolge-Clubs gibt es zusätzlich exklusive Veranstaltungen zu dem Thema. „Der Nachfolge-Club wird gut nachgefragt“, bestätigt Mandy Zirk. Eine Ausweitung auf andere Kammern im Land ist geplant. Auch die Betriebsbörse der Handwerkskammer Erfurt unterstützt Kammermitglieder bei der Nachfolgesuche.
Informationen für Nachfolgesuchende in Thüringen Informationen des Thüringer Zentrum für Existenzgründungen und Unternehmertum (ThEx) finden sich hier. Informationen des Nachfolge-Clubs der IHK Erfurt finden sich hier. Informationen der Betriebsbörse Handwerkskammer Erfurt finden sich hier. Informationen der Thüringer Aufbaubank finden sich hier. Unternehmensnachfolge in Ostdeutschland |
Ein Beitrag des Redaktionsnetzwerks Wirtschaft+Markt.