Der Arbeitsmarkt in den ostdeutschen Bundesländern hat deutlich aufgeholt, die Stimmung bleibt aber getrübt – eine Bilanz der Bertelsmann Stiftung.
Seit Mitte der 2000er-Jahre ist die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland deutlich gesunken und die Erwerbstätigkeit erheblich gestiegen. Auch der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor nimmt ab. Dennoch gibt es hier weiterhin Baustellen: die zu niedrige Produktivität, das geringere Lohnniveau und das anhaltende Gefühl, benachteiligt zu sein. Das geht aus einer Studie „Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts“ der Bertelsmann Stiftung hervor.
„Besonders negativ wirkte sich aus, dass verstärkt junge Erwachsene abwanderten, insbesondere junge Frauen. Das beschleunigt die gesellschaftliche Alterung der ostdeutschen Bevölkerung“, so Roman Wink, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung. Insgesamt hat der Osten seit der Wiedervereinigung mehr als 731.000 Menschen unter 25 Jahren verloren. Zwischen 2017 und 2022 war der Saldo für Ostdeutschland mit 18.300 zugewanderten Personen positiv. Im vergangenen Jahr kehrte er sich jedoch mit rund 3.000 abgewanderten Personen wieder ins Negative. Vor allem Ausländer und die 18- bis unter 25-Jährigen ziehen in den Westen, heißt es in der Studie.
Arbeitslosigkeit sinkt, Benachteiligungsgefühl hält an
Die hohe Arbeitslosigkeit und der Exodus der jungen Leute haben sich tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt. „Die Auswirkungen sind auch heute noch spürbar, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen immer weiter ausdünnt und viele Arbeitslose von damals nun der Altersarmut entgegensehen. Das trägt zur Wahrnehmung bei, weiterhin benachteiligt zu sein – auch wenn der ostdeutsche Arbeitsmarkt heute wesentlich besser dasteht als vor 30 Jahren“, sagt Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung. So werde zum Beispiel in Ostdeutschland das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, deutlich größer eingeschätzt als im Westen.
Die Arbeitslosenquote ist in den östlichen Bundesländern vom Höchststand Mitte der 2000er-Jahre mit knapp 19 Prozent auf jetzt 7,2 Prozent zurückgegangen. Damit liegt sie allerdings immer noch über dem westdeutschen Schnitt von 5,3 Prozent. Nahezu Gleichstand ist inzwischen bei der Erwerbstätigenquote mit 76,7 Prozent im Osten und 77,3 Prozent im Westen hergestellt. Ein Problem bleibt für ganz Deutschland bestehen: Der Anteil der Langzeitarbeitslosen verharrt in Ost und West nahezu gleichauf bei 34 Prozent.
Lohnlücke wird kleiner
Nach wie vor verdienen Beschäftigte im Westen besser als Beschäftigte im Osten. Die Lücke ist zwar kleiner geworden – in den 1990er-Jahren lag sie bei rund 26 Prozent – aber auch heute noch verdienen Beschäftigte in Ostdeutschland im Schnitt 15,9 Prozent weniger als die Menschen im Westen. Das mittlere Entgelt beträgt im Osten 3.157 Euro, verglichen mit 3.752 Euro im Westen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass mehr Ost- als Westdeutsche den Eindruck haben, auch beim Lebensstandard benachteiligt zu sein.
Ein maßgeblicher Grund für die Lohnlücke ist das unterschiedliche Produktivitätsniveau. Zwar hat sich die Arbeitsproduktivität pro Arbeitsstunde in einigen Bereichen der ostdeutschen Wirtschaft, wie etwa im Baugewerbe, im Handel und bei den Dienstleistungen, stark dem westdeutschen Niveau angenähert. Besondere Bedeutung für die Produktivitäts- und Lohnentwicklung hat jedoch das verarbeitende Gewerbe. Dort liegt auch knapp 34 Jahre nach der Wiedervereinigung die Arbeitsproduktivität im Osten bei nur 76 Prozent des westdeutschen Niveaus.
Vorteile für Frauen im Osten
Deutliche Vorteile bietet der Osten dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen. Der Gender Pay Gap, also der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern, ist in den östlichen Bundesländern deutlich kleiner als in den westdeutschen Ländern. 2023 lag der durchschnittliche Stundenverdienst einer Frau in Westdeutschland 19 Prozent unter dem eines Mannes. In Ostdeutschland beträgt die Diskrepanz nur sieben Prozent. Das liegt nicht zuletzt an der besseren Verfügbarkeit von Kinderbetreuung. In Ostdeutschland sind mehr als 50 Prozent der unter Dreijährigen betreut, im Westen nur gut 30 Prozent. Die Folge: Mütter in den ehemals neuen Ländern können ihre Arbeitszeitwünsche besser in die Tat umsetzen. So arbeiten im Osten 67 Prozent der Frauen in Vollzeit – im Westen dagegen nur 52 Prozent – und sie sind auch häufiger in Tätigkeiten mit höheren Qualifikationsanforderungen vertreten. „Die bessere Betreuungssituation bringt Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Osten in eine bessere Position. Die Frauen können dort auf dem Arbeitsmarkt aktiver sein“, so Thode.
Großunternehmen stärken den Osten
Der Bevölkerungsschwund, aber auch die regionalen Betriebsstrukturen mit ihren vielen kleinen Betrieben, bremsen die Produktivität aus. Mehr Großunternehmen und weniger Kleinstbetriebe würden die Wirtschaft nicht nur produktiver machen, sie bieten auch besser bezahlte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Berufen. Wenn sich daher Konzerne wie zuletzt Intel oder TSMC entscheiden, Betriebe in Magdeburg oder Dresden anzusiedeln, schafft das auch Entfaltungsmöglichkeit für die Forschungslandschaft, regionale Zulieferer und unternehmensnahe Dienstleistungen.
Durch den demografischen Wandel wird Ostdeutschland in Zukunft noch stärker unter dem Fachkräftemangel leiden. Daher muss Deutschland insgesamt, aber insbesondere Ostdeutschland auch attraktiver für Einwanderung werden. Zugleich muss mehr für die Qualifizierung und Weiterbildung von Beschäftigten getan werden – vor allem bei den Zukunftskompetenzen, die für die Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft immer wichtiger werden.
Abbildung: Bertelsmann Stiftung
Eric Thode, Roman Wink: Entwicklung und Zukunft des ostdeutschen Arbeitsmarkts,
Bertelsmann Stiftung, PDF-Download.