Wirtschaft+Markt (W+M) sprach mit dem Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, über seine Erwartungen an die neue Bundesregierung, die wirtschaftliche Lage im Land und welche Schwerpunkte im Detail gesetzt werden.

Sven Schulze, Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt (CDU). Abbildung: Rayk Weber
W+M: Herr Schulze, welche Hoffnungen verbinden Sie als Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts mit der neuen Bundesregierung?
Sven Schulze: Für uns in Sachsen-Anhalt ist wichtig, dass der neue Kurs den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland im Blick behält, den Strukturwandel aktiv begleitet und gezielt in ländliche Räume investiert. Unsere Unternehmen brauchen jetzt vor allem eines: Verlässlichkeit und klare Perspektiven. Wir setzen darauf, dass die neue Bundesregierung hier spürbare Verbesserungen auf den Weg bringt – für Sachsen-Anhalt und für ganz Ostdeutschland.
W+M: CDU und SPD planen Milliardenausgaben für die Infrastruktur. Wie kann Sachsen-Anhalt davon profitieren?
Sven Schulze: Sachsen-Anhalt kann von neuen Infrastrukturinvestitionen klar profitieren. Wir brauchen gezielte Investitionen in Schiene, Straße und digitale Netze. Eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur ist ein echter Standortvorteil – sowohl für Unternehmen, die sich bei uns ansiedeln wollen, als auch für Fachkräfte, die hier leben und arbeiten möchten.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Mittel schnell und sinnvoll eingesetzt werden – gerade auch in ländlichen Regionen, wo neue Chancen entstehen sollen.
Unsere Unternehmen brauchen jetzt vor allem eines: Verlässlichkeit und klare Perspektiven. “
W+M: 2026 sind Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Mit welchen Themen kann die Landesregierung punkten?
Sven Schulze: Als Landesregierung können wir auf eine starke Bilanz verweisen. In den vergangenen Jahren haben wir für Stabilität, wirtschaftliche Vernunft und verlässliche Politik gesorgt und viele wichtige Projekte für die Menschen im Land angestoßen.
So ist der Ausbau des schnellen Internets an unseren Schulen fast abgeschlossen. Die Städte und Gemeinden haben spürbare Unterstützung erhalten: Seit 2021 wurden die Finanzzuweisungen an die Kommunen um fast eine halbe Milliarde Euro erhöht.
Auch große Bauprojekte werden heute schneller und effizienter umgesetzt – unterstützt durch die eigens gegründete landeseigene Immobilien- und Projektmanagementgesellschaft. Gleichzeitig wurde die Feuerwehrinfrastruktur im Land deutlich gestärkt, unter anderem mit der Förderung von über 130 neuen Einsatzfahrzeugen.
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier. Hier haben wir als Landesregierung frühzeitig mit einem eigenen Strukturentwicklungsprogramm die Weichen für die Zukunft gestellt. Und nicht zuletzt wurde die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen deutlich ausgebaut – als wichtiges Fundament für die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt.
W+M: Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage in Sachsen-Anhalt?
Sven Schulze: Die wirtschaftliche Lage in Sachsen-Anhalt bleibt angespannt. 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,9 Prozent gesunken – deutlich stärker als im Bundesdurchschnitt. Unsere Industrie steht unter Druck: Hohe Energiekosten, harter internationaler Wettbewerb und eine schwächere Nachfrage setzen den Unternehmen zu. Auch der Arbeitsmarkt zeigt erste Risse. Im März 2025 lag die Arbeitslosenquote bei 8,1 Prozent. Eine typische Frühjahrsbelebung ist ausgeblieben.
Hinzu kommt der demografische Druck: Während die deutsche Gesamtbevölkerung weiterwächst, schrumpft die Einwohnerzahl in Sachsen-Anhalt. Das belastet nicht nur die Konsumnachfrage, sondern auch die Verfügbarkeit von Fachkräften.
W+M: Welche Branchen bereiten Ihnen aktuell Sorgen?
Sven Schulze: Besonders betroffen sind die Automobilzulieferindustrie und die Chemiebranche. Unsere Zulieferer kämpfen mit Absatzproblemen, der schleppenden Umstellung auf Elektromobilität und starkem Wettbewerbsdruck, insbesondere aus China. In der Chemiebranche dämpfen hohe Energiepreise und sinkende Wettbewerbsfähigkeit die Investitionsbereitschaft. Einige Unternehmen denken inzwischen offen über eine Verlagerung ins Ausland nach. Das ist eine Entwicklung, die wir stoppen müssen.
Sachsen-Anhalt bleibt ein Land der Chancen – für Unternehmen, für Fachkräfte und für neue Ideen. “
W+M: Gibt es auch positive Impulse in Sachsen-Anhalt?
Sven Schulze: Ja, natürlich – und darauf können wir stolz sein. In Leuna entsteht eine moderne Wasserstoffproduktion, in Merseburg wird im neuen „Center for the Transformation of Chemistry“ an grünen Innovationen gearbeitet. In Bitterfeld-Wolfen investiert AMG Lithium in Batteriematerialien und UPM baut eine hochmoderne Bioraffinerie.
Auch in Dessau-Roßlau, Halle und Zorbau wächst die industrielle Basis weiter mit neuen Projekten von Unternehmen wie Merz Pharma, Sonotec und Thermhex Waben. Im Chemiepark Zeitz investiert Cropenergies in nachhaltige Rohstoffe – und mit klimaneutraler Energie von Getec entsteht dort echte Zukunft. Schönebeck entwickelt sich dank großer Investitionen von Coroplast und Mercury zu einem neuen Industriezentrum. Und in Hohenmölsen wächst der Landmaschinenstandort von AGCO stark – die Belegschaft wird sich bis 2028 fast verdoppeln.
Im Bereich Medizintechnik setzt Sachsen-Anhalt ebenfalls Maßstäbe: Das Magdeburger Start-up Raydiax arbeitet an einem neuartigen CT-System, das Krebstherapien noch präziser machen soll.
All das zeigt: Sachsen-Anhalt bleibt ein Land der Chancen – für Unternehmen, für Fachkräfte und für neue Ideen.
W+M: Was fordern Sie politisch, um den Wirtschaftsstandort zu stärken?
Sven Schulze: Ein „Weiter so“ darf es nicht geben. Als Land Sachsen-Anhalt setzen wir uns deshalb klar auf Bundes- und EU-Ebene für schnelle Entlastungen ein – besonders bei den Energiepreisen. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt, Bürokratie abgebaut und die Steuerbelastung gesenkt werden. Auch unsere sozialen Sicherungssysteme müssen reformiert werden, damit lohnintensive Betriebe wieder bessere Chancen haben.
Dabei ist mir ganz besonders wichtig: Der Osten darf nicht vergessen werden. Sachsen-Anhalt hat viele Stärken – in der Industrie, in der Forschung, im Mittelstand. Diese Erfolge dürfen nicht verspielt werden. Deshalb fordern wir klar, dass Sondervermögen und neue Investitionsprogramme auch bei uns im Osten ankommen. Infrastrukturmittel und Verteidigungsausgaben müssen zusätzliche Wertschöpfung hier bei uns schaffen.
Erste Fortschritte gibt es bereits: Der Bundesrat hat wichtige Entlastungen für energieintensive Industrien beschlossen, und auf EU-Ebene wurden Hürden bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung gesenkt. Jetzt kommt es darauf an, diese Maßnahmen schnell und entschlossen umzusetzen.
W+M: Wo sehen Sie konkrete Erfolge bei der Transformation in Sachsen-Anhalt?
Sven Schulze: Sachsen-Anhalt gehört bei der industriellen Transformation zu den Vorreitern. Wir haben heute starke Projekte in der Kreislaufwirtschaft, bei erneuerbaren Energien und in der Bioökonomie. Das macht unser Land zukunftsfest.
W+M: Welche Unternehmen stechen besonders hervor?
Sven Schulze: Im Sülzetal und in Wernigerode entstehen mit Li-Cycle und Elemental Strategic Metals neue Zentren für Batterierecycling. Solar Materials zeigt, dass sich Solarmodule heute fast vollständig recyceln lassen – energiesparend und mit internationaler Nachfrage.
Auch hier setzt Sachsen-Anhalt Maßstäbe. In Leuna steht Europas erste industrielle Bioraffinerie. Und Verbio in Bitterfeld entwickelt die Chemiebranche in Richtung Nachhaltigkeit weiter.
Sachsen-Anhalt kann Wandel nicht nur bewältigen – wir gestalten ihn aktiv.“
W+M: Gibt es neue Ansiedlungen, die besonders Hoffnung machen?
Sven Schulze: Ja, zum Beispiel schafft Sioux Technologies in Barleben 300 neue Jobs im Bereich Hochtechnologie. Das zeigt: Sachsen-Anhalt kann Wandel nicht nur bewältigen – wir gestalten ihn aktiv. Und wir beweisen, dass wirtschaftlicher Erfolg und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können.
W+M: Wie steht es um neue Ansiedlungen? Ist der Standort noch attraktiv genug?
Sven Schulze: Ja, der Standort Sachsen-Anhalt ist und bleibt attraktiv – und auch das zeigt sich in den Zahlen. Zusätzlich zu all den Beispielen, die ich Ihnen aufgezählt habe: In den letzten zwei Jahren hatte allein unsere Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG) über einhundert Anfragen für Neuansiedlungen.
Besonders erfreulich ist, dass 17 dieser Anfragen aus dem internationalen Raum stammen. Unsere Stärken liegen in zukunftsweisenden Branchen: Chemie, Halbleitertechnologie, Automotive und Batterietechnik, erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft sowie IT und Rechenzentren. Hier bietet Sachsen-Anhalt Unternehmen genau die richtigen Bedingungen für Wachstum und Innovation.
W+M: Intel hat einen Fabrik-Bau in Ohio aktuell auf Eis gelegt. Sinken damit auch die Hoffnungen für Magdeburg? Gibt es Alternativen zu Intel und was wird aus dem angedachten Hightech-Park rund um Intel in Magdeburg?
Sven Schulze: Intel hält an Magdeburg als Standort fest. Der geplante Bau ist um zwei Jahre verschoben, aber die Flächen sind gekauft und die Pläne bleiben bestehen. Die Bedeutung des Standorts für die europäische Chipstrategie ist weiterhin hoch. Land und Bund unterstützen das Projekt aktiv.
Parallel treiben wir die Entwicklung des Hightech-Parks Magdeburg voran. Dafür haben wir eine eigene Landesgesellschaft gegründet. Die Fläche bietet großes Potenzial für weitere Investitionen in Spitzentechnologien. Wir sind hier international unterwegs und stoßen auf echtes Interesse. Der Hightech-Park wird ein wichtiger Zukunftsstandort – mit und auch unabhängig von Intel.
W+M: Die energieintensive Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt steht stark unter Druck. Was muss geschehen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten?
Sven Schulze: Unsere Chemieindustrie ist eine tragende Säule für Sachsen-Anhalt – und sie steht unter besonderem Druck. Vor allem die hohen Energiepreise belasten die Unternehmen stark. Deshalb haben wir uns im Bundesrat klar an die Seite unserer Industrie gestellt. Wir fordern spürbare Entlastungen und verlässliche Rahmenbedingungen, damit unsere Betriebe weiterhin hier erfolgreich arbeiten können.
Ein wichtiger Punkt ist die Forderung, energieintensive Unternehmen von der Gasspeicherumlage auszunehmen. Auch niedrigere Netzentgelte, stabile Strompreise und Steuererleichterungen stehen auf unserer Agenda. Der Bund hat dazu bereits wichtige Zusagen im Koalitionsvertrag gemacht. Jetzt ist wichtig, dass diese Maßnahmen schnell und wirksam umgesetzt werden.
W+M: Wie kommt der Strukturwandel des Mitteldeutschen Reviers voran?
Sven Schulze: Der Strukturwandel bei uns im Mitteldeutschen Revier kommt gut voran. Mit Milliardeninvestitionen in Wasserstoff, Batteriezellen und neue Industrieflächen stellen wir die Weichen für die Zukunft. Ob das Wasserstoffcluster im Burgenlandkreis, die neue Batteriezellfertigung in Bitterfeld oder die Erweiterung von Merseburg Süd – überall im Revier wird Zukunft greifbar.
W+M: Das Thema Unternehmensnachfolge ist in Ostdeutschland besonders brisant. Es fehlt an Nachfolgern und viele Unternehmen, gerade kleinere, werden einfach vom Markt verschwinden. Wie wollen Sie in Sachsen-Anhalt dem Thema gerecht werden?
Sven Schulze: Die Unternehmensnachfolge ist eine Herausforderung, die uns alle angeht. In Sachsen-Anhalt stehen viele Betriebe vor der Übergabe – und die Zahl der Nachfolger wird kleiner. Wir dürfen nicht zulassen, dass wertvolle Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und unsere Region prägen, einfach vom Markt verschwinden.
Deshalb unterstützen wir ganz gezielt: Mit dem IB-Nachfolgedarlehen helfen wir finanziell bei der Übernahme. Bürgschaftsbank und Mittelständische Beteiligungsgesellschaft stehen den Nachfolgern ebenfalls zur Seite. Und mit der Meistergründungsprämie setzen wir ein klares Zeichen für die Sicherung von Handwerksbetrieben.
Wir sprechen gezielt Rückkehrer an, die vielleicht wegen Familie oder neuen Perspektiven wieder hierher wollen.“
W+M: Das Land hat eine Werbekampagne um Fachkräfte gestartet, unter anderem in Vietnam. Wie akut ist die Fachkräfteproblematik in welchen Branchen und wie erfolgreich ist das Land in seinem Werben?
Sven Schulze: Der Wettbewerb um Fachkräfte läuft auf Hochtouren – und wir sind aktiv dabei. In Sachsen-Anhalt gehen heute schon doppelt so viele Menschen in Rente, wie junge nach kommen. Das trifft besonders Branchen wie Pflege, Handwerk, Industrie und Gastronomie.
Deshalb zeigen wir mit der Kampagne „Sachsen-Anhalt kann’s halt“, was unser Land stark macht: bezahlbarer Wohnraum, gute Kitas, starke Hochschulen – und ein Leben, das Spaß macht.
Wir sprechen gezielt Rückkehrer an, die vielleicht wegen Familie oder neuen Perspektiven wieder hierher wollen. Und wir gehen auf Studierende zu, bevor sie nach Leipzig oder Berlin abwandern. International setzen wir einen Schwerpunkt auf Vietnam. Mit dem Projekt Viethoga holen wir junge Leute für Ausbildungen in Hotellerie, Technik und Handwerk nach Sachsen-Anhalt.
Über Infoveranstaltungen, Social Media und sogar mit einem Karrierebus. Die Resonanz ist sehr positiv. Natürlich wirken solche Kampagnen nicht von heute auf morgen. Aber wir haben gute Karten – und wir spielen sie aus, damit Sachsen-Anhalt vorne mitmischt.
W+M: Wie steht es um die dringende Modernisierung der Verwaltung in Sachsen-Anhalt und den Bürokratieabbau, um beispielsweise Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen?
Sven Schulze: Bürokratieabbau hat bei uns höchste Priorität – und das völlig zu Recht. Unternehmen erwarten mehr Tempo und weniger Aufwand. Mit dem neuen Koalitionsvertrag setzen wir klare Zeichen: Gründen in 24 Stunden, ein eigenes Digitalministerium und ein Pakt für schnellere Verfahren sind auf den Weg gebracht. In Sachsen-Anhalt prüfen wir aktuell das Tariftreue- und Vergabegesetz – zusammen mit Praktikern aus der Wirtschaft. Unser Ziel ist: weniger Papierkram, mehr Klarheit.
Auch auf Bundesebene unterstützen wir die Initiativen für schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit einem eigenen Normenkontrollrat wollen wir künftig besser prüfen, ob neue Gesetze wirklich nötig sind.
Für uns ist klar: Bürokratieabbau ist kein Luxus, sondern eine Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg – auch und gerade hier in Sachsen-Anhalt.
W+M: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Frank Nehring vom Redaktionsnetzwerk Wirtschaft+Markt.
![]() Abbildung: Rayk Weber Sven Schulze Der Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen-Anhalt wurde 1979 in Quedlinburg geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Seit 2025 ist Schulze Sprecher der unionsgeführten Agrarressorts der Länder. Bereits seit 2021 leitet er das Ministerium für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten in Sachsen-Anhalt. Zuvor war er von 2014 bis 2021 Mitglied des Europäischen Parlaments. In der Wirtschaft war er ebenfalls tätig: Von 2012 bis 2014 arbeitete er als Vertriebsleiter bei der Eckold GmbH & Co. KG. Davor war er von 2007 bis 2011 als Projektleiter sowohl bei Eckold als auch bei der Farger & Joosten Maschinenbau GmbH beschäftigt. Sein Studium absolvierte Schulze von 1999 bis 2007 an der Technischen Universität Clausthal. Er schloss es als Diplom-Wirtschaftsingenieur ab. |