Thomas Einsfelder, Geschäftsführer der Invest in Mecklenburg-Vorpommern GmbH, ist ein wichtiger Impulsgeber für Ostdeutschland. Er setzt sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag ist er auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.
Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land im Wandel. Als ich vor rund 21 Jahren meine erste berufliche Station als Referent für Volkswirtschaft und Statistik bei der IHK zu Rostock eingenommen habe, verbanden die meisten Menschen – in Ost wie West – unser Land vor allem mit Sommerurlaub in unberührter Natur, mit weiten Ostseestränden, traditionsreichen Seebädern oder den berühmten Kreidefelsen von Rügen. Auch heute noch zählt Mecklenburg-Vorpommern mit mehr als 30 Millionen Übernachtungen im Jahr zu den drei beliebtesten Ferienregionen Deutschlands.
Doch längst zeichnet Mecklenburg-Vorpommern eine innovative und überaus vielfältige, zumeist mittelständisch geprägte Wirtschaft aus. Investoren wie der zum Luxuskonzern LVMH gehörende Schuhhersteller Birkenstock oder das Schweizer Medtech-Unternehmen Ypsomed haben sich bei uns in den letzten Jahren niedergelassen. Die maritime Wirtschaft in Rostock, Wismar, Stralsund und Wolgast befindet sich im Aufbruch zu neuen Geschäftsfeldern. Hier werden künftig Schiffe der Deutschen Marine gewartet oder Konverterplattformen für die Offshore-Windkraftanlagen vom belgisch-deutschen Unternehmen Neptun Smulders gebaut.
Die rasch wachsende Gesundheitswirtschaft mit hochinnovativen Unternehmen in den Bereichen Medizintechnik und Biotechnologie prägt ebenfalls das moderne Mecklenburg-Vorpommern. Unser Ziel: Mecklenburg-Vorpommern soll das Gesundheitsland Nummer eins in Deutschland werden. Insgesamt sind heute schon rund 160.000 Menschen in der Branche tätig. Jeder fünfte Erwerbstätige zwischen Müritz und Ostsee arbeitet in einem Unternehmen in der Gesundheitswirtschaft, weit mehr als im Rest der Republik. Das Zentrum für Life Science und Plasmatechnologie in Greifswald, das Kompetenzzentrum Diabetes in Karlsburg oder das Institut für Biomedizinische Technik in Rostock sind Leuchttürme der Branche.
Die Ernährungsindustrie profitiert in Mecklenburg-Vorpommern von der Nähe zu einer starken Landwirtschaft und unterhält große Produktionsstätten etwa in Anklam, Boizenburg, Wittenburg oder Stavenhagen. Der klassische Metall- und Maschinenbau, die Holzwirtschaft oder die Automobilzulieferindustrie bleiben weiterhin bedeutsame Arbeitgeber im Land. Und in den Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Wismar, Rostock, Greifswald, Stralsund und Neubrandenburg arbeiten Forschende aus aller Welt an unserer gemeinsamen Zukunft.
An der Schwelle zu einer neuen Zeit
Nun steht Mecklenburg-Vorpommern an der Schwelle zu einer Transformation, die dem künftigen Selbstbild unseres Landes neue Konturen verleihen wird. Schon jetzt sind wir ein bedeutender Produzent erneuerbarer Energien. Künftig kann Mecklenburg-Vorpommern das grüne Kraftwerk Deutschlands werden. Als Geschäftsführer der Wirtschaftsfördergesellschaft Invest in Mecklenburg-Vorpommern GmbH weiß ich aus den Anfragen von Investoren und zahlreichen Gesprächen mit Unternehmern und Unternehmerinnen, dass das Vorhandensein einer nachhaltigen und fossilfreien Energieversorgung mittlerweile Priorität bei der Standortentscheidung genießt. Heute wie früher gilt: Industrie folgt Energie. Dies ist eine große Chance, nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern, sondern für ganz Ostdeutschland.
Denke ich an Ostdeutschland, geht mein Blick deshalb vor allem auf die künftige Rolle der ostdeutschen Bundesländer innerhalb der bundesdeutschen Wirtschaft. Ostdeutschland ist auf dem Weg, das Green Energy Valley Deutschlands zu werden. Und es hat auf diesem Weg bereits große Fortschritte erzielt.
Wasserstoff treibt die Energiewende
Eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung der Industrie wird künftig Wasserstoff als Energieträger einnehmen. Die ostdeutschen Bundesländer haben deshalb eine „Initiative für Wasserstoff in Ostdeutschland“ gegründet. Sie wollen gemeinsam Wasserstoff als zentralen Bestandteil einer nachhaltigen Energiewende in Ostdeutschland fördern.
Für Mecklenburg-Vorpommern birgt das Thema große Potenziale für einen wirtschaftlichen Aufbruch. Für uns spricht zunächst einmal die geografische Lage. Als ich nach beruflichen Stationen in Berlin und Sachsen-Anhalt 2023 nach Mecklenburg-Vorpommern zurückgekehrt bin, ist mir wieder eindrücklich bewusst geworden, wie vielfältig der Charakter der Regionen und die Mentalitäten in Ostdeutschland sind. Die Menschen und Landschaften in Mecklenburg-Vorpommern sind nicht nur ostdeutsch, sondern auch sehr norddeutsch geprägt. Wir sind Teil eines europäischen Lebensraums an der Ostsee. Von hier ist es gleich weit nach Berlin wie nach Hamburg. Stettin ist uns ebenso nah wie Kopenhagen.
Darum ist Mecklenburg-Vorpommern Ostdeutschlands Brücke in den Ostseeraum. Wir stehen in einem engen Austausch zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft rund um die Ostsee mit Partnern in Polen, Dänemark oder Schweden. Mecklenburg-Vorpommern ist aufgrund seiner Lage prädestiniert für den Import von grünen Energien und zur weiteren Verteilung innerhalb Deutschlands. Dabei wird die Bedeutung unserer Häfen in Rostock und Lubmin im Rahmen dieser Transformation der Wirtschaft enorm an Strahlkraft gewinnen.
Ostdeutschland ist auf dem Weg, das Green Energy Valley Deutschlands zu werden.”
Unser Tor zur Welt ist von jeher der Überseehafen Rostock. Mehr als zwei Millionen Seereisende im Jahr starten oder beenden hier ihre Kreuzfahrt oder nutzen die Fährverbindungen über die Ostsee. Zugleich ist Rostock der größte deutsche Ostseehafen und damit zentraler Umschlagpunkt in der internationalen maritimen Logistik. 31 Millionen Tonnen Fracht werden jährlich an den Kaikanten des Rostocker Hafens umgeschlagen.
In den kommenden Jahren bauen wir den Rostocker Hafen zum Energiedrehkreuz im Ostseeraum aus. Beispielsweise mit dem Projekt HyTechHafen Rostock. Bis 2027 wird auf dem Gelände eines Kohlekraftwerks im Hafen der Bau eines Elektrolyseurs mit einer Leistung von 100 Megawatt erfolgen, die später auf ein Gigawatt erweitert werden soll. Elektrolyseure sind eine Schlüsseltechnologie für die Produktion grünen Wasserstoffs und für ein fossilfreies Zeitalter.
Die Region um den Industriehafen Lubmin wird ebenfalls ein unverzichtbares Drehkreuz für Strom aus erneuerbaren Energien und ein Zentrum für die Produktion von Wasserstoff werden. Bereits jetzt befinden sich hier fünf Wasserstoffprojekte im Bau oder in der Planung. Mittels Wasserstoff-Pipelines werden die Häfen Rostock und Lubmin verbunden. Von unseren Häfen wird der Transport des Wasserstoffs in den Raum Berlin und Brandenburg erfolgen, beispielsweise zum Raffineriestandort Schwedt, zur Stahlproduktion in Eisenhüttenstadt sowie in das mitteldeutsche Chemiedreieck mit den großen Chemieparks in Bitterfeld-Wolfen und Leuna. Diese Leitungen werden integraler Bestandteil des deutschen und europäischen Wasserstoffnetzes sein. Im Einzelnen handelt es sich um die Projekte Flow hydrogen von Lubmin in Richtung Süden, Doing hydrogen von Rostock gleichfalls in Richtung Süden, die Verbindung von Rostock und Lubmin sowie den sogenannten Interkonnektor von Bornholm nach Lubmin.
Noch befindet sich die industrielle Wasserstoffnutzung in Mecklenburg-Vorpommern und ganz Deutschland in ihren Anfängen. Deshalb entsteht im Land eine Forschungsfabrik Wasserstoff. Hier werden Technologien beispielsweise im Rostocker Leibniz-Institut für Katalyse oder dem Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie entwickelt und in einem zweiten Schritt im Anwendungszentrum Wasserstoff im Rostocker Fraunhofer-Institut für Großstrukturen in der Produktionstechnik in die Praxis überführt.
Die Heimat grüner Energien
Ein weiterer Standortvorteil Mecklenburg-Vorpommerns: In unserem Land produzieren Windkraftanlagen rund um die Uhr sauberen Strom an Land und auf See. Diese erneuerbaren Energien braucht es zur Produktion grünen Wasserstoffs. Unsere Offshore-Windenergie ist ein tragender Baustein für eine zukünftige klimafreundliche Energieversorgung. Die Windparks mit Namen wie Arkona, Baltic Eagle, Baltic 1 und 2, Arcadis-Ost 1 oder Wikinger auf hoher See vor der Küste Rügens liefern schon heute zuverlässig Windstrom. Auch hier vernetzen wir uns mit den Anrainern der Ostsee, etwa im Projekt Gennaker, zu einem großen europäischen Projekt.
In Richtung Baltikum wird der Baltic Wind Connector entwickelt, ein Seekabel mit einer Länge von rund 750 Kilometern, das an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns anlanden und eine Verbindung zu estnischen Windparks herstellen wird. Eine weitere Stromtrasse wird Mecklenburg-Vorpommern an das Projekt Bornholm Energy Island in Dänemark anschließen. Dadurch kann grüner Strom aus den Offshore-Windparks vor der Küste Bornholms in das deutsche Übertragungsstromnetz fließen.
An Land wird nahe Schwerin ab 2026 ein großer Energieknoten die Stromtrassen SuedOstLink+ von Schwerin nach Bayern und NordOstLink von Heide in Schleswig-Holstein und damit von der Nordsee nach Schwerin verknüpfen.
Rund 400 Unternehmen arbeiten in Mecklenburg-Vorpommern schon heute in allen Bereichen rund um die erneuerbaren Energien. Es ist unser Ziel, komplette Wertschöpfungsketten bei den grünen Energien aufzubauen und bis 2035 den gesamten Energiebedarf des Landes für Strom, Wärme und Mobilität aus regenerativen Quellen speisen zu können.
Als Geschäftsführer der Invest in Mecklenburg-Vorpommern GmbH in Schwerin, der Wirtschaftsfördergesellschaft des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, sehe ich tagtäglich die großen Herausforderungen, die die Transformation unserer heimischen Wirtschaft mit sich bringt. Gemeinsam mit unseren Partnern in den Regionen des Landes und allen Unternehmen, die nach oder in Mecklenburg-Vorpommern expandieren wollen, suchen wir nach Lösungen, um weitere zukunftsfähige und nachhaltige Investitionen in Mecklenburg-Vorpommern zu realisieren.
Denke ich an Ostdeutschland, denke ich zuvorderst aber nicht an die Herausforderungen, sondern sehe vor allem die großen Chancen, die sich aus dem wirtschaftlichen Wandel für unsere Regionen in den kommenden Jahren ergeben werden. Die Chance, Vorreiter eines neuen Energiezeitalters zu sein.
Invest in Mecklenburg-Vorpommern GmbH
GEGRÜNDET: 1991/Schwerin
STANDORT: Schwerin
MITARBEITENDE: 18
WEBSITE: invest-in-mv.de
Thomas Einsfelder
GEBOREN: 1974/Iserlohn
WOHNORT (aktuell): Nienhagen
MEIN BUCHTIPP: Oded Galor: „Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende“, 2022
MEIN FILMTIPP: „Sansibar und der letzte Grund“, 1987
MEIN URLAUBSTIPP: Ostseebad Nienhagen
BUCHTIPP:
„Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |