Seit Juni 2024 gibt es die Initiative Nachfolge Ostdeutschland. Wir sprachen mit ihrem Gründer Frank Nehring über ein Thema, das vielen Unternehmerinnen und Unternehmern Bauchschmerzen bereitet, vor allem im Osten Deutschlands.
ostdeutschland.info: Herr Nehring, warum erhitzt das Thema Unternehmensnachfolge derzeit so die Gemüter?
Frank Nehring: Die Unternehmensnachfolge ist ein normaler Prozess im Leben von Unternehmerinnen und Unternehmern und von Unternehmen. Irgendwann ist es an der Zeit, aus Alters-, Krankheits- oder sonstigen Gründen eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu suchen. So weit, so normal. Problematisch wird es, wenn der richtige Zeitpunkt für den Übergang verpasst wird. Das kommt leider oft vor, weil das Thema gern verdrängt wird. Die Folge sind schlechte Vereinbarungen und schlimmstenfalls die Schließung des Unternehmens.
Was ist so problematisch daran, den richtigen Zeitpunkt für eine Übergabe zu finden?
Das Tagesgeschäft liefert immer wieder die Ausrede. Angesichts der täglichen Herausforderungen, aber auch von Erfolgen und Anerkennung, ist es schlichtweg nicht sexy für einen Unternehmer, sich zur Ruhe zu setzen oder auch nur darüber nachzudenken. Hinzukommt, dass man etwa zehn Jahre veranschlagen muss, um eine erfolgreiche Nachfolge umzusetzen. Gut ist es, wenn Familienangehörige bereit sind, das Ruder zu übernehmen. Aber gerade diese Bereitschaft ist seit Jahren rückläufig. Und selbst wenn der Wille zur Übergabe besteht, heißt das noch nicht, dass der Angehörige auch geeignet ist. Aktuell werden 40 Prozent der Familienunternehmen keinen Nachfolger finden und einfach dichtmachen. Das betrifft vor allem Handwerksbetriebe und Gastronomien.
Wieso ist es so schwer, Nachfolger zu finden?
Dafür gibt es viele Gründe. Unternehmer und die, die es werden wollen, müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und zahlreiche Risiken einzugehen. Das scheuen viele, zumal es angesichts des Fachkräftemangels heute zahlreiche lukrative Angestelltenjobs gibt, die viel Freiraum und guten Verdienst bei überschaubarer Verantwortung und geringen Risiken bieten. Der Unternehmerberuf hat in unserer Gesellschaft auch keinen sonderlich guten Ruf. Außerdem werden junge Menschen mit unternehmerischen Ambitionen auch in der Ausbildung – wenn überhaupt zu unternehmerischem Denken – eher zur Gründung von Start-ups bewogen. Dabei gerät völlig aus dem Blick, dass man auch ein bestehendes Unternehmen mit neuen Ideen in die Zukunft führen kann. Schließlich fehlen Nachfolger auch wegen des demografischen Wandels: Es stehen einfach weniger Menschen zur Verfügung.
Wer unterstützt die Unternehmer bei einer erfolgreichen Unternehmensnachfolge?
An erster Stelle ist der Unternehmer selbst dafür verantwortlich, sich um das Thema zu kümmern. Dabei geht es nicht nur um die Organisation des verdienten Ruhestandes, sondern auch um die unternehmerische Verantwortung für die Zukunft des Unternehmens und seiner Mitarbeitenden. Unterstützung bieten viele an. Der Übernahmeprozess hat finanzielle, rechtliche und vor allem steuerliche Aspekte, für die es Experten gibt. Banken, Anwälte, Steuerberater und Fachberater für Nachfolge haben ein großes Interesse, Käufer und Verkäufer zu ihrer Klientel zählen zu können. Es entspricht ihrem Geschäftsmodell. Darüber hinaus sehen sich Branchenverbände, Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern in der Verantwortung, ihren Mitgliedern Unterstützung anzubieten. Es mangelt nicht an Beratungsangeboten und haben sich Käufer und Verkäufer erst einmal getroffen, ist die Nachfolge zwar noch nicht geschafft, aber auf einem guten Weg. Der Engpass ist das Matching: Verkäufer findet Nachfolger.
Was hat es mit der von Ihnen gegründeten Nachfolgeinitiative für Ostdeutschland auf sich?
In Ostdeutschland ist die beschriebene Situation deutlich problematischer als im Westen. Aufgrund der starken Abwanderung in der Vergangenheit fehlen hier stärker als anderswo Menschen, die bereit sind, unternehmerisch tätig zu werden. Die aktuelle Unternehmergeneration ist unerfahren in Sachen Nachfolge, denn sie ist oft erstmalig in dieser Situation. Viele Unternehmer und damit auch potenzielle Nachfolge streben nicht Erfolg und Wachstum an, sondern geben sich schnell mit Erreichtem zufrieden. Damit ist die Gefahr im Osten viel größer, dass Unternehmen mangels Nachfolger einfach schließen und damit die Struktur des kleinteilig aufgestellten Mittelstandes und die Versorgungsinfrastruktur negativ beeinflussen.
Mit der Initiative Nachfolge Ostdeutschland – NFOst – widmen wir uns gezielt diesen Aspekten. Das gemeinsame Ziel der Initiative und aller Player sollte die Zusammenführung von Angebot und Nachfrage sein, ohne neuen Wettbewerb untereinander oder mit (regional verankerten) Playern zu kreieren. Die Herausforderung bei dem komplexen Thema ist es, Partikularinteressen im Sinne von mehr Kraft und Dynamik zu bündeln.
Was planen Sie konkret?
Wir haben seit Juni 2024 ein Internetportal, das Unternehmern bei der Nachfolge unterstützt. Hier wollen wir alle entsprechenden Anbieter aus Ostdeutschland – von Erstberatungen über Finanzierungen bis hin zu Matchmaking – auflisten. Viele sind bereits präsent. Hier können sich Interessierte einen Überblick verschaffen und dann aktiv werden. So einfach das klingt, ist der Fokus auf Ostdeutschland bislang eine Alleinstellung.
95 Prozent der Angebote beziehen sich auf Kammerbezirke, Mitgliedergruppen oder Bundesländer. Es ist aber viel zu kurz gedacht, dass Nachfolger nur aus dem unmittelbaren örtlichen Umfeld kommen müssen. Auf unserer Webseite kann man auch Ratgeberbeiträge finden und Reports von Unternehmensnachfolgen. Geplant ist ein Nachfolgerclub, dem Unternehmer angehören, die Nachfolgen erfolgreich bewältigt haben und gern anderen Unternehmern zur Seite stehen. Darüber hinaus werden wir Impulse für mehr und qualifizierte Zusammenarbeit geben. Den Monat November wollen wir zum Nachfolgemonat machen. Zahlreiche Veranstaltungen sind in Vorbereitung. Wir informieren darüber auf www.NFOst.de.