Prof. Dr. Stephan Stubner und Prof. Dr. Dominik Kanbach, Inhaber des Porsche AG Lehrstuhls für Strategie und Digitales Unternehmertum und Inhaber des Lehrstuhls für Strategisches Unternehmertum an der HHL Leipzig Graduate School of Management, sind wichtige Impulsgeber für Ostdeutschland. Sie setzen sich ein für Vergewisserung, Verständigung und Versöhnung. Mit diesem Beitrag sind sie auch in dem Sammelband „Denke ich an Ostdeutschland ...“ vertreten.

Prof. Dr. Stephan Stubner und Prof. Dr. Dominik Kanbach, Inhaber Porsche AG Lehrstuhl für Strategie und Digitales Unternehmertum, Inhaber Lehrstuhl für Strategisches
Unternehmertum, HHL Leipzig Graduate School of Management. Abbildung: privat
Wenn Prof. Dr. Stephan Stubner und Prof. Dr. Dominik Kanbach von der universitären HHL Leipzig Graduate School of Management an Ostdeutschland denken, dann denken sie an eine Region voller Potenziale und Möglichkeiten. Sie sehen eine dynamische Entwicklung, die jedoch kontinuierlich Unterstützung und Engagement erfordert, um nachhaltig erfolgreich zu sein.
Prof. Dr. Stephan Stubner (STU): Dominik, du bist wie ich nicht hier geboren. Erinnerst du dich noch an deine erste Begegnung mit Leipzig und Ostdeutschland?
Prof. Dr. Dominik Kanbach (KAN): Klar, Stephan. Meine erste bewusste Begegnung mit Leipzig war 2009, als ich die Handelshochschule Leipzig – so hieß die HHL damals noch ganz offiziell – zum Studieninformationstag besuchte. Der Eindruck von der Universität und der Stadt war klasse, und die HHL hat meine akademische und berufliche Laufbahn seitdem nachhaltig geprägt. Nach meinem Studium ging ich zunächst nach München, einfach weil es damals in der Region noch keine passenden Jobs gab. Doch letztendlich zog es mich zurück nach Leipzig. Die Stadt hatte einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen und die Dynamik sowie die Möglichkeiten hier waren ausschlaggebend für meine Rückkehr. Durch familiäre Verbindungen war ich schon viele Jahre zuvor in Leipzig, doch ohne den „Magnet“ HHL wäre ich wohl nicht in die Region gekommen.
STU: Bei mir war es ähnlich. Der erste Kontakt überhaupt mit Ostdeutschland kam über meine Familie zustande. Meine Großeltern stammen aus einer Bauernfamilie im Sudetenland und im Verlauf der Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich viele Verwandte hier niedergelassen. Gleich nach dem Mauerfall wurde ich von meiner Oma in den Zug gesetzt, um ihre Geschwister zu besuchen. Diese Erfahrung hat mich schwer beeindruckt. Das erste Mal war ich 1994 in Leipzig, um einen Stubenkameraden aus der Ausbildung zu besuchen, der in Grünau lebte. Es dauerte dann aber noch mal vier Jahre, bis ich für mein Studium wieder hierherkam. Damals roch die ganze Stadt noch nach Braunkohleheizungen, Wohnraum war überall für wenig Geld zu bekommen und viele Häuser waren noch unrenoviert. Fest nach Leipzig bin ich 2007 gezogen, als meine Frau und ich unser erstes Kind bekamen. Die Jahre davor war ich Wochenendpendler, aber obwohl meine Frau damals in einer anderen Stadt arbeitete und eine erfolgreiche Karriere dort gemacht hat, haben wir uns ganz bewusst für Leipzig als Wohnsitz entschieden – und es nie bereut.

Studierende und Dozierende aus vielen Ländern bereichern die akademische Gemeinschaft. Abbildung: HHL
KAN: Was macht Leipzig für dich aus?
STU: Leipzig ist zuallererst meine Heimat. Meine Kinder sind hier geboren, hier haben wir unsere Freunde und hier fühlen wir uns wohl. Das Flair, die Menschen, die Natur, die Kultur – es gibt so viel, was diese Stadt lebenswert macht. Als Hochschullehrer begeistern mich die vielfältige Bildungs- und Hochschullandschaft und das ausgeprägte studentische Leben. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich manchmal immer noch als „Wessi“ gelte. Auch nach fast 20 Jahren in Leipzig gibt es Kreise, die einen zumindest nicht so einfach willkommen heißen.
KAN: Für mich ist Leipzig eine Stadt, die Dynamik und Wissenschaftlichkeit auf einzigartige Weise miteinander verbindet. Die Stadt hat eine starke internationale Ausrichtung und zeichnet sich durch ein ausgeprägtes unternehmerisches Flair aus. Diese Kombination macht Leipzig zu einem attraktiven Standort für Forschung und Innovationen, sowohl für Studierende als auch für Fachkräfte aus der ganzen Welt. Besonders hervorzuheben ist das Engagement der Stadt für die Förderung von wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmertum.
STU: Dominik, was tun wir und die HHL, um Ostdeutschland und Leipzig voranzubringen?
KAN: Die HHL Leipzig Graduate School of Management ist die Wiege der deutschen Betriebswirtschaftslehre. Sie wurde 1898 von Leipziger Kaufleuten als erste Hochschule für Wirtschaft gegründet. Heute ist die HHL eine der führenden Wirtschaftshochschulen der ganzen Welt und ein Treiber für Start-ups und Unternehmertum in Sachsen. Unsere Aufgabe ist es, junge Talente zu fördern, ihnen die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln und sie zu erfolgreichen Unternehmern und Führungskräften zu machen. Gleichzeitig bieten wir Schulungen und Workshops für den ostdeutschen Mittelstand an und organisieren viele Formate, um Unternehmer und junge Menschen zusammenzubringen. Wir legen besonderen Wert auf unternehmerisches Denken und Handeln, was in unserer Lehre und Forschung stark verankert ist. Ein gutes Beispiel ist das HHL Digital Space, eine Plattform für digitale Transformation, die ich leite. Hier bieten wir Start-ups und Unternehmen die Möglichkeit, ihre Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Mit dem „Spinlab – The HHL Accelerator“ hat die HHL zudem einen der drei führenden Acceleratoren in Deutschland mitgegründet und das Institut für Familienunternehmen und Unternehmernachfolge (IFU) konzentriert sich ganz auf die Bedürfnisse des Mittelstands.
STU: Genau, die HHL hat in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen gestartet, um die regionale Wirtschaft zu stärken und Innovationen zu fördern. Dazu gehören die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, die Unterstützung von Start-ups und die Durchführung von Forschungsprojekten, die auf die speziellen Bedürfnisse der Region zugeschnitten sind. Wir sind auch erfolgreich dabei, internationale Fachkräfte nach Leipzig zu bringen und ihnen eine Perspektive zu bieten. Die Mentalität der Sachsen, insbesondere der Leipziger, zeichnet sich durch eine Mischung aus Tradition und Innovationsgeist aus, was eine ideale Grundlage für nachhaltige Entwicklungen bietet.
KAN: Da greifst du ein spannendes Thema auf. Ostdeutschland und speziell Leipzig haben eine reiche Geschichte als Vordenker und Vorreiter in verschiedenen Bereichen. Kannst du noch mal genauer ausführen, was aus deiner Sicht die Menschen in Ostdeutschland so besonders macht?
STU: Die Mentalität der Ostdeutschen ist geprägt von einer tiefen Verwurzelung in ihrer Geschichte und Kultur, aber gleichzeitig auch von einem starken Drang zur Innovation und zum Fortschritt. Ostdeutschland war schon immer ein Ort der Denker und Macher, von den Reformatoren wie Martin Luther bis zu den großen Dichtern und Philosophen wie Goethe und Schiller. Diese Tradition des intellektuellen und kulturellen Erbes prägt die Menschen hier bis heute. Es gibt einen starken Gemeinschaftssinn und ein tiefes Bewusstsein für die eigene Geschichte, aber auch eine Offenheit für neue Ideen und Technologien.
KAN: Genau, und diese Kombination aus Tradition und Innovationsgeist macht Ostdeutschland zu einem besonderen Ort. Die Menschen hier sind sehr resilient und anpassungsfähig, was sicherlich auch durch die Herausforderungen der Vergangenheit wie die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung geprägt ist. Sie sind offen für Veränderungen und bereit, neue Wege zu gehen, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen. Und dabei sind sie zutiefst pragmatisch. Diese Mentalität passt auch perfekt zur HHL, die selbst eine lange Tradition hat und gleichzeitig ein Ort der Innovation und des unternehmerischen Denkens ist.
STU: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Zusammenarbeit und der Zusammenhalt in der Gemeinschaft. In Ostdeutschland gibt es eine starke Kultur der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Unterstützens. Das zeigt sich auch in der Art und Weise, wie wir an der HHL arbeiten. Wir fördern Teamarbeit und Zusammenarbeit sowohl in der Lehre als auch in der Forschung. Unsere Studierenden lernen, dass sie gemeinsam mehr erreichen können als allein, und diese Denkweise trägt maßgeblich zum Erfolg unserer Absolventen bei.
KAN: Leipzig hat sich historisch als bedeutender Handels- und Messestandort etabliert, was die Stadt seit jeher international geprägt hat. Diese Tradition setzt sich bis heute fort. Leipzig zieht Menschen aus der ganzen Welt an, sei es für den Handel, die Wissenschaft oder die Kultur. Diese Weltoffenheit spiegelt sich auch in der internationalen Ausrichtung der HHL wider. Wir haben Studierende und Dozierende aus vielen verschiedenen Ländern, und diese internationale Perspektive bereichert unsere akademische und unternehmerische Gemeinschaft ungemein.
STU: Absolut. Die Weltoffenheit Leipzigs ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Stadt und der HHL. Unsere internationalen Programme und Partnerschaften ermöglichen es uns, global zu denken und zu handeln, während wir gleichzeitig fest in der Region verwurzelt sind. Diese Balance aus lokaler Verankerung und internationaler Vernetzung ist ein großer Vorteil und zieht talentierte Menschen aus aller Welt an, die hier ihre Ideen verwirklichen können.

1898 von Leipziger Kaufleuten gegründet ist die HHL die Wiege der deutschen Betriebswirtschaftslehre. Abbildung: Daniel Reiche
KAN: Stephan, welche Erfahrungen hast du in deiner Arbeit gemacht, sowohl positive als auch negative?
STU: Zu den positivsten Erfahrungen zählen sicherlich die Dynamik und der Enthusiasmus der Studierenden und Jungunternehmer, die ich täglich erlebe. Es ist unglaublich inspirierend zu sehen, wie viele innovative Ideen hier entstehen und wie engagiert die Menschen sind, diese Ideen in die Tat umzusetzen. Allerdings gibt es auch Herausforderungen, insbesondere wenn es darum geht, genügend finanzielle Mittel und Ressourcen für diese Projekte zu mobilisieren. Es braucht oft viel Überzeugungsarbeit, um Investoren zu gewinnen und sie von der Attraktivität des Standorts Leipzig und der Region zu überzeugen. Auch sehe ich noch viel Potenzial dabei, die Hochschulen in Ostdeutschland zu mehr Unternehmertum zu motivieren.
KAN: Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht. Die Unterstützung der lokalen Wirtschaft und Politik ist oft sehr gut, aber es gibt auch immer wieder Hürden, sei es bürokratischer oder finanzieller Natur. Besonders schwierig finde ich es manchmal, das richtige Gleichgewicht zwischen Tradition und Innovation zu finden. Viele Menschen hier sind sehr stolz auf ihre Geschichte und ihre Errungenschaften, was natürlich auch gut ist. Aber es ist wichtig, diesen Stolz mit einem offenen Blick in die Zukunft zu verbinden und neue Wege zu gehen. Ein Zitat von Friedrich Schiller passt hier gut: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut.“ Das bedeutet, dass wir durch unsere Denkweise und unser Handeln die Zukunft gestalten.
KAN: Was wünschst du dir für Ostdeutschland in fünf und in fünfzehn Jahren, Stephan?
STU: Ich wünsche mir, dass Ostdeutschland weiterhin ein Ort bleibt, an dem Innovationen und das Unternehmertum gefördert werden. In fünf Jahren hoffe ich, dass wir noch mehr Start-ups und erfolgreiche Unternehmen hier haben, die international konkurrenzfähig sind. In fünfzehn Jahren würde ich gern sehen, dass Ostdeutschland nicht mehr von manchen als strukturschwache Region betrachtet wird, sondern als ein Zentrum für Wirtschaft und Innovation anerkannt ist.
KAN: Ich teile diese Wünsche. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir in den nächsten fünf Jahren die Integration und Zusammenarbeit zwischen Ost und West weiter vorantreiben können. In fünfzehn Jahren wünsche ich mir, dass Ostdeutschland darin ein Vorbild für andere Regionen in Europa ist, wie man erfolgreich Transformation und Innovation miteinander verbinden kann.

Teamarbeit und Zusammenarbeit werden sowohl in der Lehre als auch in der Forschung gefördert. Abbildung: Daniel Reiche
Prof. Dr. Stephan Stubner
GEBOREN: 1974/München
WOHNORT (aktuell): Leipzig
MEIN BUCHTIPP: Jenny Erpenbeck: „Kairos“, 2021
MEIN FILMTIPP: „Good Bye, Lenin!“, 2003
MEIN URLAUBSTIPP: Oberlausitz
Prof. Dr. Dominik Kanbach
GEBOREN: 1987/Steinheim (Westfalen)
WOHNORT (aktuell): Leipzig
MEIN BUCHTIPP: Aravind Adiga: „Der weiße Tiger“, 2008
MEIN FILMTIPP: „Sonnenallee“, 1999
MEIN URLAUBSTIPP: Leipziger Neuseenland
![]() „Denke ich an Ostdeutschland ...“In der Beziehung von Ost- und Westdeutschland ist auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch ein Knoten. Dieser Sammelband will einen Beitrag dazu leisten, ihn zu lösen. Die 60 Autorinnen und Autoren geben in ihren Beiträgen wichtige Impulse für eine gemeinsame Zukunft. Sie zeigen Chancen auf und skizzieren Perspektiven, scheuen sich aber auch nicht, Herausforderungen zu benennen. Die „Impulsgeberinnen und Impulsgeber für Ostdeutschland“ erzählen Geschichten und schildern Sachverhalte, die aufklären, Mut machen sowie ein positives, konstruktiv nach vorn schauendes Narrativ für Ostdeutschland bilden. „Denke ich an Ostdeutschland ... Impulse für eine gemeinsame Zukunft“, Frank und Robert Nehring (Hgg.), PRIMA VIER Nehring Verlag, Berlin 2024, 224 S., DIN A4. Als Hardcover und E-Book hier erhältlich. |