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Die Wende und die Literatur #1: Das Image der Ostdeutschen – eine Imagination. Aber welche?

Der Osten Deutsch­lands ist auch in den Medi­en nicht aus­rei­chend reprä­sen­tiert. Er ver­fügt über kei­ne eige­ne Öffent­lich­keit. Den­noch hat sich ein Ost­be­wusst­sein her­aus­ge­bil­det. Der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Dr. Tobi­as Leh­mann, des­sen Lite­ra­tur­ko­lum­ne hier beginnt, zeich­net die­se Ent­wick­lung nach.

Dr. Tobi­as Leh­mann wur­de zum The­ma Wen­de­li­te­ra­tur pro­mo­viert. Gebo­ren 1981 in Eisen­hüt­ten­stadt war er lan­ge Zeit in Süd­ko­rea und anschlie­ßend in den USA tätig. 

Die Medi­en haben dazu bei­getra­gen, dass die Ver­gan­gen­heit in Ost­deutsch­land nicht so auf­ge­ar­bei­tet wur­de, wie es sich die Men­schen gewünscht hät­ten. Poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit der Ver­gan­gen­heit kön­nen nur dort inten­si­viert wer­den, wo Medi­en­un­ter­neh­men, Redak­tio­nen und Jour­na­lis­mus eine Öffent­lich­keit schaf­fen, in der Debat­ten kon­ti­nu­ier­lich und the­ma­tisch fokus­siert geführt wer­den kön­nen. Für Ost­deutsch­land war die­se Bedin­gung nicht erfüllt, denn der Bei­tritt zur Bun­des­re­pu­blik bedeu­te­te auch den Anschluss an die Infra­struk­tur der west­deut­schen Öffent­lich­keit mit ihren eige­nen The­men, Dis­kur­sen und Rei­bun­gen und vor allem mit west­deut­schem Personal.

Die Ost­deut­schen kamen, so Jür­gen Haber­mas, nicht in den Genuss einer eige­nen Öffent­lich­keit. Die deut­schen Medi­en wur­den und wer­den von West­deut­schen gemacht. Die Stand­or­te sind fast alle in West­deutsch­land, und nur weni­ge Ost­deut­sche kon­su­mie­ren die­se Medi­en. Die gro­ßen über­re­gio­na­len Tages- und Wochen­zei­tun­gen mit Sitz in Frankfurt/Main, Mün­chen oder Ham­burg wer­den in Ost­deutsch­land kaum ver­kauft und gele­sen. In mit­tel­gro­ßen Städ­ten in mei­nem Hei­mat­land Bran­den­burg oder in Thü­rin­gen, wo ich stu­diert habe, ist es sogar schwie­rig, sie über­haupt am Kiosk zu bekommen.

Süd­deut­sche, F.A.Z. und Spie­gel ver­kau­fen im Osten nur zwi­schen 2,5 und vier Pro­zent ihrer Gesamt­auf­la­ge, sodass man mit Fug und Recht von einem „Medi­en­ge­fäl­le“ aus­ge­hen kann, wie es Stef­fen Mau in sei­ner jüngs­ten Publi­ka­ti­on „Ungleich ver­eint“ dar­legt. Vie­le Debat­ten, die im Poli­tik­teil oder im Feuil­le­ton geführt wer­den, errei­chen Ost­deutsch­land gar nicht. Soweit ein spe­zi­fisch ost­deut­scher Dis­kurs in den Medi­en statt­fin­det, beschränkt er sich, von weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen, auf eine Ver­ge­wis­se­rung ost­deut­scher (poli­ti­scher und sozio­kul­tu­rel­ler) DDR-Tra­di­tio­nen, wie sie in ost­deut­schen Medi­en wie Super Illu, Jun­ge Welt und Neu­es Deutsch­land zu lesen sind. Man könn­te auch behaup­ten, dass die Ost­deut­schen „ihrer“ Medi­en „ent­eig­net“ wur­den, wenn es in der DDR eine freie Öffent­lich­keit gege­ben hätte.

Haber­mas bringt es auf den Punkt: Weder vor 1989 noch danach ver­füg­te die ost­deut­sche Bevöl­ke­rung über eine eige­ne poli­ti­sche Öffent­lich­keit, in der wider­strei­ten­de und kon­kur­rie­ren­de Grup­pen eine Debat­te über das Selbst­ver­ständ­nis hät­ten füh­ren kön­nen. Weil 1945 auf eine Dik­ta­tur eine ande­re folg­te (wenn auch eine ganz ande­re Art von Dik­ta­tur), konn­te eine spon­ta­ne, selbst­ge­steu­er­te, müh­sam selbst­kri­ti­sche Klä­rung eines ver­schüt­te­ten poli­ti­schen Bewusst­seins in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten nicht in der glei­chen Wei­se statt­fin­den wie in der Bundesrepublik.

Die Medi­en­land­schaft zeigt deut­lich, dass es immer noch eine Kluft zwi­schen Ost- und West­deutsch­land gibt. Die sozio­kul­tu­rel­len Lini­en, ent­lang derer die­se Kluft ver­läuft, zei­gen sich im unter­schied­lich gepräg­ten Habi­tus, in der Spra­che, im Essen, in der Lite­ra­tur und vor allem in den unter­schied­li­chen Medi­en­prä­fe­ren­zen. Die Mehr­heit der Ost­deut­schen trau­ert zwar nicht dem Ver­lust der Leit­me­di­en der DDR nach, obwohl Neu­es Deutsch­land und Jun­ge Welt als links­ori­en­tier­te Pres­se immer noch kur­sie­ren, aber vie­le Ost­deut­sche infor­mie­ren sich anders als West­deut­sche, weil sie sich ande­ren – men­tal anders gela­ger­ten – Medi­en­tra­di­tio­nen zuwen­den. Die­se sind vor allem bil­lig und oft bou­le­var­desk. Sie beschäf­ti­gen sich mit „ihren“ typisch ost­deut­schen The­men, mit denen sie sich aus­ken­nen und zu denen sie leich­ten Zugang haben.

Das gilt auch für das Essen. Wäh­rend es in West­deutsch­land kuli­na­ri­sche Spe­zia­li­tä­ten nach Regio­nen und Bun­des­län­dern gibt, wird der Osten als Gan­zes pau­scha­li­siert und man spricht oft von ost­deut­scher statt von thü­rin­gi­scher oder säch­si­scher Küche. Auch in der Aus­drucks­wei­se, vor allem in der Lexik, gibt es Unter­schie­de. Ost­deut­sche Bezeich­nun­gen wie Kauf­hal­le (Super­markt), Ano­rak (Jacke), Broi­ler (hal­ber Hahn), Nicki (T-Shirt), Sel­ters (Mine­ral­was­ser) oder Poly­lux (Over­head­pro­jek­tor) wer­den im Wes­ten wohl kaum zu ver­ste­hen sein. Nicht zuletzt wird es wohl nur weni­ge West­deut­sche geben, die Lite­ra­tur ost­deut­scher Autorin­nen oder Autoren lesen, obwohl alle Ost­deut­schen in der Schu­le west­deut­sche Lite­ra­tur lesen müs­sen. Und wie vie­le West­deut­sche ken­nen ost­deut­sche Musik? Man könn­te vie­le Berei­che des kul­tu­rel­len Lebens unter­su­chen, um fest­zu­stel­len, ob und inwie­weit die Unter­schie­de essen­zia­li­siert und somit unver­än­der­bar sind oder gar eine fest ver­an­ker­te Tren­nung ent­lang die­ser Lini­en besteht. Eine Gemein­schaft von Gleich­ge­sinn­ten sind Ost- und West­deut­sche jeden­falls noch nicht, auch wenn die jün­ge­re Gene­ra­ti­on, wie Jana Hen­sel in „Zonen­kin­der“ fest­stell­te, nach dem ers­ten west­deut­schen Kul­tur­schock zuneh­mend zu Grenz­gän­gern mutiert und sich vie­le von­ein­an­der ange­nom­me­ne Wesen­hei­ten vermischen.

Man könn­te also, wie Vale­rie Schö­ni­an es tut, mei­nen, dass sich ein „Ost­be­wusst­sein“ infol­ge der Wen­de ent­wi­ckelt hat. Es macht jedoch wenig Sinn, Ost­deut­sche zu kate­go­ri­sie­ren und die­sen Begriff im Sin­gu­lar zu ver­wen­den, als ob es sich um einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund han­deln wür­de, wenn­gleich die­se The­se inzwi­schen auch dis­ku­tiert wird. Ost­deut­sche und Migran­ten erfah­ren glei­cher­ma­ßen Stig­ma­ti­sie­rung, sagt Nai­ka Forou­tan. Vie­le Erfah­run­gen, die Ost­deut­sche machen, ähneln denen von Migran­ten hier­zu­lan­de. Dazu gehö­ren der Ver­lust der Hei­mat, ver­gan­ge­ne Sehn­suchtsor­te, Gefüh­le der Fremd­heit und Erfah­run­gen der Abwer­tung. Migran­ten haben ihre Län­der ver­las­sen, Ost­deut­sche sind von ihrem Land im Stich gelas­sen wor­den. Ost­deut­sche haben es aber eben­so wenig ver­dient, essen­zia­li­siert oder gar dar­auf redu­ziert zu wer­den wie Migran­ten. Für mich kann es Begrif­fe wie „Ost­be­wusst­sein“ nur im Plu­ral geben, auch wenn immer wie­der ver­sucht wird, sie zu ver­ein­fa­chen und poli­tisch zu nut­zen. Wenn jemand wie Jana Hen­sel behaup­tet „Wir Ost­deut­schen“, soll­te man genau hin­hö­ren, wel­che kol­lek­ti­ve Kate­go­rie damit auf­ge­ru­fen wird und wel­che nicht.

Es ist auch bezeich­nend, dass es im Bereich der Iden­ti­tä­ten kein Pen­dant zum Ost­deutsch­sein gibt – kein west­deut­sches Äqui­va­lent. Ein star­kes Iden­ti­täts­ge­fühl als West­deut­scher lässt sich nicht her­stel­len. Die gro­ße Mehr­heit der West­deut­schen kann mit die­sem Label wenig anfan­gen und pflegt lie­ber regio­na­le oder lan­des­spe­zi­fi­sche Selbst­bil­der. Die „Ossi/Wessi“-Unterscheidung, die in Ost­deutsch­land eigent­lich eine wich­ti­ge Richt­schnur ist, hat im Wes­ten kei­ne Ent­spre­chung. Man könn­te also Dirk Osch­manns Aus­sa­gen umkeh­ren und behaup­ten: Der Osten hat den Wes­ten erfun­den – als Ant­wort auf die gesell­schaft­li­che Domi­nanz. Und viel­leicht erfin­det er sich sogar selbst – als Ant­wort auf einen ima­gi­nier­ten und mono­li­thi­schen Wes­ten und ein wahr­ge­nom­me­nes oder ange­nom­me­nes Bild von Ost­deutsch­land, das die West­deut­schen haben.

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