Wie hat die Transformation die Lebenswelt der Menschen in Ostdeutschland verändert? Wie wurde der fundamentale Wandel von ihnen gedeutet? Der Sammelband „Transformationserfahrungen“ vereint wissenschaftliche Beiträge über diese Umbruchserfahrungen. Im Mittelpunkt stehen die subjektiven Darstellungen und autobiografischen Verarbeitungen des Erlebten.
Herausgeber Jörg Ganzenmüller schreibt in seiner Einführung, dass die Wahlerfolge der AfD im Osten die Transformationszeit als „Problemerzeugungsgeschichte der Gegenwart“ ins Blickfeld der zeitgeschichtlichen Forschung gerückt haben. Die persönlichen Erfahrungen Ostdeutscher nach der Wiedervereinigung seien jedoch bislang kaum untersucht. Der Sammelband will das ändern: Er untersucht die „lebensweltlichen Umbrüche in Ostdeutschland nach 1990“ und stellt persönliche Darstellungen sowie autobiografische Verarbeitungen in den Mittelpunkt. Die Beiträge beleuchten Erfahrungen von Verlust, Entwertung und Ohnmacht.
Ausgehend von der gesellschaftlichen Bedeutung, die Transformationserfahrungen bis heute haben, richten die Beiträge den Blick sowohl auf soziokulturelle Brüche als auch auf deren Deutungen und Repräsentationen. Für Ganzenmüller stehen dabei zentrale Fragen im Vordergrund: In welcher Weise hat die Transformation die Lebenswelt der Menschen verändert? Wie haben die Menschen diese Veränderungen wahrgenommen und inwieweit haben sie versucht, diese mitzugestalten? Wie wurden die Umbruchserfahrungen gedeutet und mit Sinn versehen? Inwiefern prägen diese Deutungen heute eine ostdeutsche Identität?
Juliane Stückrad beschreibt in ihrem Beitrag „Ohnmacht als Transformationserfahrung im ländlichen Raum“, wie ganze Regionen innerhalb weniger Jahre ihre junge Bevölkerung verloren, weil Fabriken geschlossen wurden und viele im Westen bessere berufliche Chancen suchten. Everhard Holtmann und Tobias Jaeck analysieren in „Politische Einstellungen in Ostdeutschland nach dem ‚doppelten Transformationsschock‘“, welchen nachhaltigen Einfluss die Transformationserfahrungen bis heute auf das Wahlverhalten haben. Agnès Arp und Élisa Goudin-Steinmann zeigen in „Die DDR als Vergangenheit“, dass bereits der Begriff „Ostdeutsche“ die Gefahr birgt, Klischees zu verfestigen. Marcus Böick beleuchtet in seinem Beitrag die Rolle der Treuhand als „politischer Blitzableiter“ und „Bad Bank“.
Der Sammelband versteht sich als Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes. Er basiert auf dem 19. Internationalen Symposium der Stiftung Ettersberg, das in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen im Oktober Oktober 2021 in Weimar stattfand.
Die Beiträge machen deutlich, dass die Ostdeutschen unterschiedliche, auch widersprüchliche, Transformationserfahrungen gemacht haben. Erfolg und Scheitern liegen nah beieinander, ebenso wie Glück und Pech. Der Sammelband zeigt, wie prägend die Transformation war. So sehr, dass sie heute in der Generation danach fortwirkt. „Transformationserfahrungen” bietet fundierte Einblicke für alle, die die Gegenwart Ostdeutschlands im Licht persönlicher Erfahrungen verstehen möchten.
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