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Die Wende und die Literatur #3: Zeitenwende in „Mit der Faust in die Welt schlagen“

Im drit­ten Teil sei­ner Kolum­ne ana­ly­siert Dr. Tobi­as Leh­mann den Film „Mit der Faust in die Welt schla­gen“ sowie Lukas Rietz­schels gleich­na­mi­ge Roman­vor­la­ge über das Auf­wach­sen zwei­er Brü­der in Ost­deutsch­land nach der Wende.

Dr. Tobi­as Leh­mann hat an der Uni­ver­si­ty of Ore­gon zum The­ma Wen­de­li­te­ra­tur pro­mo­viert. Gebo­ren 1981 in Eisen­hüt­ten­stadt war er lan­ge Zeit in Süd­ko­rea und anschlie­ßend in den USA tätig.

Wie ist das mit den Zei­ten­wen­den, den Schlüs­sel­mo­men­ten? Begrif­fe, die auf etwas Jähes, Schock­ar­ti­ges, Durch­schüt­teln­des hin­wei­sen. In ihnen, meint man, trä­te etwas zuta­ge, das Alt und Neu strikt trennt. Ein Bruch wird mar­kiert, der das Ver­gan­ge­ne nicht mehr ins Jetzt rüber­holt. Wie zwei Erd­plat­ten, die sich abge­trennt haben und auf eine unab­seh­bar neue Schol­len­ar­chi­tek­tur zudrif­ten. Aber läuft das über­haupt so?

Phil­ipp und Tobi könn­ten die Tom Sawy­er und Huck­le­ber­ry Finn des Ostens sein. Doch sie ste­cken in der Ober­lau­sitz fest: Regis­seu­rin Con­stan­ze Klaue wirft in der Ver­fil­mung von „Mit der Faust in die Welt schla­gen“ einen Blick auf eine ver­lo­re­ne Gene­ra­ti­on. Die­je­ni­gen, die in den 1990er-Jah­ren gebo­ren wur­den, die die DDR nicht mehr erle­ben muss­ten, aber von Umbrü­chen, sozio-öko­no­mi­schen Ver­än­de­run­gen und Men­ta­li­täts­wan­del geprägt wor­den sind.

Im Kom­mu­nis­mus waren Polen und die DDR Freun­de. Nach der Wen­de wur­de dar­aus ein indi­vi­du­el­ler Wett­be­werb auf den Arbeits­märk­ten. Ste­fan Zschor­n­ack spürt die Aus­wir­kun­gen davon. Sei­ne bei­den Söh­ne wis­sen nur unge­fähr, was er wäh­rend sei­ner län­ge­ren Abwe­sen­heit macht. Er ist dann in Süd­deutsch­land, bei der Arbeit. Bis er eines Tages nach Hau­se kommt und der Fami­lie erzählt, dass jemand aus Polen sei­nen Platz ein­ge­nom­men hat. Ein typi­sches Schick­sal in den frü­hen 2000er-Jah­ren, als die Geschich­te, die in dem Film „Mit der Faust in die Welt schla­gen“ erzählt wird, beginnt. Den­je­ni­gen, die sich in der Lite­ra­tur aus­ken­nen, mag das bekannt vor­kom­men. Denn so hieß auch ein Roman von Lukas Rietzschel.

Ein Zuhause mit Ecken und Kanten

Die Ber­li­ner Regis­seu­rin Con­stan­ze Klaue nahm ihn zum Aus­gangs­punkt für ihren Film. Für Phil­ipp und Tobi ist ihr Vater Ste­fan eine Respekts­per­son, aber es ist leicht zu sehen, dass er drau­ßen in der Welt nicht nur auf Respekt und Aner­ken­nung stößt, obwohl alles gut aus­sieht. Die Fami­lie wohnt in ihrem eige­nen Haus, aber es hat trotz­dem sei­ne Macken. Die Hei­zung könn­te zuver­läs­si­ger sein, und es bedarf noch letz­ten Anstren­gun­gen, um alles für fer­tig zu erklären.

Doch dafür ist eigent­lich nie Zeit, und als Ste­fan Tschor­n­ack in einen All­tag ohne gere­gel­te Arbeit gerät, wird das immer mehr zum Pro­blem. Sei­ne Frau Sabi­ne arbei­tet oft Nacht­schich­ten und die Kin­der müs­sen früh in die Schu­le. Ehe man sich ver­sieht, sind vor allem Tobi und Phil­ipp ein biss­chen ein­sam inmit­ten der Fami­lie. Ste­fan reagiert dar­auf, indem er immer öfter zur Fla­sche greift, die er in einem Ver­steck für sich bereithält.

Lukas Rietz­schel wird oft als reprä­sen­ta­ti­ve Stim­me für die neu­en Bun­des­län­der wahr­ge­nom­men. Als Jour­na­list und Autor ver­sucht er, Kli­schees auf­zu­bre­chen, aber er benennt auch die Miss­stän­de im Osten Deutsch­lands. Sein Roman ist klar mit einem Reprä­sen­ta­ti­ons­an­spruch kon­zi­piert – im Mit­tel­punkt ste­hen, wie im Film, die bei­den Kin­der. Sie reprä­sen­tie­ren die ers­te Gene­ra­ti­on der Frei­heit. Lukas Rietz­schel und Con­stan­ze Klaue wol­len an ihrem Bei­spiel deut­lich machen, woher das Res­sen­ti­ment kommt, das vie­ler­orts den Zusam­men­halt vergiftet.

„Mit der Faust in die Welt schla­gen“ folgt kon­ven­tio­nel­len Mus­tern. Die Schwä­che des Vaters schafft eine Lee­re, die ihn für mar­tia­li­sche Wor­te emp­fäng­lich macht. Aber die Mus­ter wer­den auch immer wie­der durch­bro­chen. Ste­fan Tschor­n­ack wirkt zwar wie ein Ver­sa­ger, aber er ver­steht sich auch sehr gut mit sei­ner attrak­ti­ven Nach­ba­rin, die für den Erfolg in sei­nem neu­en, frei­en Leben steht. Das macht ihn aber für sei­ne Söh­ne noch weni­ger greifbar.

Die sor­bi­sche Min­der­heit ist ein Aspekt der eth­ni­schen Dif­fe­renz, der auch im All­tag der Men­schen eine Rol­le spielt. Das deu­tet auf etwas hin, das für den klei­nen Tobi­as zunächst inter­es­san­ter ist als für den bereits puber­tie­ren­den Phil­ipp, der vor allem mit einem sen­si­blen Klas­sen­ka­me­ra­den befreun­det ist, mit dem er die Männ­lich­keits­ri­tua­le, in die er suk­zes­si­ve ein­ge­führt wird, ausprobiert.

Der Roman wie auch der Film ver­su­chen eine Genea­lo­gie der Destruk­ti­vi­tät, wobei Con­stan­ze Klaue die ganz klei­nen Schrit­te mit einem ganz gro­ßen Zeit­sprung ver­mit­telt: vom Jahr 2000 bis zum Jahr 2015, als der Rechts­po­pu­lis­mus schon weit in die Mit­te der Gesell­schaft vor­ge­drun­gen war. Ein Schwei­ne­kopf vor der Haus­tür einer mus­li­mi­schen Fami­lie ist eine Form der Gewalt, die sich nicht line­ar aus den Ent­täu­schun­gen der „Wen­de­ver­lie­rer“ ablei­ten lässt, son­dern mit den vie­len klei­nen Unzu­läng­lich­kei­ten in den ver­spro­che­nen „blü­hen­den Land­schaf­ten“ in Ver­bin­dung gebracht wer­den kann.

Das Potenzial, etwas blühen zu lassen

Con­stan­ze Klaue nimmt Hel­mut Kohl poin­tiert beim Wort. Sie betont, dass Ost­deutsch­land sehr wohl das Poten­zi­al hat, etwas blü­hen zu las­sen. Die rudi­men­tä­re Wild­nis, in der die Jun­gen immer wie­der umher­strei­fen, hat aber auch damit zu tun, dass sich die Zivi­li­sa­ti­on aus ihr zurück­ge­zo­gen hat. Rui­nen zeu­gen davon, dass es hier ein­mal etwas gab. Phil­ipp und Tobi könn­ten auch ein Tom Sawy­er und ein Huck­le­ber­ry Finn des Ostens sein, aber de fac­to sind sie auf­grund schlech­ter Bus­ver­bin­dun­gen ein­fach zu einem Leben im Gebüsch verdammt.

Der Film wirkt sehr rea­lis­tisch. Der Schwer­punkt liegt nicht auf einer durch­ge­hen­den, eska­lie­ren­den Hand­lung, son­dern auf epi­so­dischen All­tags­be­ob­ach­tun­gen. Vie­le Kon­flik­te wer­den auf­ge­deckt, aber nicht zu Ende erzählt. Frag­lich ist auch, ob der Sprung in das Jahr 2015 über­haupt nötig war.

Über wei­te Stre­cken funk­tio­niert der Film als ein­fühl­sa­me Stu­die über die Men­schen in einer struk­tur­schwa­chen Regi­on, die kei­ne bekann­ten Nach­rich­ten­bil­der repro­du­ziert und so die Erwar­tun­gen immer wie­der geschickt unter­läuft. Es sind vor allem die Details, die den Film aus­ma­chen: der Bus, der nicht fährt, wes­halb ein Mäd­chen nicht aufs Gym­na­si­um gehen kann, oder der Freund des Vaters namens Uwe, des­sen Leben nach der Ver­ei­ni­gung aus den Fugen gera­ten ist und über des­sen Sta­si-Ver­gan­gen­heit nie­mand reden will.

Die Kluft zwi­schen der Sehn­sucht nach einem idyl­li­schen Fami­li­en­le­ben und der bit­te­ren Rea­li­tät ist immer prä­sent. Vor allem am Anfang spürt man die Wär­me, die sich alle Betei­lig­ten wün­schen, und umso schwe­rer fällt es, wenn sie schwin­det. Einen wei­te­ren Kon­trast fin­den Klaue und Kame­ra­mann Flo­ri­an Brück­ner, wenn sie die Schau­plät­ze in ein­drucks­vol­len Bil­dern fest­hal­ten: blü­hen­de Natur mit ver­fal­le­nen Häu­sern und mit­ten­drin Plat­ten­bau­ten sowie male­ri­sche Wie­sen und dazwi­schen eine maro­de Stra­ße. Die­ses völ­lig unvor­ein­ge­nom­me­ne Ein­fan­gen von Idyl­le und Ver­fall beschreibt viel­leicht am bes­ten die Ambi­va­lenz Ostdeutschlands.

Dabei sind die im Film auf­tre­ten­den Neo­na­zis nicht nur gefähr­li­che Sys­tem­ver­än­de­rer, son­dern auch die ver­letz­li­chen Söh­ne und Töch­ter von Men­schen, die mit ihrem Leben nicht (mehr) zurecht­kom­men. Nichts ist unum­kehr­bar, es sei denn, die Gewalt wird tat­säch­lich tödlich.

Das eigentliche Geschehen fällt in die Ellipse der Erzählung

So weit geht „Mit der Faust in die Welt schla­gen“ nicht. Con­stan­ze Klaue hat das wich­tigs­te Merk­mal des Films aus der Struk­tur des Romans über­nom­men. Sie lässt nicht zu, dass Hand­lun­gen all­mäh­li­che Fol­gen haben, sie ver­folgt nicht die klei­nen Schrit­te über die vie­len Jah­re. Sie nimmt zwei­mal Pro­ben. Das eigent­li­che Gesche­hen spielt sich jedoch in der Ellip­se zwi­schen 2007 und 2012 ab und muss aus dem, was der zwei­te Teil ver­rät, abge­lei­tet wer­den. „Mit der Faust in die Welt schla­gen“ wen­det sich damit gegen den Deter­mi­nis­mus, an den sich eine Gesell­schaft zu schnell gewöhnt, die nach Anschlä­gen oder stö­ren­den Aktio­nen sofort nach Erklä­run­gen fragt.

Con­stan­ze Klaue und Lukas Rietz­schel lei­ten nichts ab. Sie set­zen aus klei­nen Beob­ach­tun­gen etwas zusam­men, das so etwas wie Iden­ti­tät für fik­ti­ve Figu­ren ergibt. Inwie­weit die­se Iden­ti­tät auf Abgren­zung und inwie­weit sie auf Annä­he­rung beruht, schafft ein Span­nungs­mo­ment, das mög­lichst viel Auf­merk­sam­keit auf den sub­til erzähl­ten Film len­ken soll. Und die Zei­ten­wen­de nicht nur für Phil­ipp und Tobi markiert.

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