Die 19. Shell-Jugendstudie zeigt, dass die Sorgen und Ängste der Jugendlichen in Bezug auf Politik, Gesellschaft und Umwelt zunehmen. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es weiterhin deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Im Osten sind unter anderem die Demokratiezufriedenheit und der Kinderwunsch gesunken. Hier sind Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen und klassischen Medien größer und die Haltung zum Ukrainekrieg ist oft eine andere als im Westen.
Seit 1953 lässt der Ölkonzern Shell regelmäßig die Werte, Einstellungen und Gewohnheiten junger Menschen in Deutschland empirisch untersuchen. Zur Shell-Jugendstudie 2024 wurden 2.509 Jugendliche im Alter von zwölf bis 25 Jahren befragt. Sie zeigt, dass drei Viertel der Befragten (75 Prozent) mit der Demokratie eher zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Während die Demokratiezufriedenheit bei Jugendlichen im Westen seit Längerem stabil ist (aktuell 77 Prozent), geht sie bei den Jugendlichen im Osten jedoch etwas zurück (aktuell 60 Prozent). Übereinstimmung zwischen Ost und West gibt es beispielsweise hinsichtlich der Notwendigkeit, die Themen Fakenews und künstliche Intelligenz in die Lehrpläne aufzunehmen. Zudem zeigen sich die Jugendlichen in beiden Regionen tolerant gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, auch wenn es in einzelnen Bereichen Unterschiede gibt. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen informiert sich aktiv über politische Themen.
Mehrheit informiert sich politisch
Mehr als die Hälfte (51 Prozent) der Jugendlichen geben an, sich aktiv – online oder offline – über das zu informieren, was in der Politik los ist, junge Männer dabei etwas häufiger als junge Frauen (53 Prozent zu 48 Prozent). 2019 waren es mit 36 Prozent insgesamt noch deutlich weniger Jugendliche. Bei der politischen Informationsbeschaffung spielen digitale Kanäle inzwischen eine sehr wichtige Rolle: Auf alle Jugendlichen bezogen greifen 45 Prozent auf Online-Medien zurück (2019: 30 Prozent), 35 Prozent nutzen weiterhin auch klassische Medien, zehn Prozent sind ausschließlich online unterwegs und fünf Prozent informieren sich ausschließlich mithilfe klassischer Medien. Fernsehsendungen (32 Prozent) haben dabei die Nase vorn, dicht gefolgt von Nachrichten-Websites, News-Portalen und Push-Nachrichten sowie sozialen Netzwerken und Messenger-Apps. Junge Menschen, die sich aktiv über Politik informieren, nutzen dafür im Durchschnitt mehr als drei unterschiedliche Kanäle. Laut der Shell-Jugendstudie informiert sich weniger als ein Prozent der Jugendlichen ausschließlich auf sozialen Netzwerken oder Messenger Apps.
Toleranz und Vorurteile
Die große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland ist grundsätzlich tolerant. Im Vergleich zu 2019 finden sich hinsichtlich der geäußerten Vorbehalte nur wenige Änderungen. Auf die Fragen „Fändest du es gut, wäre es dir egal oder fändest du es nicht so gut, wenn in die Wohnung nebenan folgende Menschen einziehen würden?“ werden am häufigsten Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen benannt, wobei eine syrische Flüchtlingsfamilie auf größere Vorbehalte stößt (18 Prozent) als eine Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine (zwölf Prozent). Ebenfalls ein knappes Fünftel der Jugendlichen (18 Prozent), und damit etwas mehr als noch 2019, fände es nicht so gut, wenn sie eine Aussiedlerfamilie aus Russland als Nachbarn hätte. Die Vorbehalte gegenüber einer türkischen Familie sind leicht zurückgegangen (von 18 Prozent auf 14 Prozent). Jugendliche aus Ostdeutschland haben grundsätzlich deutlich größere Vorbehalte. 28 Prozent von ihnen lehnen eine syrische Flüchtlingsfamilie ab, im Westen trifft dies nur auf 16 Prozent zu. Ein homosexuelles Paar möchten 14 Prozent im Osten nicht als Nachbarn haben, während es im Westen nur neun Prozent sind. Was die Haltung der Jugendlichen gegenüber einer jüdischen Familie anbelangt, so sind keine Befunde dafür festzustellen, dass antisemitische Positionen inzwischen deutlich offener und auch unmittelbarer in der ganzen Breite der Jugendlichen in Deutschland kundgetan würden. Hier sind es insgesamt nicht mehr als acht Prozent, die in der Befragung offen ihre ablehnende Haltung äußerten.
Einordung von Kriegen und Konflikten
Die veränderte Gefahrenlage und die damit einhergehenden politischen Kontroversen – bezüglich des russischen Angriffs auf die Ukraine, des Überfalls der Hamas auf Israel, des Gaza-Konflikts, aber auch weiterer Konflikte – haben dazu geführt, dass viele junge Menschen einige politische Themen anders sehen als noch vor einigen Jahren. 69 Prozent sprechen sich laut der Studie für und nur sechs Prozent gegen eine starke NATO aus. Unterschiede zwischen Jugendlichen aus dem Osten und dem Westen gibt es dabei kaum. Ähnlich fällt die Bewertung des russischen Angriffskrieges aus. Der Aussage „Russland hat die Ukraine angegriffen und muss dafür bestraft werden“ stimmen 60 Prozent der Jugendlichen zu. Nur 13 Prozent insgesamt, aber immerhin 21 Prozent im Osten, sehen dies explizit anders. Die Verurteilung Russlands geht allerdings nicht mit einer uneingeschränkten Unterstützung der Ukraine einher: Nur 50 Prozent wollen, dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützt, die Zustimmung ist im Osten mit 44 Prozent im Vergleich zu 52 Prozent der Jugendlichen aus den westlichen Bundesländern geringer ausgeprägt. 24 Prozent lehnen dies hingegen ab: 22 Prozent im Westen und 34 Prozent im Osten.
Vertrauen in klassische Medien, Online holt auf
Junge Menschen halten Informationen in den klassischen Medien, von ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten (83 Prozent) sowie großen überregionalen Zeitungen (80 Prozent), in überwiegender Mehrheit für (sehr) vertrauenswürdig. Deutlich geringer fällt das Vertrauen in Online-Informationskanäle aus, die allerdings durchaus zugelegt haben: Informationsangebote auf Youtube (53 Prozent, 2019: 43 Prozent), soziale Netzwerke wie Tiktok oder Instagram (36 Prozent, 2019: 25 Prozent) und Kommunikationsplattformen wie X (29 Prozent, 2019: 23 Prozent). Jugendliche im Osten bringen weiterhin klassischen Medien deutlich weniger Vertrauen entgegen als Gleichaltrige im Westen (ARD- oder ZDF-Fernsehnachrichten: 76 Prozent zu 84 Prozent; überregionale Zeitungen: 70 Prozent zu 82 Prozent) und vertrauen umgekehrt den Informationen auf Online-Kanälen häufiger.
Fakenews und KI in die Lehrpläne
Fast Konsens besteht unter Jugendlichen darüber, dass Fakenews und künstliche Intelligenz (KI) als Themen in die Lehrpläne an den Schulen gehören. 90 Prozent der Jugendlichen finden es (sehr) wichtig, dass der Umgang mit digitalen Medien und das Erkennen von Fakenews in der Schule verpflichtend unterrichtet werden. Dieser Wunsch zieht sich durch alle Altersgruppen, West und Ost, sowie alle sozialen Schichten und ist auch keine Frage des Geschlechts. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage, dass der Umgang mit künstlicher Intelligenz verpflichtender Inhalt in der Schule sein soll. 60 Prozent schließen sich dieser Forderung an – hier sind es vor allem Jugendliche, die Abitur bzw. Fachhochschulreife haben bzw. anstreben (66 Prozent).
Kinderwunsch stabil, West und Ost nähern sich an
Nur eine kleine Minderheit der befragten Jugendlichen hat bereits selbst Kinder, von allen anderen möchten mehr als zwei Drittel später Kinder haben (71 Prozent der Frauen und 66 Prozent der Männer). In allen vergangenen Befragungsjahren war der Kinderwunsch im Osten stärker ausgeprägt als im Westen, die Unterschiede verringerten sich im Zeitverlauf. Inzwischen sagen Jugendliche im Westen sogar etwas häufiger, dass sie einmal Kinder haben möchten: 2002 sprachen sich 64 Prozent im Westen und 75 Prozent im Osten für Kinder aus, inzwischen sind es 69 Prozent im Westen und 65 Prozent im Osten.